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Neues Jahr, neuer Preis: Seniorenheime der Stadt Wien stellen Tarifsystem um

Der Betreiber der städtischen Pensionistenhäuser geht vom Prinzip ab, dass gleiche Leistung in jedem Haus gleich viel kostet. Für manche Bewohner könnte das richtig teuer werden.

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Wie viel kostet ein Tag betreutes Wohnen inklusive fünf Wochenstunden begleitetes Garteln, Tanzen, Theaterspielen oder Gedächtnistraining in einem städtischen Seniorenheim in Wien in der Pflegestufe 2? Aktuell sind es genau 80,99 Euro, wie sich unschwer aus einem im Internet abrufbaren Tarifblatt herauslesen lässt, in dem zahlreiche Leistungen und ihre jeweilige Kosten zum heutigen Stand aufgelistet sind. Wie viel es übermorgen sein wird, ist hingegen höchst unklar. Für manche Bewohnerinnen und Bewohner vielleicht deutlich mehr.

profil-Recherchen zufolge setzt das „Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser“ (KWP) mit 1. Jänner 2024 eine tiefgreifende Tarifumstellung um. Das KWP ist aus einem Fonds der Stadt Wien hervorgegangen und rechtlich gesehen eigenständig. Faktisch betreibt das Kuratorium seine Seniorenheime jedoch für die Stadt, erhält den Großteil seiner Einkünfte über eine Förderungsabrechnung mit dem Fonds Soziales Wien (FSW) – und KWP-Präsident ist Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) höchstselbst.

Auch wenn das Kuratorium formell nicht der Stadt gehört, ist man doch Teil des städtischen Sozialgefüges. Und man bezeichnet sich selbst als größter Anbieter von Seniorenbetreuung in Österreich. Was hier passiert, betrifft gut 8000 Pensionistinnen und Pensionisten sowie deren Angehörige.

Preise könnten teils deutlich steigen

Fest steht: Man geht vom bisherigen Grundsatz, dass die gleiche Leistung in jeder Einrichtung gleich viel kostet, ab. Zuletzt waren beim KWP 29 Pensionistenhäuser in Betrieb. Bis auf drei verrechneten alle Heime die gleichen Einheitstarife. In Zukunft sollen jedoch für jeden Standort eigene Preise veranschlagt werden. Und diese können deutlich höher ausfallen als bisher. Die Bewohnerinnen und Bewohner wurden vor einigen Wochen darüber in Kenntnis gesetzt. profil ist zu Ohren gekommen, dass zumindest in einzelnen Bereichen Tarifsteigerungen im deutlich zweistelligen Prozentbereich vorkommen können.

profil wollte wissen, wie viel es genau ist, und bat das KWP um Übermittlung aller neuen Tariflisten sämtlicher Häuser. Das Ergebnis ist überraschend: Obwohl die Listen ja bereits an die jeweiligen Bewohner der Häuser verschickt wurden und eigentlich per 1. Jänner gelten sollen, wollte das Kuratorium die Listen nicht aus der Hand geben. Die Begründung ist kurios: Die darin enthaltenen Zahlen seien noch überhaupt nicht fix, sondern würden erst ungefähr im Mitte des ersten oder Anfang des zweiten Quartals 2024 in Absprache mit dem FSW final festgelegt. Nun: In wenigen Tagen beginnt das Neue Jahr. Wie viel der Heimplatz in Zukunft kostet, steht offenbar noch in den Sternen. Möglicherweise kommt es dann im Verlauf des kommenden Jahres zu einer Nachverrechnung.

„Einige Häuser teurer, andere günstiger“

Beim KWP steht man auf dem Standpunkt, dass sich für die allermeisten betroffenen Seniorinnen und Senioren ohnehin nichts ändert, da die von ihnen bezogenen Leistungen ohnehin vom FSW gefördert werden. Demnach ist auch weiterhin vorgesehen, dass die Bewohner selbst bis zu 80 Prozent ihres Nettoeinkommens – also praktisch ihrer Pension – beisteuern und der FSW den Rest der Heimkosten übernimmt. Es gibt aber sogenannte „Vollzahler“, deren Pension bisher hoch genug ist, um keine FSW-Förderung in Anspruch nehmen zu müssen. Laut KWP handelt es sich dabei um 215 Personen. Sie würde eine Tariferhöhung wohl direkt treffen.

„Durch die Umstellung werden einige Häuser teurer, andere günstiger“, heißt es seitens des KWP auf Anfrage: „Wenn in Häusern in den letzten Jahren beispielsweise Investitionen in die Infrastruktur getätigt wurden, ist es nur logisch, dass die Gesamtkosten des Hauses steigen. Gleichzeitig werden durch eine moderne Infrastruktur längerfristig die Betriebskosten gedämpft.“

Einsparungen geplant? 

Wenn sich also für die meisten Bewohner selbst nichts ändert, weil sie ohnehin Förderempfänger sind – warum unternimmt man dann so eine tiefgreifende Veränderung? Noch dazu, ohne vorab die finalen Beträge mit dem FSW ausgehandelt zu haben? Überlegungen gäbe es schon länger, heißt es aus dem KWP. Durch Corona sei jedoch dann weniger Zeit für die Umsetzung geblieben. Die Bewohner müssen aber per Jahresende über die neuen Preise verständigt werden, auch wenn diese erst vorläufig sind. So sehe es das Gesetz vor. „Die Anpassung der Tariflogik auf Hausebene folgt den Bestimmungen des Heimvertragsgesetzes und wird auch von den anderen Heimbetreibern in Wien (…) umgesetzt“, teilt das KWP mit. Ergänzung: „Ziel ist eine höchstmögliche Kostentransparenz und längerfristig auch Kosteneffizienz.“

Geht es also um Einsparungen? Tatsächlich sind die Seniorenheime des KWP weitgehend an eine zentrale Beschaffung und an vordefinierte Leistungen gebunden. Nur in relativ geringem Maß besteht finanzielle Autarkie. Wirklich große Einsparungen sind auf Ebene einzelner Häuser also kaum zu erwarten. Darüber hinaus ließe sich Kostenwahrheit wohl auch intern auf Ebene des Kuratoriums herstellen, obwohl es nach außen hin einen Gesamttarif gibt. Könnte individuelle Kostentransparenz nach außen auch dazu dienen, gut aufgestellte Standorte einer Vermarktung zuzuführen? Dieses kursierende Gerücht bestreitet man seitens des KSW.

Stadtrat Hacker ließ eine profil-Anfrage zur Tarifumstellung unbeantwortet.

Ob gleiche Leistung gleich viel kostet, ist nicht nur eine wirtschaftliche Frage, sondern gerade in Bezug auf soziale Einrichtungen der öffentlichen Hand auch ein ideologisches Thema mit politischen Implikationen. Und zumindest jenen gegenüber, die selbst dafür bezahlen, ist es eine Frage der Fairness. 

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).