Attentatsversuche: Adel und Widerstand

„Warum habt ihr denn eigentlich nicht geschossen?“

„Warum habt ihr denn nicht geschossen?“

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Hitlers Hauptquartier „Wolfschanze“, 20. Juli 1944: Um 12.47 Uhr explodiert die von Graf Stauffenberg gezündete Sprengladung, tötet vier Menschen, Hitler überlebt. Mindestens 150 Menschen werden Opfer der folgenden Vergeltungsaktion, jeder Dritte von ihnen hatte dem Adel angehört.

Der deutsche Historiker Stephan Malinowski spricht von einem „Aufstand des schlechten Gewissens“. Viele der adeligen Verschwörer seien mit dem Einsatz ihres Lebens letztlich dafür eingestanden, dass sie einmal Hitlers Gefolgsleute waren. Ihre moralische Größe sieht der Historiker dadurch nicht angetastet, im Gegenteil: „Die Achtung vor ihnen müsste durch diese Einordnung nicht kleiner, sondern größer werden.“

In Österreich selbst waren nur wenige in den militärischen Attentatsplan direkt eingebunden: Hauptmann Carl Szokoll und der aus Bayern stammende Abwehroffizier Graf Rudolf Marogna-Redwitz. Redwitz bezahlte seinen Einsatz mit dem Leben, Szokoll wurde nicht enttarnt. In Deutschland war Stauffenbergs engster Vertrauter, der Österreicher Robert Bernardis, einer der Ersten, die nach dem Attentat zum Tod verurteilt wurden.

Aus Kreisen des heimischen Adels wirkte vor allem ein hoher Militär seit langem an Plänen zum Umsturz und zur Beseitigung Hitlers mit: Abwehroffizier Erwin Lahousen Edler von Vivremont, der von Abwehrchef Wilhelm Canaris 1938 mit eindeutigen Worten begrüßt worden war: „Ihr Österreicher seid selber schuld! Warum habt ihr denn eigentlich nicht geschossen? Dann hätte dieser Gefreite (Anm.: Hitler) endlich einmal gemerkt, dass es so nicht weitergeht!“
Lahousens Beschreibung der „Geheimorganisation Canaris“ wurde erst jetzt entdeckt und veröffentlicht.*)

Eine seiner Missionen durchkreuzte 1943 die Großsabotageaktion gegen die französische Flotte in Toulon. Lahousen war in Attentatsversuche auf Hitler 1939 und 1943 eingeschaltet und begleitete Canaris auf einer Geheimmission, bei der Italien 1943 vor der Besetzung durch die Deutsche Wehrmacht gewarnt wurde.

Seiner Enttarnung entging Lahousen, da er im Juli 1944 in der Wehrmacht eingesetzt war. Zu jenen, die er selbst gezielt für Widerstandstätigkeit rekrutiert hatte, gehören Fritz Molden und Alfons Stillfried von Rathenitz. Molden desertierte und wurde wichtigster Verbindungsmann österreichischer Widerstandsgruppen zu den Alliierten in der Schweiz. Stillfried wurde eine der zentralen Persönlichkeiten in der Widerstandsgruppe O5. Beide waren an der Gründung des „Provisorischen Österreichischen Nationalkomitees“ beteiligt, das schließlich im Dezember 1944 neben der O5 Widerstandsorganisationen aller politischen Richtungen vereinigen konnte: Monarchisten, Konservative, Liberale, Sozialdemokraten und Kommunisten. Daraus ging die „Operation Radetzky“ hervor, die Wien beim Angriff der Roten Armee im April 1945 eine lange Schlacht ersparen sollte – eine zentrale Rolle erfüllte hier Carl Szokoll. Jener Mann in Wien, dem Stauffenberg vertraut hatte.

Im österreichischen Adel war der Publizist Kurt Graf Strachwitz einer der frühesten Kritiker des Hitlerismus. Strachwitz arbeitete in München und wurde nach dem SA-Putsch unter Ernst Röhm 1934 verhaftet. Nach einem halben Jahr „Schutzhaft“ zurück in Österreich, schrieb er im Juni 1935, in Deutschland sei mit brutaler Offenheit der Grundsatz eingeführt worden, „Gewalt geht vor Recht“. Was Österreich angehe, kenne die NS-Außenpolitik nur eines: „Recht ist, was der nationalsozialistischen Partei frommt.“ 1938 flüchtete Strachwitz.

Im Nachkriegsösterreich arbeitete Strachwitz als Journalist im „Kurier“. Sein Verdienst als früher Warner blieb weitgehend ungewürdigt. Historiker Ottmar Aretin, der Strachwitz lange gekannt hatte: „Er war wie alle zurückgekehrten Emigranten doch ziemlich isoliert.“

Baron Hans Karl von Zeßner-Spitzenberg, einer der führenden Legitimisten, starb bereits im August 1938 im Konzentrationslager Dachau. Er hatte in einem Brief an die Gestapo an seiner Haltung keinen Zweifel gelassen und schrieb: „Dem Nationalsozialismus stand ich von jeher ablehnend gegenüber.“

Die Erzherzöge Ernst und Max von Hohenberg, Söhne des in Sarajevo ermordeten Thronfolgers Franz Ferdinand, waren mit dem so genannten „Prominententransport“ schon am 1. April 1938 in das KZ Dachau gebracht worden. Otto von Habsburg wurde just am 20. April 1938, Hitlers Geburtstag, zur Fahndung ausgeschrieben. Dem 26-Jährigen wurde im Steckbrief Hochverrat vorgeworfen, da er „ausländische Mächte zum Eingreifen gegen das Deutsche Reich und das Land Österreich aufgefordert hat“. Mit der Untergrundarbeit betraute der Habsburger Karl Burian: Burian wurde 1944 hingerichtet.

Ab der NS-Machtübernahme waren Legitimisten und Adelige immer wieder Verhaftungswellen ausgesetzt. Legitimismus wurde als Hochverrat angeklagt. Schriftsteller Wilhelm von Hebra, dessen Gruppe Auslandskontakte aufbaute, wurde 1944 hingerichtet. Zum Tod wurde auch Hans Georg von Heintschel-Heinegg verurteilt, er gehörte zur Gruppe des später ebenfalls hingerichteten Roman Scholz.
Die Anziehungskraft der Legitimisten ging über den Adel hinaus, da der junge Habsburger für viele ein Symbol Österreichs darstellte. Im Standardwerk zum Widerstand schreibt Radomir Luza: „Im Großen und Ganzen gehörten den Legitimisten einkommensschwache Personenkreise an, obgleich auch Angehörige der oberen Schichten zu ihren Anhängern zählten.“

Am 13. April 1945 – nur Tage vor der Befreiung Österreichs – starben die Grafen Josef und Helene Trauttmannsdorff gemeinsam mit Bauern aus der Umgebung und dem St. Pöltner Polizeidirektor Otto Kirchl unter den Kugeln eines SS-Kommandos: Sie hatten die gewaltlose Übergabe der Stadt vorbereitet.