Zeitgeschichte: Der erste Spion

Zeitgeschichte: Der erste Spion

Ronge war der Geheim-dienstchef des Kaisers

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Zuletzt fand der fast 80-jährige Generalmajor in jene Welt zurück, die er durch alle Fährnisse seines Lebens nie wirklich verlassen hatte. In der zweiten Augusthälfte des Jahres 1953 organisierte er liebevoll eine Reise von Legitimisten nach Innsbruck und Meran. Noch einmal wollte er die alten Weggefährten um sich versammeln, die ihn fast ein halbes Jahrhundert lang durch Monarchie, Ständestaat und zwei Republiksgründungen begleitet hatten, und Habsburg hochleben lassen. Drei Wochen später starb Maximilian Ronge in Wien nach kurzem Spitalsaufenthalt.

Merkwürdig, dass sich die Zeitgeschichtsforschung in den mehr als fünfzig Jahren seit Ronges Tod nie ernsthaft mit dessen Leben beschäftigte. Ronge war immerhin der letzte Geheimdienstchef des Kaisers gewesen, hatte den verräterischen Oberst Redl zur Strecke gebracht, im Austrofaschismus Sozis wie Nazis ausgespitzelt und nach 1945 mit den Westmächten am Aufbau eines österreichischen Militär-Geheimdienstes gearbeitet. Ein stramm-rechter Soldatenschädel, mit dem selbst die Gestapo nicht recht umzugehen wusste: 1938 sperrte man ihn ein paar Monate lang ein, ließ ihn aber dann bis Kriegsende bei voller Offizierspension historische Studien betreiben.

Das nun erschienene, an dürren Tagebucheintragungen entlangrecherchierte Buch über Maximilian Ronge hat einen berufenen Spiritus Rector und Mitautor: Der Historiker Gerhard Jagschitz, 66, ist nicht nur eine Koryphäe seines Fachs, sondern auch Ronges Enkel. „Im Zentrum der Macht. Die vielen Gesichter des Geheimdienstchefs Maximilian Ronge“ (Residenz Verlag) ist dennoch über weite Strecken eine schonungslose Abrechnung mit einem kalten Ordnungsfetischisten. „Er war bedingungslos seiner Sache und dem Kaiser ergeben“, schreibt Jagschitz über seinen Großvater: „Wie ein Sportler durchtrainiert ist, war er durchdiszipliniert … ein Schreibtischtäter, der unter der Beschuldigung der Spionage im Ersten Weltkrieg zahlreiche Menschen ohne Skrupel und ohne eingehende Untersuchung töten ließ.“

Dynastien. Maximilian Ronge war 1874 in eine Wiener „Militärdynastie“ geboren worden. Schon der Großvater war Kanonier, der Vater arbeitete im Kriegsministerium. Die Verhältnisse der Ronges waren geordnet. Man wohnte in einem Haus im distinguierten Ober-Sankt Veit, Max war ein vorzüglicher Schüler, der nie die bedrückenden Autoritätsverhältnisse infrage stellte. Sein Weg war vorgezeichnet: Militärakademie in Wiener Neustadt, zweijährige Kriegsschule in Wien und schließlich, wegen der blendenden Abgangsbeurteilung, eine rasche Zuteilung zum Generalstab. Dabei war der damals 30-Jährige alles andere als eine imposante Erscheinung: Bei einer Körpergröße von 1,60 Metern wog der junge Familienvater – er hatte geheiratet und zwei Töchter bekommen – gerade 55 Kilo.

Ronges Förderer war der neue Generalstabschef Franz Conrad, geadelter „von Hötzendorf“, ein Kriegshetzer und Menschenverachter, der den Kaiser unablässig zu Präventivkriegen gegen Serbien und Italien drängte. Der stramme Max Ronge war ein Mann nach Conrads Geschmack. 1907 machte er ihn zum Chef der Kundschaftertruppe im „Evidenzbüro“, wie der militärische Geheimdienst damals genannt wurde. Die Agenten des Kaisers arbeiteten noch mit romantischen Mitteln wie Geheimtinten, ausgehöhlten Spazierstöcken und manipulierten Spiegeln – vor allem aber in der tiefen Überzeugung, dass die herrschende Ordnung mit allen Mitteln zu sichern sei.

Ronge konzentrierte sich auf die nationalistischen Strömungen im italienischen „Welschtirol“ und in Tschechien, aber auch auf die nach der russischen Revolution von 1905 als gefährlich erachteten Sozialdemokraten. 1910 bekam Ronge seinen ersten Orden. Im neuen Haus in der Messerschmidtgasse in Wien-Währing waren manchmal auch Vorgesetzte zu Gast wie etwa Oberst Alfred Redl, stellvertretender Chef des Evidenzbüros.

1913 entpuppte sich Redl als Spion, der die Aufmarschpläne von Habsburgs Armee gegen Russland an Agenten des Zaren verraten hatte. Er wurde überführt, als er eine Geldsendung am Postamt Fleischmarkt behob. Man stellte ihn in seinem Zimmer im Hotel Klomser. Ronge und sein unmittelbarer Vorgesetzter, Evidenzbürochef August Urbanski, rieten Redl zum Freitod. Vor Redls Zimmer warteten die beiden dann mit dem herbeigerufenen Polizeirat Johann Schober (er wurde 1921 Bundeskanzler) auf den finalen Schuss.

Nach Redls Tod stellte sich heraus, dass der Oberst homosexuelle Kontakte gepflegt hatte, was damals als höchste sittliche Verkommenheit galt. Im Büro Redls fand man ein Foto des bekannten Offiziers Theodor Körner von Siegringen mit der Widmung: „In aufrichtiger Verehrung und Dankbarkeit und treuer, warmer Freundschaft.“ Sofort ließ Ronge empört verbreiten, auch Körner sei homosexuell – eine Mär, die den späteren Bundespräsidenten über seinen Tod im Jahr 1957 hinaus begleiten sollte. Als eine Homosexuellen-Initiative im Vorjahr Körner in einer Ausstellung als einen Promi-Schwulen „outete“, deponierte die erboste Tochter einer ehemaligen Geliebten Körners einen von dessen Liebesbriefen an die Mutter bei Körners spätem Nachfolger Heinz Fischer. Fischer ließ den Brief im vergangenen Dezember veröffentlichen: „Mein geliebtes Trixl“, heißt es darin: „Gott, wie liebe ich Dich! Wie tief, demütig.“

Hinterland. In dem 1914 vom Zaun gebrochenen Krieg stand Körner an der Isonzofront, wo Generalstabschef Conrad hunderttausende Männer in den sicheren Tod hetzte. Ronge war in Galizien stationiert. „Säuberung des Kriegsschauplatzes“ von Spionen und Saboteuren lautete sein Auftrag. Verdächtige wurden meist sofort niedergemacht. Als Ronge dahinterkam, dass die russophile Bevölkerung Galiziens Botschaften per Brieftauben verschickte, wurde das Halten der Tiere mit Standrecht bedroht. Verräter würden „kurzerhand erledigt“, schrieb Ronge nach Hause, weil die Gerichte im Hinterland durch „umständliche Untersuchungen“ nur Zeit vergeudeten. So schlimm wütete die Militärjustiz, dass selbst der keineswegs zart besaitete Kaiser Franz Joseph warnte, auf diese Weise treibe man die Bevölkerung erst recht ins Lager des Feindes.

Ronge, der Ordnungsmacher hinter der Front, hatte sich durch seine Entschlossenheit dennoch profiliert. Im April 1917 machte ihn der neue Kaiser Karl zum Chef des Evidenzbüros, also des gesamten Geheimdienstes.

Am Höhepunkt seiner Karriere sah sich der nun 43-Jährige plötzlich mit einem neuen Problem konfrontiert: In St. Petersburg hatten die Roten geputscht, in Österreich legten die kriegsmüden Sozialdemokraten durch Streiks die Rüstungsbetriebe lahm. Die „Arbeiter Zeitung“ betreibe „Aufwiegelung zur Revolution“ tobte Ronge und ließ Spitzel in die Betriebe einsickern, die Aufrührer zu melden hatten.

Am 29. Oktober 1918, die Monarchie lag in den letzten Zügen, reiste Ronge nach München, um mit dem deutschen Geheimdienst Maßnahmen zur Abwehr der revolutionären Gefahr aus Russland zu besprechen. „Traurig und widerlich“ sei die Lage, schrieb er in sein Tagebuch. Zurück in Wien, verbrannte er tagelang Akten. Sie durften nicht der neuen, sozialdemokratisch geführten Regierung in die Hände fallen.

Die junge Republik legte auf die Mitarbeit Ronges keinen Wert. Der Geheimdienstchef wurde mit Rente pensioniert. Nun hatte er Zeit für Lektüre. In seiner Bibliothek standen Bücher wie „Weltfreimaurerei, Weltrevolution“, „Die Herrschaft Israels“ und „Die Lösung der Judenfrage“. 1919 trat er der „Vereinigung für Ordnung und Recht“ bei, einer Gruppe von ehemaligen Offizieren, die den Sturz der roten Renner-Regierung zum Ziel hatte. In München verhandelte die Gruppe mit dem ehemaligen Heerführer Erich Ludendorff, der wenig später zum wichtigsten Unterstützer der neuen Hitler-Bewegung werden sollte.

Rivalen. 1922 war Ronge wieder im Staatsdienst. Als Leiter der Matrikenstelle im Kanzleramt kooperierte er nun mit den Heimwehren. 1929 fiel den Sozialdemokraten ein Papier über einen „Technischen Notdienst“ in die Hände, eine Organisation der Rechten, die im Fall von Streiks die Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens sichern sollte. Unzweifelhaft stecke Generalmajor Ronge hinter dem „Kundschaftsdienst gegen die Sozialisten“, argwöhnte der inzwischen zur SP übergelaufene Theodor Körner, Ronges alter Rivale.

Nach der Zertrümmerung der Sozialdemokratischen Partei in den Februarkämpfen von 1934 beschäftigten den nun offiziell mit staatspolizeilichen Aufgaben befassten Ronge die illegalen Nazis. In Berlin hielt man ihn für äußerst gefährlich, sein Büro sei „der private Überwachungs- und Ermittlungsapparat“ von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, analysierte SS-Chef Heinrich Himmler 1937.

Als die Nazis im März 1938 in Österreich einmarschieren, liegt Ronge mit Grippe im Bett. Trotz Fieber schleppt er sich ins Amt und verbrennt wieder einmal Akten. Tags darauf holt ihn die Gestapo im Haus in der Messerschmidtgasse ab. Ronge legt die alte k. u. k. Uniform an und verstaut alle Orden in seinem Koffer. Die Reise geht ins Wiener Polizeigefängnis und anschließend mit dem ersten Prominententransport ins KZ Dachau. Zwei Wochen später wird Ronge ins Gefängnis nach München verlegt und im August 1938 wahrscheinlich auf Betreiben seines ehemaligen Gegenübers, des Geheimdienstchefs Wilhelm Canaris, freigelassen.

Der selbstbewusste Ex-Offizier Ronge beantragt nach seiner Rückkehr nach Wien bei der Gestapo die Refundierung der Reisekosten von München nach Wien. Man bezahlt sie ihm tatsächlich. Überdies darf er bei voller Pension an kriegswissenschaftlichen Studien über den Ersten Weltkrieg arbeiten. Auch das ein Freundschaftsdienst von Canaris, der – anders als Ronge – die Nazizeit nicht überlebt: Nach dem Putschversuch vom Juli 1944 wird Canaris im KZ ermordet.

Treue zu Otto. Ronge hatte während des gesamten Kriegs die Karrieren von ihm bekannten Offizieren verfolgt und Akten darüber angelegt. Seine Datensammlung bringt ihn nach Kriegsende sofort wieder ins Spiel. Er tritt der ÖVP bei und trifft sich regelmäßig mit zwei Offizierskollegen aus der Zeit des Ständestaats: Maximilian Pammer, der nun in der Staatspolizei die Zügel führt, und Emil Liebitzky, vormals Militärattaché an der Botschaft in Mussolinis Rom. Nun arbeitet Liebitzky als Sektionschef im Kanzleramt mit Wissen des US-Geheimdiensts an der Aufstellung eines österreichischen Heers. Ronge soll den militärischen Geheimdienst aufbauen.

Als Ronges alter Rivale Theodor Körner, inzwischen Wiener Bürgermeister, davon Wind bekommt, tobt er über den Aufstieg des „Denunzianten, Monarchisten“. Ronges Aktivitäten sind so exponiert, dass ihm die Übersiedlung aus dem teilweise sowjetisch besetzten Wien in die US-Zone nach Salzburg nahegelegt wird (die Sowjets sind strikt gegen die Aufstellung eines österreichischen Heers). Erst 1952 wagt sich der nunmehr 78-Jährige wieder nach Wien und trifft sich mehrmals mit Bundeskanzler Leopold Figl und dessen Nachfolger Julius Raab.

Als wenig später Ronges Frau stirbt, schickt der von ihm tief verehrte Otto Habsburg ein Kondolenzschreiben. Mit bewegten Worten dankt Ronge „seiner Majestät, dem Kaiser und König“ und bekräftigt seine „unerschütterliche Anhänglichkeit zum Herrscherhaus“. Im Juli 1953 macht er noch einmal Notizen über die Idee einer „Legion der Donauvölker“ unter Habsburgs Führung. Wenige Wochen später stirbt er als Vertreter einer untergegangenen Welt. Sein Grabstein steht am Friedhof in Wien-Gersthof.

Von Herbert Lackner