Toter Albatros

Kunst. Wie Surrealistinnen um ihre Karriere betrogen wurden

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Die berühmteste Teetasse der Welt wurde 1936 von der Künstlerin Meret Oppenheim erdacht: Sie überzog Geschirr samt Löffel unter dem Titel „Frühstück im Pelz“ zur Gänze mit Fell. Darüber hinaus sind allerdings nur wenige Werke Oppenheims einem breiteren Publikum bekannt. Diesem Umstand will nun eine groß angelegte Einzelausstellung im Bank Austria Kunstforum abhelfen. Ebenso wie die weitaus bekanntere Frida Kahlo wird das Werk der Schweizerin dem Surrealismus zugerechnet, jener Kunstströmung, die ab den frühen 1920er-Jahren dem Unterbewussten und den Träumen nachspürte und in Salvador Dalí, René Magritte und Max Ernst ihre prominentesten Exponenten fand.

Weniger großer Bekanntheit als die schmelzenden Uhren und der notorische Schnurrbart Dalís erfreut sich die Tatsache, dass der Surrealismus über Oppenheim und Kahlo hinaus eine beeindruckende Riege weiblicher Positionen aufzubieten hat; die in profil vorgestellten Künstlerinnen stellen nur einen Bruchteil davon dar. Während die männlichen Surrealisten in großen Retrospektiven gefeiert werden (die Wiener Albertina beispielsweise zeigt derzeit eine sehenswerte Max-Ernst-Ausstellung), blieben ihre künstlerischen Schwestern Randerscheinungen. Die fantastischen Szenerien einer Leonora Carrington, die monumentalen Landschaften einer Kay Sage, die düsteren Frauenfiguren einer Dorothea Tanning, die subtilen Fotomontagen einer Dora Maar, die ambivalenten Selbstporträts einer Claude Cahun, die rätselhaften Gestalten einer Leonor Fini, die feinen Zeichnungen einer Unica Zürn und die mystischen Kompositionen einer Toyen werden zwar seit einigen Jahren wissenschaftlich aufgearbeitet; große Ausstellungen fehlen jedoch weitgehend. Wie sehr die Surrealistinnen unter ihrem Wert geschlagen werden, zeigte sich einmal mehr 2012 anlässlich des Todes von Dorothea Tanning im biblischen Alter von 101 Jahren: Nur wenige Nachrufe erschienen – und wo dies doch geschah, wurde stets bereits im Titel erwähnt, dass sie die Witwe von Max Ernst war. Über ihr irritierendes wie beachtliches Œuvre berichtete kaum jemand.

Frauen hatten im männlichen Surrealistenkosmos vor allem zwei Rollen zu erfüllen: jene der Muse und jene des Modells. Das Weibliche benötigte man zur Inspiration des eigenen genialischen Geistes, Frauen imaginierte man als Fetisch, als Objekt, als Heilige, Hure oder Kindfrau, gern auch Hysterikerin – kurz gesagt: Sie waren nicht mehr als eine gigantische Projektionsfläche. Die Aufnahme in den erlauchten Zirkel rund um den Dichter und Cheftheoretiker André Breton war Frauen, so konstatierte etwa die Kunsthistorikerin Karoline Hille lakonisch, so gut wie ausschließlich über „sexuelle Beziehungen zu den Mitgliedern möglich“. Dann freilich konnten sie sich schon an Ausstellungen beteiligen. Doch zumeist erst „nachdem sie ihre Rolle als Muse, Modell und Geliebte erfüllt hatten, durften Frauen sich auch als Künstlerinnen an der surrealistischen Bewegung beteiligen“, wie Hille schreibt. Der Künstlerkreis scheint tatsächlich schwer chauvinistisch belastet gewesen zu sein: Vom Dichter Paul Éluard wird berichtet, dass er stets ein Foto seiner nackten Frau Gala mit sich geführt habe, um es im Rahmen der künstlerischen Treffen unter den Freunden kursieren zu lassen.
Die Künstlerinnen selbst sahen ihre Rolle als Inspirationshilfen überaus ambivalent, wie zahlreiche Quellen belegen – unter anderem eine amüsante Zeichnung von Oppenheim, auf der die sprichwörtliche Muse in einer schweißtreibenden Aktion ihr Genie auf ihren starken Armen schleppt. Und Leonora Carrington hielt rückblickend trocken fest: „Ich hatte keine Zeit, für irgendjemand die Muse zu sein – ich war zu sehr damit beschäftigt, gegen meine Familie zu rebellieren und Künstlerin zu sein.“ Die feministische Kunsthistorikerin Whitney Chadwick fand ein deftiges Bild für die forcierte Musenrolle: „Das idealisierte Frauenbild des Surrealismus hing wie ein Albatros um den Hals der Künstlerin“, notierte sie.

Die reichlich zweischneidige Doppelfunktion Muse/Künstlerin erwies sich als schlechte Ausgangsposition für die zumeist erheblich jüngeren Kolleginnen des selbstherrlichen Dalí und seiner Kompagnons – und sie verursachte die bis heute anhaltende Marginalisierung der Surrealistinnen. Ungeachtet ihres Werks wurden Künstlerinnen wie Tanning vor allem als Lebensgefährtinnen, Geliebte oder Ehefrauen von häufig ebenfalls surrealistisch arbeitenden Männern wahrgenommen. Während sich in jedem Lexikoneintrag über Kay Sage die Information findet, dass sie mit ihrem Kollegen Yves Tanguy liiert war, Unica Zürn stets als Lebensgefährtin Hans Bellmers dargestellt wird und Carrington wie Tanning wohl ewig als die Frauen Max Ernsts präsentiert werden, wird umgekehrt in den Darstellungen der Künstler kaum auf die Kolleginnen verwiesen, geschweige denn auf deren künstlerische Arbeit. Derlei wäre nur verständlich, wenn sie mit den Arbeiten der ­Männerkreise nicht mithalten könnten – ­allerdings ist dies keineswegs der Fall, wie sich bei genauerer Betrachtung – siehe die Porträts auf diesen Seiten – zeigt.

Doch selbst wenn sich inzwischen da und dort Interesse am Werk der Frauen des Surrealismus regt, so erweist sich jede entsprechende Ausstellungstätigkeit als nicht gerade einfach: Ihre Gemälde, Skulpturen, Fotografien, Zeichnungen, Objekte und Collagen zerstreuten sich in alle Welt; vieles findet sich in bisweilen schwer zugänglichen Privatsammlungen, und Museen kauften meist, wenn überhaupt, diese Werke viel zu spät an. Immerhin: Meret Oppenheim besitzt einen beachtlichen Bekanntheitsgrad. Oder vielleicht doch nur ihre Tasse.

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Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer