Das Flüchtlingshaus der Ute Bock

FPÖ. Die Freiheitlichen hetzen gegen das neue Flüchtlingshaus von Ute Bock

Drucken

Schriftgröße

Donnerstag vergangener Woche, kurz vor 18 Uhr. Der Wiener FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus federt ins Gasthaus Nepomuk in Wien-Favoriten. "Unser Joschi“ und "unsere Zukunftshoffnung im Rathaus“ wird ihn der blaue Bezirkschef begrüßen. Die Freiheitlichen haben zu einem "blauen Stammtisch“ geladen. Die Extrastube ist bis zur letzten Sitzgelegenheit gefüllt, die Tische sind mit Bierkrügel vollgestellt.

Es geht um die Zohmanngasse 28, die Flüchtlingshelferin Ute Bock und die Menschen, die sie in dem Haus beherbergen wird: Männer sind es, Flüchtlinge und Asylwerber ohne Obdach. Jahrelang war es in dem Haus ruhig gewesen, nun leuchtet es in frischem Orange. Drinnen werken die Elektriker und Bodenleger, und im Erdgeschoß, da, wo "Mama Bock“ früher ihr Büro hatte und bald ihr neues aufschlagen wird, steht kniehoch der Staub.

Ute Bock wird Ende Juni 70 Jahre alt. Vor zwei Wochen stapfte sie in grauem Trenchcoat und schwarzen Tretern durch die Gänge, vorbei an Werkzeugkisten, Abdeckplanen und Kabelrollen. "Ich freu mich schon“, sagte sie. Mehr zeigte sie nicht von der stillen Genugtuung, an den Ort zurückzukommen, von dem sie einst verjagt worden war.

Für die Besucher des blauen Stammtischs im Gasthaus Nepomuk verkörpert sie das Üble schlechthin: "Drogendealer“ bringe sie, "Scheinasylanten“, "Neger“, die alleinstehende Frauen belästigen, Lärm, Dreck, schlicht alles, was "unser schönes Favoriten“ verschandelt. "Die Freiheitlichen sind die einzigen, die uns helfen“, zetert eine Frau mit rotem Gesicht.

Kurz vor Weihnachten hatte der Verein Ute Bock zu einem Get-together auf die Baustelle geladen. Man wollte mit den Nachbarn gut auskommen, ihre Ängste ernst nehmen. Es gab Kuchen, Würstel und Getränke. Etwa 100 kamen und luden ihren Groll ab: "Leute, mit denen ich sonst ganz normal auf der Straße plaudere und scherze, haben sich aufgeführt wie Furien“, erzählt Fritz Hanek, ehemaliger Hausmeister in der Zohmanngasse 28. Ute Bock versprach, einen Nachtwächter und Sozialarbeiter einzustellen und alles zu tun, damit es mit den Nachbarn klappt.

Als sie vor zwei Wochen ihr neu saniertes altes Haus inspizierte, ging ein Fenster auf. Eine Frau, die früher im Heim geputzt hatte, winkte heraus. Freundlich. Auf der anderen Seite ging ein Fenster zu. Geräuschvoll. "Das ist eine, die dauernd herumerzählt, dass im Stiegenhaus die Spritzen gelegen sind“, sagt Ute Bock. "So ein Blödsinn.“

Beim blauen Stammtisch im Nepomuk gibt keiner Kontra. Ein Grauhaariger mit Brille, der beim Eingang steht, zischelt seinem Freund zu, die Bock habe zugegeben, als Erzieherin die Buben im Heim gewatscht zu haben. Noch Ärgeres wird angedeutet. Jeder weiß etwas. Ein Mann mit Goldketterl, der sich eine Zigarette nach der anderen ansteckt, kann sich an "fünf Neger“ erinnern, die beim Billa Rauschgift tauschten, direkt unter der Überwachungskamera: "So ham sie s’ erwischt.“ Die Frau neben ihm sagt, sie wohne um die Ecke. Als sie ein Kind war, waren in der Zohmanngasse 28 Lehrlinge untergebracht, dann kamen "Dunkelhäutige und andere Migranten“. Jetzt fürchtet sie, dass es wieder losgeht mit der "Verschmutzung, den Einbrüchen und der Belästigung von Frauen“.

FPÖ-Klubchef Gudenus hat inzwischen das Mikrofon ergriffen: "Wir setzen uns für die Bürger ein. Wer hat Bock auf Ute Bock?“ Er gibt auch gleich die Antwort: "Niemand!“

Ute Bock kennt die Bösartigkeiten in- und auswendig. In ein paar der kolportierten Geschichten steckt ein Funken Wahrheit, andere sind frei erfunden: Schüsse aus dem Haus, brennende Zimmer, Flaschen und Gewand, das auf die Straße geworfen wird. Im Gasthaus Nepomuk spricht einer von Scharfschützen, die sich auf dem gegenüberliegenden Balkon postierten, weil jemand Ute Bock ein Messer angesetzt habe. Niemand fragt nach.

Sie werde ein Auge auf die Männer in ihrem Haus haben, sagt Ute Bock. Es werden viele Tschetschenen sein, viele von ihnen schwer krank, kaum noch Afrikaner: "Es sind kaum noch welche da. Alle abgeschoben. Sie verschwinden einfach. Jede Woche geht ein Flieger.“ Ein Anrainer erspäht sie am Eingang. Mit forschem Blick sticht er auf sie zu: "Ich habe nichts gegen Ausländer. Aber Zustände, so wie früher, will ich nicht mehr. Da gehe ich auf die Barrikaden.“

Gerd Faulhand wohnt im Erdgeschoß vis-à-vis. Er rede nicht davon, dass vor seinen Augen gedealt worden sei, man ihm von oben auf den Schädel gespuckt und Eier gegen sein Fenster geworfen habe, sagt er: "Aber dass man in der Nacht nicht schlafen konnte, weil das Radio so laut war, das war unerträglich.“ Und dann habe er nicht einmal mehr zur Arbeit fahren können, so zugeparkt sei die Gasse gewesen: Polizei, so weit das Auge reichte. Der Pensionist, der bis vor acht Jahren mit seiner Frau einen Gewerbebetrieb in Wien-Währing führte, erweckt den Eindruck, ein solches Desaster jeden zweiten Tag erlebt zu haben.

Es war 1999, als die Polizei mit der "Operation Spring“ gegen mutmaßliche nigerianische Drogendealer vorging. Ute Bock erinnert sich noch gut daran. Um halb fünf Uhr Früh stürmten Dutzendschaften Vermummter das Haus. Die Beamten traten mit Gebrüll alle Türen ein, auch die von Ute Bock. Sie war unversperrt. Stundenlang standen die Bewohner des Heims in der Unterhose am Gang. "Es war entsetzlich“, sagt sie. Dutzende wurden verhaftet und später zu empfindlichen Strafen verurteilt. Sie, die Heimleiterin, wurde wegen Bandenbildung und Drogenhandel angezeigt. Das Verfahren wurde zwar schnell zu den Akten gelegt, doch die Stadt verbot ihr fortan, Afrikaner aufzunehmen, und legte ihr die Pension nahe.

Ute Bock gründete stattdessen ihren eigenen Verein. "Ich kann niemanden auf die Straße stellen“: So schlicht und radikal ist ihr Programm. Immer geht es bei ihr um das Notwendige, das Naheliegende. Vergangenen Donnerstag wettert der Bezirksblaue Eduard Schock im Gasthaus Nepomuk: "Ute Bock hat Favoriten zu einem Drogenumschlagplatz gemacht. Wir haben uns gewehrt und waren erfolgreich. Es hat die Operation Spring gegeben. Es ist eine Ruhe gewesen seither. Aber jetzt geht es wieder los.“

Ein Stammtischbesucher namens Wolfgang schimpft, die Leute fühlten sich verarscht, auf der einen Seite würden 7er-BMWs bestellt, aber seine Oma bekomme nicht genug Pension zum Leben. Niemand weiß, für wen die teuren Autos sein sollen und was es mit der alten Dame genau auf sich hat. Doch an den Tischen wird heftig applaudiert.

Ute Bock wird in der Zohmanngasse auf zehn Quadratmetern leben, so wie die anderen Bewohner. Ihre Habseligkeiten passen in ein Plastiksackerl. "Mehr habe ich nicht mehr.“ Wenn sie einmal sterbe, könne man ihre Hinterlassenschaft mit einem Schwung in eine Mülltonne werfen, sagt sie. Die Kraft, in der Zohmanngasse neu anzufangen, zieht sie aus ihrem trotzigen, kaltschnäuzigen Humor: "Ich will den anderen nicht die Freude machen, nicht mehr da zu sein.“

Ihre größte Sorge wird auch künftig sein, womit sich die Bewohner beschäftigen. Viele dürfen nicht arbeiten. Deutsch- und Computerkurse allein können die Tage nicht füllen. "Es wird schon gehen“, sagt sie zum Abschied und zuckt mit den Schultern. "Ich glaube, wenn ich einmal da bin, geht das blöde Gerede vorbei.“

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges