„Wir alle sind Kinder von Migranten“

Interview. Der tschechische Außenminister Karl Schwarzenberg über Islamophobie in Österreich

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profil: Sie sind derzeit der beliebteste Politiker Tschechiens und vor allem bei der Jugend sehr angesehen. Wie macht man das als 72-jähriger millionenschwerer Aristokrat, der es ablehnt, mit einem Computer zu arbeiten?
Schwarzenberg: Meine Zustimmungs­rate ist schon wieder gesunken, das ist logisch, weil ich eben jetzt in der Regierung bin. Und ja, ich arbeite lieber mit Papier und Bleistift, aber ich muss mit diesen ganzen Geräten ja nicht selbst umgehen können, das machen andere für mich, auch wenn mich BlackBerries, iPhones und dergleichen schon faszinieren. Der Name ist weder ein Vorteil noch ein Hindernis – das gleicht sich aus.

profil: Warum mögen die Jungen Sie so?
Schwarzenberg: Das ist leicht erklärbar: Bekanntlich hat man zu den Großeltern oft ein viel besseres Verhältnis als zur Elterngeneration.

profil: Im Wahlkampf haben Sie sich als transparenter Politiker inszeniert, der keine Geheimnisse hat.
Schwarzenberg: Dazu stehe ich nach wie vor, die Leute sollen ruhig fragen und alles über mich wissen, es gibt keinen Grund, Geheimnisse zu haben.

profil: Dann frage ich Sie: Wie viel von ­Ihrem geschätzten Vermögen von 200 Millionen Euro haben Sie in der Krise ver­loren?
Schwarzenberg: Erstens hat die Stiftung vielleicht 200 Millionen, dessen bin ich mir auch nicht sicher. Aber die ist ja bereits seit 22 Jahren von mir getrennt. Ich bin heute nur mehr ein Mittelständler. Die Bewirtschaftung habe ich vor Jahren an meinen Sohn übergeben. Der Altbauer hat ausgedient, jetzt kann ich nur hoffen, dass mich mein Sohn gut ausbezahlt.

profil: Das klingt nicht sehr transparent. Sie wissen tatsächlich nicht, ob die Schwarzenbergs in der Krise verloren haben oder nicht?
Schwarzenberg: Soviel ich weiß, dürfte mein Sohn nicht viel verloren haben. Bedauer­licherweise haben wir derzeit kaum Geld bei den Banken, der Forstbetrieb ist aber wenig betroffen. Aber vielleicht ist das alles Blödsinn, was ich hier sage. Sie müssen wirklich meinen Sohn fragen.

profil: Sie haben den Tschechen ein hartes Sparprogramm zugemutet. Die Krise ist aber noch nicht ausgestanden. Wäre es nicht klüger, jetzt in die Konjunktur zu investieren, anstatt den Rotstift anzusetzen?
Schwarzenberg: Darüber mögen Paul Krugman und andere US-Ökonomen diskutieren. Die Kritik, die vor allem aus den USA kommt, kann nicht für ein kleines Land wie Tschechien gelten: Die USA können sich als wirtschaftliche Supermacht große Schulden leisten, Tschechien kann das nicht. Vor zwei Jahren war Lettland mit einer Staatsverschuldung von 36 Prozent pleite, Staaten wie Amerika oder Japan wären glücklich, wenn sie diesen vergleichsweise geringen Verschuldungsgrad hätten. Es ist nun einmal so: Kleine Länder können es sich nicht leisten, nicht zu sparen.

profil: Das bedeutet im Umkehrschluss, Europas größter Wirtschaftsmotor Deutschland sollte kräftig investieren und sich verschulden.
Schwarzenberg: Das behaupten Sie jetzt. Deutschland ist doch mit seinem Kurs ganz gut gefahren. Wenn man sich die Wirtschaftsdaten ansieht, dann müssten die Kritiker der Merkel-Regierung eigentlich verstummen. Die Regierung hat Erfolg gehabt, Punkt.

profil: Das große Sparprogramm in Deutschland ist aber entgegen den anfänglichen ­Ankündigungen von Angela Merkel ausgeblieben.
Schwarzenberg: Da haben Sie auch Recht, dem gepredigten Wasser wurde doch recht viel Wein beigemengt. Und dieses Konzept hat sich als erfolgreich erwiesen.

profil: Vor allem die osteuropäischen Länder sind erstaunlich schnell aus der Krise gekommen. Worauf führen Sie das zurück?
Schwarzenberg: Ich kann hier vor allem für Tschechien sprechen. Zum einen hatten wir kaum Staatsschulden und deshalb in der Krise mehr Spielraum. Ein Vorteil war auch, dass wir – anders als andere osteuropäische Länder – kaum Fremdwährungskredite von Banken bekamen. Außerdem haben wir seit dem Fall der Mauer eine gesunde und starke tschechische Krone entwickelt, diese alte Währung gibt es ja sonst in den früheren Ländern der Monarchie nicht mehr. Zuletzt hat uns die schnelle Erholung Deutschlands als Europas führende Exportmacht ge­holfen.

profil: In den USA springt die Wirtschaft noch nicht so recht an, in Washington fragt man sich mittlerweile: Was haben die Europäer besser gemacht als wir?
Schwarzenberg: Die USA haben gewaltige finanzielle Lasten auf sich geladen, das wirkt sich jetzt eben doppelt und dreifach aus. Grund zu Überheblichkeit in Europa sollte es dennoch keinen geben. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir unseren Wohlstand in erster Linie den USA verdanken, die in überwiegendem Maß für die europäische Sicherheit gesorgt haben, das gilt auch für Österreich. Bildlich gesprochen: Meinem Bruder vorzuwerfen, dass er in finanziellen Schwierigkeiten ist, wenn er mich über 40 Jahre lang versorgt hat, ist doch ziemlich dreist.

profil: Der Reformvertrag von Lissabon ist nach heftigem Widerstand – vor allem von Ihrem Präsidenten Václav Klaus – doch noch zustande gekommen. Sind Sie als glühender Europäer damit zufrieden?
Schwarzenberg: Das muss man pragmatisch sehen. Es ist eine Zwischenlösung und sicher nicht ideal. Natürlich hätte ich für Europa lieber eine Verfassung. Der Lissabon-Vertrag ist ein Kompromiss zwischen 27 Staaten, die seit Jahrhunderten unterschiedliche Interessen verfolgen und kulturell heterogen sind. Wenn man aber weiß, wie viel Mühe und nächtelange Sitzungen hinter dem Vertrag von Lissabon stecken, muss das als Erfolg gesehen werden.

profil: Herman Van Rompuy ist europäischer Präsident, Catherine Ashton ist Außenministerin – das sind nicht gerade große Persönlichkeiten …
Schwarzenberg: Kennen Sie sie so gut? Man kann die Europäische Union nicht an ihren einzelnen Staaten oder Personen messen. Europa verändert sich ständig, ich sage sogar: Nichts verändert sich so schnell wie die Union. Natürlich sind wir noch zu national orientiert und von unseren Vorurteilen gegen den jeweiligen Nachbarn geprägt. Vorurteile verliert man nicht von heute auf morgen, all das dauert viel länger als nur eine Generation. Ich habe übrigens Catherine Ashton in Berlin kennen gelernt und halte sie für eine sehr kompetente Dame …

profil: Aber?
Schwarzenberg: Aber sie ist sehr von Großbritannien und Westeuropa geprägt, wir Tschechen, die Polen und auch die Österreicher müssen ihr beibringen, dass die europäische Außenpolitik nicht vorwiegend von Großbritannien und Frankreich und den so genannten „alten Staaten“ gestaltet wird. Das zu schaffen wird noch eine lange und zum Teil unangenehme politische Diskussion mit sich bringen.

profil: Erfolgreich agiert die EU in den großen Krisen jedenfalls noch lange nicht. Frankreich und Deutschland waren etwa in der Finanzkrise und bei der Rettung Griechenlands konträrer Ansicht und stürzten damit die gemeinsame Währung in eine schwere Krise.
Schwarzenberg: Ja, aber am Ende raufen sich Sarkozy und Merkel dann doch immer zusammen, und das hält den ganzen Laden zusammen. Natürlich hat sich durch die neue Interessenlage Deutschlands vieles gewandelt.

profil: Sie meinen den neuen Nationalismus unter der Regierung Angela Merkel?
Schwarzenberg: Ja, aber dieses Phänomen hat nicht erst mit Merkel begonnen, es geht auf die Zeit der Wiedervereinigung zurück: Helmut Kohl und Konrad Adenauer sind in Teilen Deutschlands aufgewachsen, die nahe an Frankreich lagen. Gerhard Schröder wurde in Niedersachsen geboren und hatte dadurch eine andere Sicht der Dinge, Merkel stammt überhaupt aus der DDR. Die Geschichte dieser Menschen hat viel mit ihrer Politik zu tun: Deutschland wendet sich zunehmend seinen nationalen Interessen zu und sieht es nicht mehr als seine Aufgabe an, Europa zu gestalten und vorwärtszu­bringen.

profil: Ist das eine beunruhigende Entwicklung?
Schwarzenberg: Das wird sich weisen. Deutschland war so viele Jahrzehnte der wichtigste Motor Europas. Dass man sich jetzt wieder nationalen Interessen zuwendet, ist eine natürliche Entwicklung. Beunruhigend wird es, wenn nationale Interessen über entscheidende Projekte Europas gestellt werden.

profil: Was im Fall Griechenlands passiert ist …
Schwarzenberg: Letztlich hat man das in Berlin eingesehen und nachgegeben. Dass den Griechen jetzt ein harter Sparkurs und strenge Kontrollen verordnet werden, halte ich übrigens für dringend notwendig. Die Korruption wuchert dort überall.

profil: Mit ihrer neuen national geprägten Identität scheinen die Deutschen noch nicht recht umgehen zu können, wie man am Beispiel Horst Köhlers sehen konnte. Er trat als Bundespräsident zurück, weil er für seine Äußerung, dass Deutschland in Afghanistan auch wirtschaftliche Interessen verfolge, scharf kritisiert worden war.
Schwarzenberg: Womit er natürlich Recht hatte! Es gehört zu den Überlebensinteressen eines Landes, neben sicherheitspolitischen auch wirtschaftliche Interessen in einem Krieg zu verfolgen. Darüber muss man laut nachdenken dürfen. Die Angriffe auf Köhler waren daher politisch feig und völlig unverständlich. Er hat ausgesprochen, was offensichtlich wahr ist. Wir müssen begreifen, dass man nicht nur aus Liebe zum Mitmenschen in den Krieg zieht.

profil: Mittlerweile wollen die Deutschen so schnell wie möglich raus aus Afghanistan, die sicherheitspolitische Lage bleibt trotz jahrelangen NATO-Einsatzes verheerend, die Taliban werden immer stärker. Soll sich der Westen zurückziehen?
Schwarzenberg: Nein, Europa soll in Afghanistan bleiben, bis sich die Lage stabilisiert hat. Es geht nicht nur darum, Solidarität mit den USA und den Afghanen zu zeigen. Das mag zwar eine Rolle spielen, ist aber sekundär. Europa, vor allem Deutschland, muss endlich klar sagen, dass es wirtschaftliche Interessen in diesem Land hat. Wenn erneut ein Taliban-Regime installiert wird, dann zahlen wir alle drauf, dann sind wir von Terror bedroht. Es wird uns noch ein jahrelanger Kampf bevorstehen, an dessen Ende nicht der Chef der NATO-Truppen auf einem weißen Pferd in Kabul einreiten und sich als siegreicher Feldherr feiern lassen wird. Es geht um eine pragmatische Lösung, in die auch die Taliban miteingebunden sein werden. Wer das nicht offen ausspricht, betrügt sich selbst.

profil: Auch die USA sind mit ihrer bisherigen Strategie in Afghanistan gescheitert. Wie zufrieden sind Sie mit der bisherigen Leistung von Barack Obama?
Schwarzenberg: Gemessen an den Erwartungen, mit denen er ins Weiße Haus einzog, konnte er nur enttäuschen, das war mir von Anfang an klar. Obama hat sicherlich beachtliche Erfolge in der Finanzpolitik gefeiert. In der Außenpolitik ist seine Bilanz noch nicht zu beurteilen. Wohin die Annäherung an Russland führt, bleibt abzuwarten. Zugutehalten möchte ich ihm, dass er zu Beginn seiner Amtszeit das Nahostproblem angegangen ist, seine Vorgänger Clinton und Bush haben das viel zu spät getan.

profil: Gemessen an seinem Vorgänger Bush, geht Obama auf Konfrontationskurs mit Israel. Ist das ein historischer Bruch?
Schwarzenberg: Obama wird in Israel mittlerweile skeptisch beäugt, das Verhältnis zwischen Washington und Israel ist abgekühlt. Objektiverweise muss man sagen, dass das irgendwann passieren musste. Unter Bush wurde fast hundertprozentig auf Israel eingegangen. Amerika hat immer noch sehr viele Interessen im Nahen Osten, und in Washington gibt es viele, die sich für Israel einsetzen. Aber die Interessen von zwei Staaten können langfristig nicht identisch sein.

profil: Wissen Sie eigentlich, dass Sie auch in Österreichs Medien ein gutes Image ­haben?
Schwarzenberg: Tatsächlich? Wieso das?

profil: Die Kommentatoren beklagen sich über konturenlose Politiker und vermissen einen „Karl Schwarzenberg in Österreich“. Gibt es Ihrer Meinung nach einen Mangel an guten Persönlichkeiten in der österreichischen Politik?
Schwarzenberg: Ich würde das nicht als spezifisch österreichisches Problem bezeichnen, wir haben in ganz Europa relativ wenige Persönlichkeiten. Das hat mehrere Gründe: Figuren wie Churchill, de Gaulle, Figl, Kreisky oder De Gasperi hatten Kriege erlebt und wurden ganz anders erzogen und sozialisiert. Die heutige Politikergeneration ist im Wohlstand aufgewachsen. Zum anderen gibt es für die großen Talente nur noch wenig Anreiz, in die Politik zu gehen, die Privatwirtschaft bietet viel mehr Gestaltungsraum und auch ein wesentlich höheres Einkommen.

profil: Wien steht kurz vor den Gemeinderatswahlen. Haben Sie schon die viel diskutierten Plakate der FPÖ gesehen?
Schwarzenberg: Ich bin in der Nacht durch Wien gefahren und hab da ein Plakat gesehen, was steht da drauf?

profil: „Mehr Mut für unser Wiener Blut“.
Schwarzenberg: Ich wusste gar nicht, dass man zum Walzertanzen Mut braucht.

profil: Die Debatte über Islam und Moscheenbau ist im Wiener Wahlkampf wieder ein großes Thema.
Schwarzenberg: Fremdenhass ist eine scheußliche Eigenschaft. Uns bedrohen nicht Minarette und Moscheen, sondern die eigene Orientierungslosigkeit. Das Problem ist nicht, dass jemand anderer für Werte und Überzeugungen einsteht, sondern dass wir eben diese verloren haben. Zugegeben, die Migration ist in den vergangenen 30 Jahren enorm angestiegen. Für ein Land, das bis dahin kaum Einwanderung kannte, war das doch sehr viel.

profil: Haben Sie ein gewisses Verständnis für xenophobe Tendenzen?
Schwarzenberg: Sicher nicht, eines muss man aber zugestehen: Wenn ein 70-Jähriger sein Grätzel nicht mehr erkennt, weil in den Parks fast ausschließlich Serbisch und Türkisch gesprochen wird, ist das ein verständliches Problem. Andererseits: Wer hat denn Österreich groß gemacht? Es waren immer die Migranten: Prinz Eugen, Radetzky, Beethoven, Mozart – sie alle sind eingewandert. Die Mehrzahl der Nobelpreisträger Österreichs sind Migranten, die vor dem Ersten Weltkrieg eingewandert waren. Wir alle sind die Kinder von Migranten.

profil: Auf dem Familienwappen der Schwarzenbergs sieht man den abgeschlagenen Kopf eines Türken. Wollen Sie das Wappen nicht irgendwann ändern lassen?
Schwarzenberg: Adolf Schwarzenberg hat die ungarische Stadt Raab von den Osmanen zurückerobert, daher kommt dieses Symbol. Ich sage Ihnen: Gerade weil wir lange gegeneinander gekämpft haben, gerade weil man sich mit dem anderen so intensiv auseinandergesetzt hat und weiß, wie klug und tapfer der andere ist, entwickelt man einen großen Respekt voreinander.

Interview: Tina Goebel, Gunther Müller