TU Wien steht kurz vor der Pleite

Universitäten. Die traditionsreiche Hochschule hat 20 Millionen Euro Schulden

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„Pleite ab September?“ steht in großen roten Lettern auf den Plakaten, mit denen die Hochschülerschaft der Technischen Universität Wien derzeit die Hörsäle und Aulen zukleistert. Die Studenten rufen zur Rettung ihrer Uni auf: „Die TU braucht Budget!“ Die Technische Hochschule Wiens, gegründet 1815 unter Kaiser Franz I., steht im Moment mit 20 Millionen Euro in der Kreide. Nur noch die von den Wissenschaftern gesammelten Drittmittel halten die Uni knapp über Wasser. Die Frage ist bloß: Wie lange noch?

Nicht nur die TU Wien ist in den Miesen.
Auch die Universität für Bodenkultur, die Technische Universität Graz und die Medizinunis in Wien und Innsbruck dürften heuer negativ bilanzieren. In diesem Semester fehlen den Unis zudem die Studienbeiträge, weil der Verfassungsgerichtshof vergangenen Herbst die entsprechende Regelung kippte, seit 1. März ist sie ungültig: Nun zahlen auch Ausländer und Langzeitstudenten nichts mehr.

Der Karren Studiengebühren steckt seit Jahren zwischen den ideologischen Linien von ÖVP und SPÖ fest, keine der beiden Koalitionsparteien bewegt sich auch nur einen Zentimeter. Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle (ÖVP) will Studiengebühren für alle einführen, während die Sozialdemokraten die vom Gericht aufgehobene bisherige Regelung – nur Ausländer und Langzeitstudenten zahlen – reparieren wollen.

Minister Töchterle schlug den Unis im Februar einen riskanten Deal vor: Sie sollten ihre Studienbeiträge ab Herbst autonom einheben, dafür ließe das Ministerium sogar Boni springen. Die Sache hat allerdings einen Haken: Die Universitäten müssen die eingenommenen Studiengebühren einfrieren, um sie im Zweifelsfall zurückzahlen zu können, denn für Töchterles Vorschlag gibt es keine Rechtssicherheit. Während die Verfassungsjuristen noch streiten, kündigt die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) bereits Klagen an und macht dafür eine Million Euro locker. Der Präsident der Universitätenkonferenz, der Salzburger Rektor Heinrich Schmidinger, ist verärgert: „Es ist ein Armutszeugnis für die Politik, wenn die Universitäten das Risiko von Klagen eingehen müssen, damit sie ihre Aufgaben auf gesicherten gesetzlichen Grundlagen erfüllen können.“

Trotz der prekären rechtlichen Lage müssen die meisten Universitäten auf Töchterles faules Angebot eingehen. Die Uni Salzburg beispielsweise kann auf die 1,5 Millionen Euro, welche die Studiengebühren bringen, auf keinen Fall verzichten. „Wir müssen ohnehin froh sein, wenn wir 2012 keine Schulden machen“, sagt Rektor Schmidinger. Auch die TU-Rektorin Sabine Seidler hat vor, im Wintersemester wieder Beiträge von den Studenten einzuheben: „Wir stehen extrem unter Druck und haben gar keine andere Wahl.“ Die 3,8 Millionen Euro an Studienbeiträgen sind allerdings Peanuts, verglichen mit dem angehäuften Schuldenberg von 20 Millionen.

Die finanzielle Krise ist freilich teilweise hausgemacht, wie Rektorin Seidler einräumt: „Unsere Situation ist eine Mischung aus Unterfinanzierung und Selbstüberschätzung. Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt.“ Ihre Universität habe aber keinesfalls blauäugig Geld verprasst, sondern längst nötige Investitionen getätigt.

Seidlers Vorgänger Peter Scalicky, der vergangenen Herbst nach 20 Jahren an der Spitze der TU abtrat, habe sich an dem ehrgeizigen Projekt „University 2015“ verhoben, sagen hingegen Insider. Scalicky hatte 2006 gemeinsam mit der damaligen Ministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) die Komplettsanierung aller TU-Gebäude in Wien beschlossen. Zur 200-Jahr-Feier 2015 sollte die Hochschule in neuem Glanz erstrahlen. Allerdings habe das Ministerium „die Spielregeln während des Spiels geändert“, sagt Rektorin Seidler heute.

Die TU habe zwar die Ausgaben für die Generalsanierung vom Bund erstattet bekommen, nicht aber die Mehrwertsteuer. Den „Selbstbehalt“ von 20 Prozent musste die Uni nachträglich einsparen.

Den Löwenanteil an den Schulden machten allerdings dringend benötigte wissenschaftliche Geräte und Personal aus, behauptet die Rektorin. Allein die von den Wissenschaftern der Universität gesammelten Fördergelder – im vergangenen Jahr waren es 65 Millionen Euro – schützen die TU derzeit vor der Zahlungsunfähigkeit. Seidler hat ihrer Hochschule zudem einen harten Sparkurs verordnet. Studierende wie Professoren spüren das bereits. „Die Re­krutierung von Mitarbeitern ist derzeit die größte Herausforderung“, sagt der Institutsleiter für Mikroelektronik, Siegfried Selberherr. „Wer will heute noch Assistent werden, ohne Perspektive?“

Das Ministerium weiß seit Anfang 2011 von den finanziellen Nöten, Minister Töchterle will nun endlich helfen: Bei den Budgetverhandlungen für 2013 bis 2016 im kommenden Herbst werde die finanzielle Misere der TU eine Rolle spielen. Auch aus der Hochschulmilliarde werde er der Uni zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen. Töchterle verspricht: „Die TU wird nicht pleitegehen.“

Das grundsätzliche Problem, die chronische Unterfinanzierung der Unis, löst der kleine TU-Rettungsschirm natürlich nicht. Die Universitäten plädieren wie Töchterle seit Längerem für flächendeckende Studiengebühren. Laut einer Market-Umfrage ist auch die Mehrheit der Österreicher (66 Prozent) für die Einführung von Studiengebühren zwischen 300 und 500 Euro pro Semester. Wie eine Studie aus Deutschland zeigt, schrecken Studienbeiträge weder Studenten aus bildungsfernen Schichten noch Kinder aus Migrantenfamilien ab – sofern die Stipendien angemessen erhöht werden. Genau das hatte Töchterle vor, als er im November 2011 sein neues Studienbeitragsmodell vorstellte. Die Unis könnten demnach autonom von allen Studierenden bis zu 500 Euro einheben und hätten – anders als bisher – zusätzliches Geld fürs Budget. Außerdem räumte Töchterle den Studenten die Möglichkeit ein, die Gebühren erst nach dem Studium zu zahlen, die Stipendien sollten zudem ausgeweitet werden.

Die SPÖ ließ sich nicht erweichen. Der allseits erwartete Tausch Studiengebühren gegen Gesamtschule blieb aus. Das Argument der Sozialdemokraten, Studiengebühren würden die soziale Durchmischung an den Unis verhindern, sieht inzwischen freilich alt aus. Der freie Hochschulzugang hat seit den 1970er-Jahren nichts daran geändert, dass Bildung in Österreich nach wie vor ein Privileg der Eliten ist. 1970 hatte knapp die Hälfte der Studenten (48 Prozent) Eltern mit Matura oder Hochschulabschluss. An dieser Zahl hat sich bis heute nicht viel geändert: Noch immer liegt der Anteil von Kindern aus bildungsnahen Schichten über 40 Prozent. Der Anteil von Akademikerkindern unter den Hochschulstudenten ist noch immer 2,6-mal höher, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht.

Töchterles letzte Hoffnung ruht nun auf Salzburgs Landeshauptfrau Gabi Burgstaller: Sie ortet in der SPÖ eine schweigende Mehrheit für Studiengebühren und will beim Parteitag im Herbst ein Konzept dafür vorlegen.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.