INVESTIGATIV

Karmasin-Prozess: Kronzeugin Beinschab im Marathon-Verhör

Vor Gericht belastete Kronzeugin Sabine Beinschab ihre frühere Geschäftspartnerin, Ex-ÖVP-Ministerin Sophie Karmasin, schwer. Wie der erste öffentliche Auftritt jener Frau verlaufen ist, vor deren Aussagen möglicherweise auch das engste Umfeld von Ex-Kanzler Sebastian Kurz zittern muss.

Drucken

Schriftgröße

Insgesamt 69 Stunden lang war Sabine Beinschab ab Herbst 2021 der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Rede und Antwort gestanden – hinter verschlossenen Türen als Beschuldigte im großen Post-Ibiza-Ermittlungskomplex, in dem unter anderem Ex-ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz und einige seiner engsten Vertrauten zu den Beschuldigten zählen. Beinschab packte gegenüber den Ermittlern aus und ist mittlerweile Kronzeugin. Nun hatte die Meinungsforscherin ihren ersten – mit Hochspannung erwarteten – öffentlichen Termin seit dem Start des Verfahrens. Ein potenziell richtungsweisender Auftritt.

Dienstag, 16. Mai 2023: Um 11:11 Uhr spricht ein Richter am Wiener Straflandesgerichts jene Worte, auf die viele Beobachter seit Wochen und Monaten gewartet haben: „Zeugin Beinschab. Großer Schwurgerichtssaal“, lautet der Aufruf. Es ist der dritte Verhandlungstag im Prozess gegen die frühere ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin. Karmasin wird vorgeworfen, nach dem Ausscheiden aus dem Amt Ende 2017 zu Unrecht eine Fortzahlung ihres Ministerinnengehalts bezogen zu haben. Der Verdacht: schwerer Betrug. Darüber hinaus soll Karmasin später als Meinungsforscherin in Bezug auf Studienaufträge des Sportministeriums in Angebotsabsprachen involviert gewesen sein. profil berichtete ausführlich über die Verdachtslage. Belastet wird Karmasin unter anderem von Beinschab, die Ex-Ministerin bestreitet die Vorwürfe.

Fünf Stunden lang befragt

Doch Beinschabs Aussagen kommen über den Karmasin-Prozess hinaus höchste Bedeutung zu. Wie wichtig die erste öffentliche Befragung der Kronzeugin ist, zeigt sich auch daran, dass der Saal am Dienstag nicht nur mit Journalistinnen und Journalisten gut gefüllt war: Gleich eine ganze Phalanx der best gebuchten Strafverteidiger Österreichs mischte sich an diesem Tag unter die Prozessbeobachter. Manche von ihnen vertreten Mandanten, die von Beinschab in anderen Zusammenhängen belastet werden. Alle von ihnen kennen die umfangreichen Protokolle aus dem Ermittlungsverfahren – profil berichtet ausführlich. Niemand von ihnen weiß jedoch, wie sich Beinschab vor Gericht präsentieren wird. Und ob man sie da – wenn es wirklich darauf ankommt – knacken kann.

Die Prozessbeobachter durften miterleben, wie Sabine Beinschab fünf Stunden lang intensiv befragt wurde: zu unterschiedlichen Sachverhalten, zu teils Jahre zurückliegenden Details, zu E-Mails, zu ihren eigenen früheren Aussagen. Die Fragen kamen vom Richter, von zwei Oberstaatsanwälten und nicht zuletzt vom Verteidiger Karmasins. Zusammenfassend lässt sich sagen: Weder inhaltliche, noch zeitliche Sprünge in der Einvernahme, weder wechselnde Tonalität in der Fragestellung, noch die lange Zeitdauer vermochten es, Beinschab ernsthaft aus der Ruhe zu bringen.

Wie sich Beinschab präsentierte

Wer sich einen emotionalen, verschüchterten oder inhaltlich nichtssagenden Auftritt erwartet hatte, wurde eines gänzlich Anderen belehrt. Beinschabs Antworten kamen prompt und klar. Sie stotterte nicht herum, sie suchte nicht lange nach Formulierungen und beschränkte sich auch nicht nur auf das gerade Wesentlichste, wie das andere Zeugen mitunter aus Vorsichtsgründen tun. Beinschab gab sich in keiner Form arrogant und reagierte nicht schnippisch. Sprachlich färbte sie ihre Antworten häufig mit leichtem Dialekt, was einen durchaus bodenständigen Eindruck vermitteln konnte.

Beinschab gegen Karmasin – die einst emporstrebende, deutlich jüngere Frau vom Land gegen die arrivierte Tochter aus bestem Haus? Dieser Eindruck täuscht. Es ist nicht Klassenkampf, um den es hier vor Gericht geht, sondern vielmehr das Ausleuchten einer diffizilen zwischenmenschlichen Beziehung. Beinschab erzählte dem Richter, wie sie – damals Anfang zwanzig – Karmasin im Jahr 2007 kennengelernt hatte, Jobs im Unternehmen der Markt- und Meinungsforschungsdynastie erhielt und relativ rasch zur Assistentin der Geschäftsführung avancierte. Sie habe zu Sophie Karmasin aufgeschaut, sagte Beinschab aus, sie habe viel von ihr gelernt, sei aber auch in ein berufliches Abhängigkeitsverhältnis gerutscht. Ein Abhängigkeitsverhältnis, auf dessen Basis sie sich auf bestimmte Dinge eingelassen habe. Dinge, die zum Teil nun bereits vor Gericht verhandelt werden – aber auch solche, zu denen die WKStA noch ermittelt. Stichwort: Finanzministeriums-Studien. Es dauerte übrigens gerade einmal 14 Minuten, bis bei der Beinschab-Befragung erstmals der Name „Thomas Schmid“ fiel.

„Karmasin war informiert“

Die WKStA ermittelt bekanntlich wegen des Verdachts, der ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium Thomas Schmid könnte dafür gesorgt haben, dass das Ministerium – auf verdeckte Weise – Beinschab-Umfragen bezahlte, die zumindest teilweise der ÖVP unter Sebastian Kurz zugute kamen. Beschuldigt sind auch der Ex-Kanzler selbst sowie mehrere seiner einst engsten politischen Mitstreiter – alle weisen sämtliche Vorwürfe zurück. Auf Hausdurchsuchungen Anfang Oktober 2021 folgte für Beinschab die Festnahme. Daraufhin entschloss sich die ehemalige Karmasin-Geschäftspartnerin, mit einem umfassenden Geständnis Straffreiheit als Kronzeugin anzustreben. Später entschied sich bekanntlich auch Schmid dazu, diesen Weg zu wählen. Kurz selbst, der sämtliche Vorwürfe immer bestritten hat, wurde von Beinschab übrigens nicht zusätzlich belastet: Mit ihm habe sie nichts zu tun gehabt – profil berichtete. Sehr wohl belastete sie gegenüber der WKStA allerdings einen sehr engen früheren Mitarbeiter von Kurz – und auch Karmasin.  

Diese Linie behielt Beinschab bei ihrem ersten Auftritt vor Gericht bei: Stimmt es, wenn Karmasin sagt, sie hätte nicht gewusst, dass das Finanzministerium die Studien bezahlte? „Nein, da war sie schon informiert.“ Hat die Ex-Ministerin ihrer damaligen Vertrauten Beinschab erzählt, dass sie nichts dazuverdienen durfte, solange sie die Fortzahlung des Ministerinnengehalts bezog? „Ja, telefonisch. … Ich habe umgesetzt, was sie gesagt hat.“ Hätte es – wie von Karmasin dargestellt – eines besonderen Spezialwissens bedurft, um eine bestimmte Studie für das Sportministerium zu erstellen, weshalb ohnehin nur sie selbst als Auftragnehmerin in Frage gekommen wäre – oder hätte Beinschab das auch machen können? „Sicher, auf jeden Fall. … Das ist jetzt nicht Rocket Science.“ Wie hat Beinschab von einem zweiten Studienauftrag des Sportministeriums erfahren, bei dem sie ebenfalls ein mutmaßliches (schlechteres) Scheinangebot legen sollte, um Karmasin den Zuschlag zu sichern? „Karmasin hat gesagt, dass wieder etwas von den Sportfreunden kommt.“ Wollte Karmasin Vorträge, die sie während der Zeit der Entgeltfortzahlung hielt, unter Umständen gar nicht verrechnen, sondern nur als Werbung für allfällige spätere Aufträge halten? „Das wichtigste war: Schauen wir, dass wir Vorträge kriegen – verrechnen tun wir es auf jeden Fall irgendwann.“

Die Kronzeugin knacken?

Karmasins Verteidiger Norbert Wess versuchte zunächst, die Glaubwürdigkeit Beinschabs zu erschüttern: Seine erste Frage zielte darauf ab herauszuarbeiten, dass die Meinungsforscherin einmal wegen „Vertrauensbruchs“ fristlos entlassen worden sei – und zwar nach dem Wechsel Karmasins in die Politik und dem darauf erfolgten Verkauf ihres Unternehmens. Beinschab antwortete offen und ohne zu zögern: Ja. Der „Vertrauensbruch“ habe darin bestanden, dass sie eine Interviewanfrage nicht ihrem neuen Chef, sondern Karmasins Mutter, Helene Karmasin, weitergeleitet habe. Sie habe sich der Familie Karmasin weiterhin verbunden gefühlt.

Dann steuerte Wess sogleich weg vom ÖVP-Umfeld in Richtung SPÖ: Beinschab hatte im Ermittlungsverfahren eher unbestimmte Aussagen getroffen, was frühere Aufträge von dieser politischen Seite an Karmasin betraf – profil berichtete. Hierzu konnte Beinschab vor Gericht allerdings nichts wesentlich Neues sagen.

Zur Sache selbst konfrontierte Wess Beinschab mit Detailaussagen aus dem Ermittlungsverfahren und klopfte sie diesbezüglich – offensichtlich auf der Suche nach möglichen Widersprüchen – genauestens ab.  Insgesamt zeigte sich Beinschab dabei nicht nervös und auch fast nicht genervt. Sie blieb gegenüber dem Anwalt jedoch bei ihrer Linie. Nach dem Befragungsmarathon verabschiedete sich die Kronzeugin mit den Worten: „Dankeschön auch – und einen schönen Abend noch.“ Es wird wohl nicht ihr letzter Auftritt bei Gericht sein.

Der nächste Verhandlungstermin im Karmasin-Prozess findet am kommenden Dienstag, 23. Mai 2023, statt. Möglicherweise fällt da auch schon ein Urteil. Für manche der Anwälte im Publikum geht es danach erst richtig los – wenn sie sich ihrerseits die Frage stellen müssen, wie sie Kronzeugin Beinschab in Bezug auf die anderen, noch laufenden Ermittlungen am besten knacken können.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).