Warum die Länder abgeschafft gehören

Warum die Länder abgeschafft gehören: Sind teuer, reformresistent und überflüssig

Sind teuer, reformresistent und überflüssig

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So ein Rauchfangkehrer kann einem Gemeindebediensteten schon eine Menge Arbeit machen. Hat er bei einem Haus eine Feuerbeschau durchgeführt, drückt er nicht dem Kunden Bescheid und Rechnung in die Hand, sondern der Gemeinde – auf dass diese die Schreiben an den Hausbesitzer weiterschickt. So ist das im Feuerwehrgesetz des Landes Niederösterreich vorgesehen. Burgenländische Gemeindevertreter sollen demnächst ausschwirren, um streunende Katzen einzufangen, zu zählen und kastrieren zu lassen. Anschließend sollen die Tiere „an ihren angestammten Plätzen“ wieder freigelassen werden. So regt es das für Tierschutz zuständige Amt der burgenländischen Landesregierung an.

Zu viel Tagesfreizeit fördert offenbar die Kreativität. Dutzende Fälle sinnloser Vorschriften laufen Tag für Tag im Rahmen einer Rundfrage beim österreichischen Gemeindebund ein. Es ist der in Text gepresste Ärger über bürokratischen Nonsens, unnötige Doppelgleisigkeiten und skurrile Verpflichtungen, die vielfach in den Büros der neun Landesregierungen ausgebrütet werden. Nun können Beschwerden wie diese an die eben wieder aktivierte Arbeitsgruppe für Verwaltungsreform entsorgt werden. Doch das Problem wurzelt tiefer.

„Die Länder“, wie sie im Politjargon kurz genannt werden, haben sich zu einem Ärgernis auf allen Ebenen ausgewachsen. Ihre Bedeutung ist nicht zuletzt durch den EU-Beitritt rapide gesunken, doch an ihrem politischen Selbstverständnis hat dies nicht gekratzt. Ganze Berufsgruppen haben sich im vergangenen Jahrzehnt aufgrund des freien Markts umgestellt, ganze Bevölkerungsgruppen aufgrund strengerer Budgetdisziplin eingeschränkt. Doch „die Länder“ blieben unbelastet von jeglichen Einschränkungen. Reformansinnen in der Verwaltung, der Bildung oder dem Gesundheitswesen werden abgeschmettert, Kompetenzen bis zum Letzten verteidigt. Doch mittlerweile ist der Punkt erreicht, an dem konstatiert werden muss: Die Autonomie der Bundesländer schadet dem Staat, der Wirtschaft und den Bürgern.

Die Minister, die am Wiener Minoritenplatz residieren, haben erfahrungsgemäß wenig zu lachen. Derzeit ist dies Claudia Schmied. Die Bildungsministerin hat sich eben die Abfuhr von einigen – immerhin nur sechs von neun – Ländern geholt, weil sie im Pflichtschulbereich über eine Zentralisierung der Schulagenden und ein einheitliches Leh­rerdienstrecht nachdachte. Als ob es ein flächendeckendes Lehrerkidnapping abzuwehren gelte, polterte der wahlkämpfende oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP): „Man soll die Schule im Dorf und die Lehrer im Land lassen.“

Das ist Polemik, aber kein Argument. Denn Letzteres hat die Ministerin: Sie zahlt die Landeslehrer. Doch welche Tätigkeiten diese erbringen – etwa Sprachförderkurse, Tagesbetreuung, unverbindliche Übungen –, wie viele Lehrer pro Klasse und Schulstufe tätig sind teilen ihr die Länder nicht mit. Es gab schon Fälle, in denen Lehrer für eine Schule besoldet wurden, obwohl an diesem Standort kein Schüler verzeichnet war.

Ein Bericht des Rechnungshofs lässt erahnen, wie mit den vom Bund zur Verfügung gestellten Steuergeldern umgegangen wird: 2007 stellten die Prüfer in Kärnten fest, dass zwischen den Gehältern, die der Bund für die Kärntner Pflichtschullehrer überwiesen hatte, und jenen, welche die Landesregierung tatsächlich ausbezahlte, eine Lücke von 2,25 Millionen Euro klaffte – zugunsten der Landesregierung, versteht sich.
Wie unzeitgemäß die Länder ticken, beweist Niederösterreich. Der zuständige Bildungslandesrat verlangte allen Ernstes sämtliche Kompetenzen im Bildungsbereich – von der Volksschule bis zur Matura, vom Gebäudemanagement bis zum Dienstrecht. Das ist Machtdenken gegen die Interessen der Bürger: Die Schulpläne würden sich auseinanderentwickeln, und in der Folge würde eine „Verländerung“ des Schulsystems das Aus für Jobwechsel oder Umzüge bedeuten, also jeglicher Flexibilität für Eltern.

Ausrede Föderalismus. Nachgeordnete dezentrale Stellen des Ministeriums (neben den Militärkommanden, Sicherheitsdirektionen, Bundesbaudirektionen, Finanzlandesdirektionen, Oberlandes- und Landesgerichten) wie die Landesschul- und Bezirksschulräte kosten vor allem die Gemeinden gehörig Nerven. Wie Gemeindevertreter Helmut Mödlhammer erzählt, sind die Gemeinden allein im Schulwesen mit je einem Inspektor für den Kindergarten, die Schulen und die Nachmittagsbetreuung konfrontiert: „Die kommen dann und bemängeln, dass die Decke der Kindergruppe zwei Zentimeter zu niedrig ist.“
Schmied will die Landesschulinspektoren abschaffen. Die Reaktion: Kommt nicht infrage.

Unter dem Titel Föderalismus leistet sich Österreich 64 Bundesräte, 77 Landesräte und 448 Landtagsabgeordnete. Diese treffen sich nicht öfter als einmal pro Monat zu einer eintägigen Sitzung – wesentlich seltener als der Nationalrat –, und die Tagesordnungen sind oft mehr als dürr. In der jüngsten Sitzung des burgenländischen Landtags waren die Abgeordneten vor allem damit beschäftigt, Bundesgesetze abzunicken. Zuerst wird die „Helmpflicht im Wintersport“ ins Landesgesetz übernommen, dann die Verordnung über die Gratiskindergärten. Anschließend blieb immerhin noch Zeit, um über die Antidiskriminierungsstelle des Landes zu diskutieren. Die Arbeit dort dürfte kein ausgesprochener Stressjob sein. In den vergangenen drei Jahren fielen nur zwei Fälle an: Ein Inder beklagte, keinen Marktstand zu bekommen, und ein Burgendland-Kroate fühlte sich zu Unrecht um seine Beförderung gebracht.

Die Antidiskriminierungsstelle erklärt sich die geringe Zahl der Fälle damit, dass im Burgenland „jeder jeden kennt“ und viele Beschwerden „informell“ erledigt werden. Mag sein. Dennoch bleibt die Frage, ob nicht die Bundes-Antidiskriminierungsstelle diese zwei Fälle hätte mitübernehmen können.
Doch alles, was die Länder an den Bund abgeben, ist ein Machtverlust, und den gilt es zu verhindern – koste es, was es wolle. Gesundheitsminister kommen und gehen. Und jeder ist aufgrund seiner mangelnden Kompetenzen verdammt zuzuschauen, wie sich Krankenkassen und die für die Spitäler verantwortlichen Länder gegenseitig die ständig steigenden Kosten zuschieben. Die föderale Struktur bedingt, dass sich jedes Land auch eine eigene Ärztekammer leistet, die ebenfalls kräftig mitmischt.
Da werden etwa im Spital Röntgenambulanzen ausgebaut, doch die Zahl der Röntgenfachärzte außerhalb bleibt gleich (Hallein), da rittern Spitäler um eine chirurgische Abteilung, obwohl lediglich 100 Eingriffe im Jahr prognostiziert werden und ein entsprechendes Spital über die Ländergrenze bereitsteht (Bad Aussee). Doch die Länder sind nicht bereit, die Überversorgung innerhalb der Landesgrenzen zugunsten eines bundesweiten Spitalplans aufzugeben.

Eine aktuelle Studie des Instituts für Höhere Studien belegt, wenig überraschend, dass die Gesundheitsfinanzierung aus einer Hand die Kosten senken könnte – doch das Resümee der Experten klingt realpolitisch resignativ: „Es zeigt sich, dass in jedem Fall recht große Veränderungen notwendig sind, da Ineffizienzen im Gesundheitswesen auf nicht mehr zeitgemäßen Strukturen beruhen.“

Vollends absurd wird es bei den Leistungen der Kassen. Jeder ASVG-Versicherte zahlt denselben Krankenversicherungsbeitrag, doch die Zuschüsse, die Kassen zu einzelnen Leistungen gewähren, sind länderweise unterschiedlich. So schießt die Länderkassa etwa einem Niederösterreicher für eine 30-minütige Heilgymnastik 13,30 Euro zu, einem Burgenländer 16,74 Euro. Für eine Zahnprothese aus Kunststoff tragen Wiener, Kärntner und Tiroler die Hälfte der Kosten, ein Steirer 40 Prozent. In allen anderen Ländern fällt für die Sozialversicherten nur ein Viertel der Kosten an. Physiotherapie nach Unfällen bieten nur die Wiener und die Salzburger auf Kassa an, in allen anderen Ländern zahlt der Patient selbst.

Aufgebläht. Es entspricht der Landessicht, wenn der ehemalige Föderalismusminister Jürgen Weiss die Bundesverwaltung für aufgebläht hält und die „gewaltigen Ministerialverwaltungen“ kritisiert (siehe Interview). Verglichen mit den Ländern ist der Bund allerdings bescheiden. Er beschäftigt 133.000 Beamte – Polizisten inklusive. Die Länder hingegen kommen auf 141.000. Die Gemeinden steuern noch einmal 74.000 Beamte bei.

Neun unterschiedliche Baurechte, Aufzugs-, Garagen-, Kanalisations-, Ortsbilderhaltungs- und Kleingartengesetze, begleitet von ebenfalls neun unterschiedlichen Durchführungsverordnungen zu Bau und Bautechnik, Bauplänen und Gehsteigbreiten: Das ist blanker Irrsinn, der jedoch administriert werden muss. Vorarlberg ist vergleichsweise sparsam, dort kommen auf fünf Landesbeamte 1000 Einwohner, in Niederösterreich hingegen sind es 8,35 Beamte pro 1000 Einwohner. Fast ein Drittel des gesamten Budgetvolumens der Länder entfällt auf die Gehälter der Landesbeamten. Und die Summe steigt konstant: Im Jahr 2012 werden die Länder laut Berechnungen des Instituts für Föderalismus 7,6 Milliarden Euro für ihren Personalaufwand ausgeben.

Die Sparpakete des Bunds zogen an den Landesbeamten unbemerkt vor­über. Üppige Zulagen und großzügige Pensionsregelungen fielen dem Rotstift nicht zum Opfer. Ein im Jahr 1975 geborener Akademiker im Kärntner Landesdienst etwa kann mit einer doppelt so hohen Pension rechnen wie ein Bundesbeamter. In Wien wurde den unkündbaren Magistratsmitarbeitern heuer wieder eine zusätzliche Urlaubswoche gewährt. Kostenpunkt: geschätzte 1,5 Millionen Euro pro Jahr. Auch mit Zulagen können Wiener Beamte ihr Gehalt ordentlich auffetten: Von der Flohmarktkontrollzulage bis zur Wassermessprämie wird fast jeder Handgriff extra belohnt.

Am teuersten ist aber, dass die Länder bei den Pensionsreformen für ihre Beamten noch zögerlicher sind als der Bund. Allein in Wien, wo zwei Drittel der Landesbeamten in Frühpension gehen, stiegen die Ausgaben für deren Pensionen zwischen den Jahren 2002 und 2007 um ein Fünftelprozent auf 563 Millionen Euro. Auch in anderen Bundesländern dürfen Beamte weit früher in Pension gehen als beim Bund.

Kostentreiber. Bildung, Gesundheit, Beamte – das sind die Kostentreiber im Land. Mehr als die Hälfte aller staatlichen Ausgaben fließt in diese Sektoren, selbst nach vorsichtigen Kalkulationen wären hier rund vier Milliarden Euro einzusparen. Bernhard Felderer, Vorsitzender des Staatsschuldenausschusses, hofft, „dass der Budgetdruck auf Bund und Länder diesmal zu Reformen zwingt“. Vor allem im Gesundheitssystem „schlummert das allergrößte Sparpotenzial“. Alternativen zur Verwaltungsreform gibt es wenig, und diese heißen Sparpakete und Steuererhöhungen.

Die Länder können leicht spendabel sein, schließlich ist es fremdes Geld, das sie großzügig ausgeben. Der Bund hebt die Steuern ein, über den Finanzausgleich wird ein Großteil davon an Länder und Gemeinden weitergegeben. Doch während die Gemeinden zumindest Gebühren sowie Grund- und Kommunalsteuer einheben, haben die Länder keine Steuerhoheit. Eine solche wollen sie auch nicht, denn dadurch kommen sie nie in die Verlegenheit, sich beim Bürger unbeliebt zu machen. Finanzstaatssekretär Reinhold Lopatka hält dies für das Grundübel: „Eben weil die Länder keine Steuern einheben müssen, haben sie in vielen Bereichen kostspielige Strukturen geschaffen. Deshalb werden wir um eine Debatte nicht her­umkommen, welche Steuern wir in die Verantwortung der Länder geben.“ Einen „Steuerwettbewerb zwischen den Ländern“ hielte Lopatka für „durchaus sinnvoll“.

Derlei Überlegungen waren schon in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gewälzt und wieder verworfen worden – aus einem einfachen Grund: Der Steuerwettbewerb in der EU ist ohnehin hart genug, da muss man sich innerhalb der schmalen Grenzen Österreichs nicht noch zusätzlich das Leben schwer machen.

Die vernünftigste und auf Dauer budgetverträglichste Lösung wäre die Abschaffung der Landesregierungen. Es gibt keine Kompetenzen, die nicht entweder auf Bundesebene verlagert oder den Gemeinden überantwortet werden könnten, was Nachbarländer wie Tschechien oder Bayern, beide an Größe und Einwohnerzahl mit Österreich vergleichbar, beweisen.
Wie man mit den Landesverwaltungen verfährt, bleibt dann der Fantasie überlassen: Entweder bündelt man sie in drei Verwaltungsregionen, wie der frühere steirische ÖVP-Politiker Gerhard Hirschmannn vorgeschlagen hat; oder man degradiert sie zu neun Verwaltungseinheiten ohne Gesetzeskompetenz, wie es Nationalbankpräsident Claus Raidl vorschwebt. Aber sicher ist: Bund und neun Länder kann sich Österreich nicht mehr leisten. Sonst wird die Prognose von Claus Raidl zutreffen, der sagt: „Wir haben den Sozialismus überlebt, wir haben uns im Kapitalismus gut eingerichtet. Aber am Föderalismus werden wir noch ersticken.“

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin