Morgenpost

NÖ, c‘est moi!

In Niederösterreich rüstet sich die Volkspartei zur Mutter aller Wahlschlachten – und versucht, gleich das gesamte Bundesland für sich zu vereinnahmen.

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Lange übte sich die Volkspartei in plakativer Zurückhaltung - wer das Wahlvolk über die Feiertage mit zu viel Politik belästigt, vergrault es am Ende noch. Doch nun sind die besinnliche Weihnachtszeit und der Jahreswechsel endgültig vorbei, und die ÖVP in Niederösterreich zündet den Kampagnen-Turbo. Am 29. Jänner steht die Landtagswahl an. Heute um 19 Uhr startet die Volkspartei unter Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner bei einem Event in St. Pölten mit 2.500 erwarteten Gästen den Intensivwahlkampf. Man kann sicher sein: Die ÖVP wird alles in die Schlacht werfen, was sie nur irgendwie mobilisieren kann.

Wer die niederösterreichische Landtagswahl mit einer reinen Regionalwahl verwechselt, unterschätzt deren Bedeutung für die Volkspartei. Niederösterreich ist ihr Kernland, ihre Machtbasis – ähnlich wie Wien für die SPÖ. Solange im Regierungsviertel in St. Pölten die politische Welt für die ÖVP in Ordnung ist, verschmerzt die Partei selbst gröbere Probleme auf Bundesebene.

Heimat großer ÖVP-Töchter und -Söhne

Wie wichtig das Bundesland für die Volkspartei ist, mag man unter anderem am Personal messen, das von dort aus zu höheren Weihen entsandt wurde: Das im Machtgefüge jeher zentrale Innenministerium gilt fast schon als Erbpacht der ÖVP Niederösterreich – der jetzige Minister Gerhard Karner ist da keine Ausnahme. Zuvor war Karner Zweiter Landtagspräsident in St. Pölten und hatte mehr als ein Jahrzehnt lang als Landesgeschäftsführer die Geschicke der niederösterreichischen Volkspartei mitgelenkt. Einige niederösterreichische Vorgängerinnen und Vorgänger Karners an der Spitze des Innenressorts: Wolfgang Sobotka (heute Erster Nationalratspräsident), Johanna Mikl-Leitner und Liese Prokop.

Ex-Innenminister Karl Nehammer – heute Bundeskanzler – ist zwar eigentlich Wiener, gilt aber ebenfalls als politisch in der ÖVP Niederösterreich sozialisiert. Selbst ein gewisser Sebastian Kurz aus Wien Meidling, der zu diesem Zeitpunkt innerhalb seiner Partei längst Wunderkind-Status genoss, hielt es für nötig, sich in seinem ersten Wahlkampf als Bundesparteiobmann zum Niederösterreicher zu stilisieren („Bauernhof der Großeltern im Waldviertel“).

Aktuell in der Bundesregierung sitzt auch noch Verteidigungsministerin Klaudia Tanner. Sie hat das politische Geschäft beim ÖVP-Bauernbund in Niederösterreich gelernt. Und sogar für den unangenehmsten Job, den die Volkspartei in den vergangenen Jahren zu vergeben hatte, fand sich ein Niederösterreicher des Vertrauens: Andreas Hanger, Nationalratsabgeordneter aus Ybbsitz, musste rund um den ÖVP-U-Ausschuss der Öffentlichkeit auseinandersetzen, warum seine Partei kein Korruptionsproblem habe, sondern politisch verfolgt werde. Meine Kollegin Iris Bonavida hat Hanger für die aktuelle profil-Ausgabe interviewt – unter anderem auch zum Thema Niederösterreich-Wahl. Der Abgeordnete sagt: „Ich glaube, dass wir an Mandaten und an Prozenten nicht zulegen werden. Aber ich gehe von einem sehr guten Ergebnis aus.“ 

Blau-gelb statt schwarz-türkis

Angesichts der schweren Krise, in der die Volkspartei aktuell auf Bundesebene steckt, geht es für Mikl-Leitner und ihre Getreuen nun darum, möglichst viel von der Macht im eigenen Kernland zu bewahren. 2013 konnte die ÖVP noch mehr als fünfzig Prozent der Stimmen einfahren. 2018 – im ersten Wahlkampf Mikl-Leitners als Spitzenkandidatin – rutschte die Partei zwar haarscharf unter diese Marke, verbuchte aber immer noch eine absolute Mandatsmehrheit.

Wohl auch, damit die Imageprobleme der Bundes-ÖVP nicht allzu sehr abfärben, hat sich die Landespartei im Wahlkampf kurzerhand selbst zur „Niederösterreich Partei“ ernannt und vereinnahmt damit kommunikativ gleich einmal das gesamte Bundesland. Frei nach Ludwig XIV.: „L‘État, c‘est moi!“ - „Der Staat bin ich!“ Was schwingt da mit? Ein bisschen Sehnsucht nach Absolutismus? Ein gehöriges Maß an Selbstüberschätzung? Fest steht: Der französische Sonnenkönig musste sich seinerzeit nicht dem Urteil der Wählerinnen und Wähler stellen.

Beim erbitterten Kampf um jede Stimme präsentiert sich die ÖVP Niederösterreich nun weder schwarz, noch – Gott bewahre! - türkis, sondern blau-gelb. Wobei die Gleichsetzung der Landes- mit der Parteifarbe keine neue Erfindung ist. Dies praktizierte schon Mikl-Leitners Vorgänger Erwin Pröll meisterhaft. Selbst die eher hartgesottenen Polit-Strategen um den damaligen Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider (FPÖ, BZÖ) blickten in jener Zeit neidvoll nach Niederösterreich. Bei ihren eigenen Versuchen, Land und Partei optisch gleichzusetzen, verloren sie dann aber offenbar ein wenig den Überblick: Noch Jahre später beschäftigte sich die Justiz mit - in Kärntner Landesfarben gehaltenen - BZÖ-Wahlkampfschals, die statt von der Partei vom Land bezahlt worden waren.

Die Vereinnahmung und ihre Folgen

Selbst wenn die Vereinnahmung nur kommunikativ erfolgt und nicht in unklare Abrechnungsvorgänge mündet, ist sie alles andere als unproblematisch. Einerseits wird – stark verkürzt bis offen faktenwidrig – suggeriert, dass alles, was in Niederösterreich gut ist, von der ÖVP stammt. (Der Gestaltungskraft von Landesregierungen hat die Eleganz der österreichischen Bundesverfassung Grenzen gesetzt, welche auch die Realverfassung nicht immer zu sprengen vermag.) Andererseits führt diese Kommunikationsstrategie zum impliziten Vorwurf, dass jeder, der nicht für die Volkspartei ist, ein Gegner Niederösterreichs wäre. Subtext für die Kernwählerschaft am Land: Wer gegen die ÖVP stimmt, ist ein Nestbeschmutzer.

Möglicherweise hilft das, entscheidende Wählerpotenziale zu mobilisieren. Gleichzeitig führt diese Strategie jedoch zu einer noch stärkeren Polarisierung. Ein bedeutender Kollateralschaden, der nach dem Wahltag nicht einfach wieder verschwindet – egal, welche Farbe man darüberpinselt.

Stefan Melichar

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).