Ulla Kramar-Schmid

Überwachung: nein danke!

Kommentar. Überwachung: nein danke!

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Die jüngere Geschichte moderner Ermittlungsmethoden kann auch so erzählt werden.

1977: Mit einer großangelegten Rasterfahndung sucht die deutsche Kriminalpolizei nach dem entführten Arbeitgeber-Präsidenten Hans Martin Schleyer. Vergeblich. Zwei Hinweise aus der Bevölkerung, welche die exakte Adresse des Geiselverstecks nennen, werden in der Einsatzzentrale verschlampt.

1998: Natascha Kampusch verschwindet auf dem Weg zur Schule. Während eine Rufdatenrückerfassung beim Telefonanschluss der Eltern genehmigt wird, werden Kriminalisten aufgrund eines sehr konkreten Tipps beim Entführer vorstellig – und ziehen ohne Nachschau wieder ab.

2001: FBI-Mitarbeiter beobachten auffälliges Verhalten von Flugschülern mit saudi-arabischen Wurzeln. Ihr Vorgesetzter wischt deren Bericht beiseite. Eine fatale Entscheidung, wie sich am 11. September zeigen wird.

2013: Nach dem Anschlag auf den Marathon in Boston wird bekannt, dass der russische Geheimdienst die US-Behörden bereits 2011 vor einem gewissen Tschetschenen gewarnt hatte. Die Abfrage in einer US-Datenbank war damals ergebnislos geblieben, weil ein FBI-Mann den Namen Tamerlan Zarnajew, wahlweise auch Zarnaev, nicht unfallfrei in die Tastatur tippen konnte.

Rasterfahndung, Rufdatenrückerfassung, Lauschangriff, Vorratsdatenspeicherung, Flugdatenübermittlung an die USA, Drohnen, Satelliten – rund um den Globus sitzen Behörden auf Bergen von persönlichen Daten und Überwachungsbildern. Zu unserer Sicherheit. Um uns zu schützen. So hören wir es ständig. So wird es uns eingebläut.
Geflissentlich wird übersehen, dass alle Informationen letztlich bei Menschen zusammenlaufen. Diese können erwiesenermaßen irren, schlampen, Fehleinschätzungen treffen. Das ist das eine.

Schwerer wiegt freilich, dass kein Polizeiapparat dieser Welt auch nur annähernd in der Lage ist, diese vorsorglich abgesaugten Daten, die täglich in irgendwelche Systeme gespeist werden, zu sichten, zu analysieren, daraus gar geplante Anschläge abzuleiten. Allein die Österreicher telefonierten im vergangenen Jahr 23 Milliarden
Minuten am Handy und versandten 8,4 Milliarden SMS.

Wurde alles vorratsdatengespeichert. Und es gibt tatsächlich Politiker und Bürger, die meinen, ein bissi mehr ginge immer noch, mit Sicherheit. Blanker Populismus, schlichte Blauäugigkeit.

Es ist vielmehr an der Zeit, diesen Irrsinn einzubremsen. Selbst Kriminalisten tippen sich mittlerweile bedeutungsvoll an die Stirn. Laut dem Wiener Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie gibt es keine nennenswerte Studie, welche belegt, dass die Anti-Terror-Gesetze, die nach 9/11 durch die Legislativen gepeitscht wurden, präventive Erfolge gezeitigt hätten. Und es passt nur zu gut ins Bild, dass sich die EU-Kommission bis heute schraubt, dem Parlament einen umfassenden Evaluierungsbericht über die vor einem Jahrzehnt getroffenen Überwachungsmaßnahmen vorzulegen.

Tatsache ist: Terror passiert. Bestenfalls können Ermittler und Staatsanwälte spätere Anklagen argumentativ absichern. Aber die Vorstellung, vor den Tätern am Tatort sein zu können, erwies sich – Überraschung! – als Schimäre. Die Resultate stehen in keinem Verhältnis zu den Gesetzen, die tief in die Privatsphäre der Bürger eindringen und das Grundrecht auf Datenschutz aushöhlen.

„Aber Kanada!“, werden die Sicherheitsapologethen nun in die Waagschale werfen. „In Kanada wurde doch dieser Tage ein Anschlag vereitelt.“ Stimmt. Doch auch diese Ermittlungen waren erst nach dem Hinweis eines islamischen Geistlichen in die Gänge gekommen, nicht aufgrund eines Alarms im Datendschungel.

Handfester sind da schon die wirtschaftlichen Ergebnisse. Von der Abrüstung des Datenschutzes profitiert unbestritten die Sicherheitsindustrie. Das Ende des Kalten Krieges zog massive Umsatzeinbrüche nach sich; dank 9/11 – welch Zynismus – ist dieses Tief überwunden. Die Europäische Kommission fördert diese Entwicklung mit einschlägigen Forschungsgeldern und Gesetzen (dass die europäische Flugdatenspeicherung im EU-Innenausschuss an einer linksliberalen Mehrheit scheiterte, wird vorerst als Betriebsunfall verbucht). Die Sicherheitsbranche brummt, und damit das auch so bleibt, muss die Angst vor Terror lebendig sein.

Alles eine Frage geschickten Lobbyings. Und politischen Kleingelds sowieso.

Es fruchtet, durchaus. Der Terror gegen den Terror hat blind gemacht gegen die immer schamlosere Durchleuchtung unseres Lebens durch die Behörden. Und er hat unsere Definition von Bedrohung mittlerweile völlig verwässert. 2012 starben allein auf Österreichs Straßen mehr als 500 Menschen, viele durch Fremdverschulden.

Deswegen verbietet aber niemand den Individualverkehr. Das wäre doch ein Anschlag auf die persönliche Freiheit, oder?

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