Investigativ

Causa Kurz: Finale erster Akt

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz wegen des Verdachts der Falschaussage abgeschlossen. Nun prüfen die Oberbehörden. Anklage oder nicht? Ein Schlüsselmoment.

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Es ist ein Aktenstück, das kaum nüchterner gestaltet sein könnte: wenige Absätze, sauber untergliedert mit Hilfe römischer sowie arabischer Ziffern, ein paar Unterstreichungen, viele Verweise auf Paragraphen. Keine knalligen Überschriften, stattdessen durchgehend trockenes Juristendeutsch. Und dennoch markiert dieses knapp zweieinhalbseitige Papier einen Meilenstein.

Das Dokument stammt aus dem wohl wichtigsten Ermittlungsverfahren der jüngeren österreichischen Justizgeschichte: jenem seit Mitte 2019 stetig anwachsenden Verfahrenskomplex, in dessen Rahmen diverse Verdachtslagen gegen zahlreiche – größtenteils frühere – hochrangige Vertreter von ÖVP und FPÖ geprüft werden. Die besondere Brisanz jener Anordnung, die am 4. Jänner 2023 von einer Oberstaatsanwältin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) per Unterschrift abgefertigt worden ist, liegt darin, dass sie auch mehrere Namen beinhaltet. Einer davon lautet: Sebastian Kurz.

Bericht an Oberbehörden

Mit dieser im Ermittlungsakt dokumentierten Verfügung setzt die WKStA jenes interne Prozedere in Gang, das möglicherweise in eine Anklageerhebung münden könnte. Konkret trennt sie jene Teil-Causa vom Gesamtkomplex ab, in der es um den Verdacht geht, der damalige Bundeskanzler Kurz habe im Juni 2020 vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss falsch ausgesagt. Der Verfahrenstrennung erfolgt, da die WKStA diesen Teil der Ermittlung abgeschlossen hat und für entscheidungsreif hält. Die Staatsanwaltschaft dürfte sich jedenfalls bereits festgelegt haben, ob sie Kurz vor Gericht stellen will oder nicht: Ein Sprecher bestätigte am Freitag, dass die WKStA einen sogenannten Vorhabensbericht in Bezug auf drei Beschuldigte an ihre Oberbehörden auf den Weg gebracht habe. Namen nannte die Ermittlungsbehörde nicht.

Von der jüngst angeordneten Verfahrenstrennungen ist nicht nur Kurz betroffen, sondern auch dessen ehemaliger Kabinettschef im Bundeskanzleramt sowie die frühere Casinos-Managerin Bettina Glatz-Kremsner. Sie alle stehen im Verdacht der Falschaussage, sie alle bestreiten strafrechtliches Fehlverhalten: Kurz und sein früherer Büroleiter tätigten die umstrittenen Aussagen vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss des Nationalrats. Dabei ging es unter anderem um die Besetzung des Aufsichtsrats und des Vorstands der staatlichen Beteiligungsholding ÖBAG im Jahr 2019. Glatz-Kremsner wiederum steht im Verdacht, sowohl vor dem U-Ausschuss als auch als Zeugin bei der Staatsanwaltschaft die Unwahrheit gesagt zu haben – dies in erster Linie zu Themen rund um die Casinos Austria. Zum Inhalt des Vorhabensberichts hüllt sich die WKStA in Schweigen. Dieser kann sowohl auf eine Anklageerhebung, auf eine Diversion oder aber auf eine Verfahrenseinstellung abzielen. Zunächst prüft die mit der Fachaufsicht betraute Oberstaatsanwaltschaft (im konkreten Fall ist das jene in Innsbruck) das Vorhaben der WKStA, in weiterer Folge dann das Justizministerium, das auch den sogenannten Weisungsrat damit befasst. Gegebenenfalls könnten die Oberbehörden die WKStA auch anweisen, weitere Ermittlungen vorzunehmen.

„Vorwürfe falsch“

Der Anwalt von Sebastian Kurz, Werner Suppan, erklärte gegenüber der Austria Presseagentur, es werde krampfhaft versucht, die Aussagen seines Mandanten falsch zu interpretieren. „Wie viele Vorwürfe der WKStA“ werde sich auch dieser als falsch herausstellen. Dreißig Zeugen hätten Kurz bisher mit ihren Aussagen entlastet, behauptet Suppan.

Nicht entlastet wurde Kurz jedenfalls durch die Aussagen von Thomas Schmid. Der frühere Generalsekretär im Finanzministerium und spätere ÖBAG-Chef strebt bekanntlich Kronzeugenstatus an und hat im Vorjahr umfassend als Beschuldigter ausgesagt. Dabei wurde Schmid auch zur Rolle von Kurz bei der Bestellung der Führungsgremien der Staatsholding gefragt.

Laut Verdachtslage soll Kurz nämlich im U-Ausschuss seine Rolle bei der Besetzung des ÖBAG-Vorstands mit Schmid und des ÖBAG-Aufsichtsrats heruntergespielt haben. Mit Blick auf seine eigene damalige Bewerbung gab Schmid zu Protokoll: „Aus meiner Sicht war Sebastian Kurz hier viel stärker involviert und wir haben uns regelmäßig über diese Themen ausgetauscht … “

Zur Auswahl der Aufsichtsräte meinte Schmid: „Von den Vieren auf ÖVP-Ticket nominierten Aufsichtsräten hat er meiner Wahrnehmung nach bis auf Dr. Susanne Höllinger alle selbst ausgesucht und die diesbezüglich faktische Entscheidung getroffen. “

Chat-Analyse

Ins Rollen gebracht wurden die Ermittlungen wegen mutmaßlicher Falschaussage nicht zuletzt durch die Handy-Chats von Thomas Schmid, welche die WKStA sicherstellen und auswerten konnte. Bereits als Kurz, der damals noch Bundeskanzler war, im Mai 2021 formell von der Einleitung desVerfahrens verständigt wurde, legte die Behörde die Verdachtslage detailreich auf insgesamt 58 Seiten dar: inklusive Chat-Analyse und semantischer Überlegungen.

Für die weitläufigen Ermittlungen gegen zahlreiche ehemalige und aktive Parteigänger der ÖVP sowie gegen die Partei selbst ist die nunmehrige Entscheidung über eine allfällige Anklage gegen Sebastian Kurz ein Schlüsselmoment. Zwar hat die WKStA Ende November 2022 eine – noch nicht rechtswirksame – Anklageschrift gegen die frühere ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin-Schaller eingebracht. Als früherer Kanzler und Parteichef nimmt Kurz unter den zahlreichen Beschuldigten im gesamten Ermittlungskomplex aber zweifelsohne eine Sonderrolle ein. Nicht Teil des nunmehrigen Vorhabensberichts sind übrigens die Vorwürfe gegen Kurz in Zusammenhang mit der „Causa Umfragen“ , in der es um den Verdacht geht, das Finanzministerium hätte Meinungsumfragen bezahlt, die der ÖVP zugute kamen. Diese Ermittlungen laufen weiter. Auch diesbezüglich bestreitet Kurz sämtliche Vorwürfe, auch diesbezüglich wird der Ex-Kanzler von Thomas Schmid schwer belastet.

„Amtsgeschäft“ vs. „Massengeschäft“

Ein anderer früherer Parteichef konnte vergangene Woche übrigens einen wichtigen Zwischenerfolg auf der juristischen Ebene für sich verbuchen: Ex-FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache wurde in einer Causa rund um einen mutmaßlichen Bestechungsvorwurf erstinstanzlich freigesprochen – die WKStA hat Rechtsmittel angemeldet, das Urteil ist dahervnicht rechtskräftig. Es handelte sich um die Wiederholung eines Gerichtsverfahren, das zum ersten Mal 2021 durchgeführt worden war. Damals endete der Prozess noch mit einem Schuldspruch und 15 Monaten Haft auf Bewährung für Strache. Dieser habe sich – so die Einschätzung der damaligen Richterin – auf unerlaubte Weise für einen befreundeten Unternehmer eingesetzt, und zwar im Gegenzug für Parteispenden.

Der frühere FPÖ-Chef bekämpfte das Urteil jedoch und erreichte, dass dieses vom Oberlandesgericht Wien (OLG) aufgehoben wurden. Die neuerliche Durchführung unter Bedachtnahme auf die OLG-Entscheidung brachte für Strache und den mitangeklagten Unternehmer nun Freisprüche. Ein wesentlicher Unterschied zum ersten Prozessdurchlauf war die rechtliche Bewertung von Gesetzesanträgen durch Oppositionsparteien im Nationalrat.

Die ursprüngliche Richterin sah darin ein Amtsgeschäft, die zweite – offenbar nach entsprechender Anregung des OLG – nunmehr nur ein „Massengeschäft“ . Fällte die erste Richterin ihr Urteil noch auf Basis einer herausgearbeiteten Indizienkette und mit dem Verweis, dass Korruption eben ein „Heimlichkeitsdelikt“ sei, fehlte dem Gericht diese Mal offenbar eine „Smoking gun“ . Es sah keinen Beweis für Korruption. Nun ist erneut die nächste Instanz am Zug.

Auch gegen Strache wird noch im großen Verfahrenskomplex ermittelt. Er hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).