Interne Unterlagen: Wie der Alpenverein gegen die Energiewende kämpft
Vergünstigte Nächtigungen auf Hütten, Versicherungsschutz bei Bergsport und ein breites Kursangebot: Über 700.000 Mitglieder des Österreichischen Alpenvereins (ÖAV) schätzen Leistungen wie diese. Vielen gilt der mitgliederstärkste Bergverein Österreichs als Hüter der Berge und als Vorreiter in Sachen Naturschutz. Doch dieses Image bröckelt. Die menschengemachte Erderhitzung trifft die Alpen mit voller Wucht – und der Alpenverein weiß das. „Die Alpen zählen zu den am stärksten von der Klimakrise betroffenen Regionen Österreichs. Durch zunehmende Starkregenereignisse, Vermurungen und Steinschläge geraten nicht nur Hütten und alpine Wege unter Druck“, sagte die Klimakoordinatorin des Vereins, Deniz Branke, erst vor wenigen Wochen.
Soweit die Außendarstellung des Alpenvereins, der sich zuletzt auch immer wieder für eine klimabewusste Anreise zu Bergsportaktivitäten, bevorzugt mit den Öffis, aussprach, an Politik und Wirtschaft zur Treibhausgasreduktion appellierte – und an autarken Berghütten arbeitet. In internen Dokumenten zeigt sich ein anderes Bild des Alpenvereins, von dem die Öffentlichkeit bisher kaum etwas mitbekommen hat.
„die Festlegung von Kriterien durch den Verein, sodass kaum Spielraum für deren Errichtung (erneuerbare Energieprojekte; Anm.) bleibt.“
Zwar ist bekannt, dass sich der Alpenverein gegen Windräder auf Bergen ausspricht. Spätestens seit der Volksbefragung in Kärnten am 12. Jänner, als die Kärntnerinnen und Kärntner gefragt wurden, ob „die Errichtung weiterer Windkraftanlagen auf Bergen und Almen in Kärnten landesgesetzlich verboten werden“ soll. Hochrangige Alpenvereins-Mitglieder in Kärnten mobilisierten im Vorfeld der Befragung Seite an Seite mit der FPÖ für „Ja“-Stimmen.
Tiefer blicken lassen Folien in PowerPoint-Präsentationen aus dem Sommer 2024 mit dem Titel „Der Alpenverein und die Windkraft Update“. Die Abteilung Raumplanung und Naturschutz des ÖAV-Dachverbandes skizziert auf 13 Folien, wie mit künftigen Windkraftprojekten umgegangen werden könnte. Diskutiert wurden diese Folien im Rahmen eines sogenannten „Sektionen-Updates“ – bei diesen Online-Meetings informieren Vertreterinnen und Vertreter des Dachverbandes Führungskräfte der knapp 200 Sektionen, der Landesverbände und Mitglieder des Bundesausschusses des Österreichischen Alpenvereins.
Das 2013 beschlossene Credo „Energiewende kritisch mitgestalten“ wird auf einer der Folien in drei Punkte unterteilt: In Punkt eins soll „politischer Einfluss im Rahmen von Interventionen (z.B. Ausschlusszone Alpenkonventionsperimeter, 1.600 MüA)“ ausgeübt werden. Der zweite Punkt sieht eine „energiewirtschaftliche alpine Raumplanung“ vor. Interessant ist aber vor allem der dritte Punkt: „die Festlegung von Kriterien durch den Verein, sodass kaum Spielraum für deren Errichtung bleibt“, steht auf der Vortragsfolie.
Dass der Alpenverein Berge, Almen, unberührte Natur schützen möchte, ist nachvollziehbar. Und entspricht dem Ursprungsgedanken, wie es auch in der PowerPoint-Präsentation unter dem Punkt „…wo kommen wir her?“ betont wird: „Der DuOeAV (Deutscher und Österreichischer Alpenverein; Anm.) bekennt sich grundsätzlich zum Gedanken des Naturschutzes in den Alpen. Er will das Hochgebirge unberührt erhalten von Seilbahnen, Industrieanlagen und geschäftiger Ausnützung jeder Art.“ Der Alpenverein sieht die Berge in Gefahr – auch aufgrund eines Gesetzesvorhabens aus Brüssel, das in den Folien thematisiert wird.
Gegenwind für Windkraft
Im Rahmen einer EU-Richtlinie muss Österreich die Stromerzeugung aus Wind-, Wasser- und Sonnenkraft bis 2030 erhöhen. Bis Februar 2026 haben die Mitgliedsstaaten (formal verantwortlich sind hierzulande die Bundesländer; Anm.) Zeit, sogenannte „Beschleunigungszonen“ dafür auszuweisen. In diesen Zonen sollen bereits vorab strategische Umweltprüfungen – wie das auch bei großen Straßenbauprojekten üblich ist – durchgeführt werden. Damit soll später die Verfahrensdauer vom Projektstart bis zur Eröffnung (beispielsweise eines Windparks; Anm.) verkürzt werden. Zusätzlich dazu verfolgt Österreich aber zwei weitere Ziele, für die es laut Expertinnen und Experten dringend mehr Windräder braucht. Zum einen möchte Österreich die eigene Stromerzeugung bereits in viereinhalb Jahren bilanziell zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien decken. Zum anderen soll Österreich 2040 klimaneutral sein.
„Zu den kostengünstigen Schlüsseloptionen gehören aufgrund der großen Potenziale die Windkraft und Photovoltaikanlagen. Die Wasserkraft ist eine weitere wichtige erneuerbare Energiequelle für die Stromerzeugung, aber hier sind die entsprechenden Potenziale bereits weitgehend ausgeschöpft“, schreiben die Forscherinnen und Forscher im zweiten Sachstandsbericht zum Klimawandel in Österreich. In Vorträgen, Interviews und Gastkommentaren leugnen Alpenvereinsvertreter aber nicht nur die Notwendigkeit von Strom durch Windkraft – sie mobilisieren auch gegen Projekte, die weder im (Hoch-)Gebirge noch in Schutzgebieten liegen.
Desinformationsveranstaltung mit Alpenvereinsvertreter
Ein Zeitsprung zurück in den Mai 2024. Es ist ein kühler Freitagabend im Mühlviertel als in einem Wirtshaus in Mardetschlag über ein geplantes Windkraftprojekt diskutiert wird. Oberösterreichs Landesumweltanwalt hat zu einem Informationsabend eingeladen, der sich später als Desinformationsabend herausstellen wird. Es geht um einen „Geheimplan für das Mühlviertel“, ein angeblich parallel zum Windpark geplanten Gaskraftwerk, aber auch um Schäden durch Infraschall, den Windräder erzeugen würden.
Umweltverträglichkeitsgutachten wurden pauschal als gekauft und manipuliert dargestellt. Falschaussagen, die bereits zuvor – auch von profil – mehrfach richtig gestellt wurden. Mittendrin ist auch Herbert Jungwirth vom oberösterreichischen Alpenverein. Auch seine Präsentationsfolien bieten ausschließlich Gegenwind für die Windkraft.
„Alles, was gegen die Natur ist, hat auf Dauer keinen Bestand”, zitiert Jungwirth in seiner Begrüßung den britischen Naturforscher Charles Darwin. Er betont die schöne Landschaft im Mühlviertel, präsentiert Grafiken, wie bedeutungslos der durch Windkraft erzeugte Strom sei. Danach zeigt er brennende Windräder, ein beschädigtes Windrad in Deutschland, bei dem Öl austritt und von den Rotorblättern getötete Tiere. Das alles könne nicht im Sinne der Mühlviertlerinnen und Mühlviertler sein, bleibt inhaltlich zusammengefasst übrig. Als Lösung für den ansteigenden Stromverbrauch – angetrieben durch die Elektrifizierung des Individualverkehrs sowie zahlreicher Industriebetriebe und Wärmepumpen im Gebäudesektor – plädiert er dafür, Strom einzusparen. Jungwirth ist längst nicht der einzige prominente Vertreter des Alpenvereins, aber gegen die Windkraft referiert er bereits seit mindestens zwölf Jahren, wie ein Blick in ältere Unterlagen zeigt.
„Zerstörung der Sichtachsen“
Es handelt sich um eine Präsentation, die im Rahmen der Jahreskonferenz 2013 der Nationalparks Austria gezeigt wurde. Inhaltlich geht es darin um „Wasserkraftwerke, Windkraft, Skierschließungen & mehr: Interessenskonflikte rund um Nationalparks“. Auf einer der ersten Folien geht es um die „Verspargelung des Horizonts“. Konkret gemeint ist ein Windkraftprojekt aus dem Jahr 2013 im oberösterreichischen Ennstal. Ein Vorhaben der Energie AG, das acht Windräder umfasst hätte. Im Gemeinderat von Reichraming hatte das Projekt bereits grünes Licht – es scheiterte aber schließlich aufgrund des nicht ausreichenden Windaufkommens. In der Präsentation soll eine Fotomontage darstellen, dass Sichtachsen aus dem oberösterreichischen Alpenvorland bis zu den alpinen Bereichen durch Windräder verstellt werden könnten. Laut Fotonachweis eine Montage von Herbert Jungwirth und einer weiteren Person aus dem oberösterreichischen Alpenverein, der Sektion Steyr.
Zurück zur PowerPoint-Präsentation des ÖAV aus dem Sommer 2024. Auf profil-Nachfrage erklärt der Alpenverein, dass diese Folien nicht der offiziellen Position des ÖAV entsprechen. Die drei Ansätze, wie man das Credo „Energiewende kritisch mitgestalten“ weiterentwickeln könnte, „wurden als Diskussionsimpulse formuliert (...). Es ging darum, eine Diskussion anzustoßen“, so der Pressesprecher. Wie aber soll nun weiter umgegangen werden mit der Windkraft? Dieser Frage geht die Folie 13 nach. Neben der Empfehlung, dass sich Landesverbände zusammenschließen sollten, wenn „vergleichbare Voraussetzungen“ bestehen, finden sich die Punkte „Jedenfalls Verbotszonen fordern“ und „Politisches Lobbying“. Das ist keinesfalls verwerflich, es ist eine der zentralen Aufgaben von Vereinen und NGOs ihre Anliegen zu den Entscheidungsträgern zu bringen und dort zu diskutieren. Wie „Politisches Lobbying“ konkret aussehen kann, zeigt ein Blick nach Kärnten.
Seite an Seite mit der FPÖ
Weitere Windräder bauen oder diese gänzlich verbieten? Diese Frage beschäftigt die Kärntner FPÖ seit Jahren, wie Social-Media-Postings von Landesparteichef Erwin Angerer zeigen. Bei Veranstaltungen sprechen aber nicht nur Angerer und Parteigenossen, gern gesehene Vortragende sind Erich Auer, Landesnaturschutzreferent des ÖAV Kärnten und sein oberösterreichischer Mitstreiter, Herbert Jungwirth. Seit Juni 2023 nutzten die beiden Vertreter des Alpenvereins mehrfach die gebotenen Bühnen der Freiheitlichen, um ihre Sicht zur Windkraft zu schildern. Die FPÖ wiederum bediente sich nicht nur an den Positionen, auch Unterlagen und Grafiken des ÖAV wurden übernommen. Eine vom Alpenverein erstellte Grafik zu den Windkraftstandorten diente den Kärntner Freiheitlichen in sämtlichen Pressekonferenzen bis zur Volksbefragung am 12. Jänner.
„Für mich ist es sehr unglücklich, wie das läuft, weil es parteipolitisch ausgeschlachtet wird. Es ist immer schwierig, wenn eine Partei die Forderungen aufgreift, die man selbst schon jahrelang hat“, sagte Alpenvereinspräsident Wolfgang Schnabl angesprochen darauf im Dezember 2024 im profil-Interview. Auf Nachfrage betont der Alpenverein, dass Auer denselben Vortrag auch auf Einladung der SPÖ im Kärntner Landtag vorgetragen habe, „dabei wurde immer auf Grundlage unseres Positionspapiers argumentiert.“
Bei einigen Mitgliedern kam die Haltung zur Windkraft und die gemeinsamen Auftritte mit der FPÖ aber nicht gut an. „Dass ich mich da parteipolitisch in ein Nest hineinsetze und auf offensichtlichen Parteiveranstaltungen auftrete und positioniere – als überparteilicher Verein geht so etwas eigentlich überhaupt nicht“, sagt ein ehemaliges Alpenvereinsmitglied, das rund um die Debatte zur Volksbefragung ausgetreten ist, zu profil.
Kurz vor der Volksabstimmung betonte der ÖAV, keine konkrete Empfehlung für ein „Ja“ oder „Nein“ abgeben zu wollen. Bei einer Wahlbeteiligung von rund 35 Prozent sprachen sich schließlich 51,5 Prozent für ein Verbot von Windrädern auf den Kärntner Bergen und Almen aus. Rechtlich bindend ist das Ergebnis nicht.
Klimawandelleugnung per Leserbrief
Unter rund 726.000 Mitgliedern, fast 200 Sektionen und über 15.000 Funktionären und Freiwilligen gibt es vielfältige Ansichten und starke Einzelmeinungen. In der Öffentlichkeit exponieren sich jedoch vor allem die Energiewende-Skeptiker. Und nicht nur die: Ein jahrzehntelanger Obmann einer Sektion hat auch zum Klimawandel eine starke Meinung. Viermal wurden seine Ansichten zwischen Juli und Oktober 2024 in der „Kleinen Zeitung“ als Leserbrief abgedruckt.
Zur Erderhitzung meint der Kassier: „Solche weltweit nachgewiesenen Veränderungen finden seit Millionen von Jahren statt. Zur Zeit ist einer vorgegebenen These zufolge ein durch den Menschen verursachter Anstieg der CO2-Emissionen, bedingt durch den Einsatz fossiler Energieträger, für eine weltweite Erderwärmung verantwortlich. Nicht dem Mainstream entsprechende, kaum bekannte, aber sehr seriöse Forschungen kommen allerdings zu dem Schluss, dass umgekehrt die seit 12.000 Jahren (mit Unterbrechungen) anhaltende Erderwärmung zu diesem Schluss führt.“ Eine klare Falschaussage. 97 Prozent aller Forschungsarbeiten zum Klimawandel führen die Erderhitzung auf den Einfluss des Menschen zurück.
„Wir stellen klar: Leugnung der menschengemachten Klimakrise steht im Widerspruch zu den Grundwerten des Alpenvereins. Der Alpenverein bekennt sich zu einem faktenbasierten Diskurs auf Grundlage der Klimawissenschaft. Bei gravierenden Verstößen gegen diese Werte behalten wir uns vereinsinterne Gespräche und entsprechende Schritte vor“, antwortet der Sprecher des Alpenvereins auf profil-Anfrage.
Wo sieht der ÖAV neue Windparks?
Der Bergsteigerverein bewegt sich in einem Spannungsfeld. Zum einen betont er, für den Ausbau der erneuerbaren Energie zu sein. Auf der anderen Seite gibt es Vertreter, die seit Jahren auf diversen Veranstaltungen Stimmung gegen die Windkraft machen. Interne Dokumente zeigen, dass unter Führungskräfte der Sektionen, der Landesverbände und unter Mitgliedern im Bundesausschuss diskutiert wurde, wie man den Spielraum für die Errichtung von Wind-, Wasser- und Sonnenkraftwerken weiter verringern könnte
Wo aber sieht der Alpenverein nun Platz für neue Windparks? Folgende Kriterien übermittelt der ÖAV auf Nachfrage:
- außerhalb von alpintouristisch bedeutenden Gebieten, in einem ausreichenden Mindestabstand zu menschlichen Siedlungen
- außerhalb von Gebieten mit hoher Bedeutung für gefährdete Vogel- und Fledermausarten
- außerhalb von Wildtierkorridoren und Endemiten-Standorten
- außerhalb von naturschutzfachlich wertvollen Flächen und Wäldern
- dort, wo es bereits Infrastruktur zur Zufahrt und zur Stromeinspeisung gibt
Also im Idealfall dort, wo man Windräder nicht sieht, Gebiete keine hohe Bedeutung für Tiere und Pflanzen haben, sich keine Siedlungen befinden, gleichzeitig aber dennoch die notwendige Infrastruktur vorhanden ist.
Soweit ist die offizielle Position des Alpenvereins von dem Satz auf der internen PowerPoint-Folie dann doch nicht entfernt: „die Festlegung von Kriterien durch den Verein, sodass kaum Spielraum für deren Errichtung bleibt“.