Gelagerte Baumstämme
Investigativ

Rumänien: Holzkonzern HS Timber rechnet Bäume nicht mehr kürzer

Nach einer Gesetzesänderung und heftiger Kritik hat das österreichische Unternehmen in dem osteuropäischen Land seine umstrittene Abrechnungspraxis für angelieferte Baumstämme umgestellt. Nun fühlt man sich ungerecht behandelt.

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Wie berechnet man richtig, wie viel Holz in einem Baum steckt? Was – zumindest für Fachleute – nach einer durchaus lösbaren Frage klingt, sorgt bei einem wesentlichen Player der österreichischen Holzindustrie seit Monaten für Probleme. Der Sägewerkskonzern „HS Timber Group“ (vormals: „Holzindustrie Schweighofer Gruppe“), der auch international im großen Stil tätig ist, sieht sich in Rumänien Vorwürfen ausgesetzt, was seine bisherige Berechnungsmethode für das Volumen gelieferter Baumstämme anbelangt. Diese sei zulasten der Lieferanten gestaltet gewesen, so die Behauptung, welche das Unternehmen vehement bestreitet. Nach einer Gesetzesänderung und medialer Kritik hat HS Timber allerdings zuletzt die Volumsermittlung umgestellt – nun gilt die gesamte Länge des Stammes als Basis und nicht eine kürzergerechnete. Freude hat man beim Konzern damit keine.

Der Millionen-Dollar-Vorwurf

Ende 2022 gingen die Wogen hoch: Das länderübergreifende Investigativ-Netzwerk OCCRP und dessen Partnermedium „Rise Project“ in Rumänien veröffentlichten umfangreiche Rechercheergebnisse zu den Geschäften von HS Timber in dem besonders waldreichen osteuropäischen Land, in dem der Konzern mehrere große Werke betreibt. Kurz zusammengefasst: HS Timber soll mehr als ein Jahrzehnt lang von Lieferanten verlangt haben, zusätzliches Holz zu liefern, das nicht in offiziellen Papieren aufschien und auch nicht bezahlt wurde. Dies, indem die gelieferten Stämme länger gewesen seien als ausgewiesen. Pro Stamm geht es dabei meist nur um einige Zentimeter. Dennoch soll auf diese Weise über Jahre hinweg rund 1,6 Millionen Kubikmeter zusätzliches Holz im Wert von 34 Millionen US-Dollar zusammengekommen sein.

HS Timber bestreitet das. Als profil dem Vorwurf nachging und ausführlich über die Industriepraxis des Kürzerrechnens gelieferter Bäume berichtete, packte der Konzern die kommunikative Motorsäge aus: In einem Statement auf seiner Unternehmensseite behauptete HS Timber, der Artikel enthalte zahlreiche falsche Informationen. Die Journalistinnen und Journalisten hätten Angebote zu persönlichen Gesprächen mit „externen und internen Experten“ nicht angenommen. Das ist bis heute auf der HS-Timber-Website zu lesen – wohl um zu suggerieren, es wäre einseitig oder nicht ausreichend recherchiert worden. Dass damals sehr wohl ein ausführliches Hintergrundgespräch mit einem Konzernverantwortlichen stattgefunden hatte, schien bei der PR-Flucht nach vorne im Dezember 2022 untergegangen zu sein.

Und dann die Überraschung: Nur wenige Wochen später stellte HS Timber die umstrittene Abrechnungspraxis für gelieferte Bäume in Rumänien um. Bereits ein Dreivierteljahr zuvor hatte es eine Gesetzesänderung dahingehend gegeben, dass zur Feststellung des gelieferten Volumens nicht mehr die „nominale Länge“ (also die gekürzte Länge laut Industriestandard) heranzuziehen ist, sondern die „effektive“. Nun reagierte man darauf. Gegenüber profil hatte HS Timber einige Wochen zuvor noch erklärt, das rumänische Ministerium sei klärende Antworten schuldig geblieben, wie diese Norm in der Praxis richtig angewandt werden könne. Wie sich nun herausstellt, begann man jedoch bereits kurz darauf, die veränderte Gesetzeslage im Rahmen der Lieferverträge umzusetzen.

Der Preis von Überlängen

Die rumänische Investigativplattform „Rise Project“ berichtete Ende Juli 2023 über diese bemerkenswerte Entwicklung. Und noch mehr: Laut dem Bericht stellt ein Mitarbeiter der rumänischen Forstbehörde „Romsilva“, welche ebenfalls Holz an HS Timber liefert, nun gar die Frage einer Nachverrechnung für frühere Zeiten in den Raum. Der Angestellte, der nach Absprache mit den Reportern anonym bleiben wollte, forderte laut „Rise Project“ gar eine Reaktion vom rumänischen Staat. Dieser habe ebenfalls Einnahmen verloren – möglicherweise in Form von Umsatzsteuern, da in den Verträgen eine niedrigere Menge als tatsächlich geliefert ausgewiesen worden sei.

profil hat – wie schon im vergangenen Jahr – beim Konzern nachgefragt. Dort sieht man für etwaige Nachzahlungen keine Grundlage. Die Gesetzesänderung sei laut HS Timber „über Nacht“ gekommen. Vorher galt für die Verrechnung gelieferter Baumstämme das Volumen auf Basis der „nominalen Länge“, wie auch im rumänischen Industriestandard vorgesehen. Faktisch wurden von den Lieferanten gewisse „Überlängen“ verlangt, um etwaige Verschnitte oder das Schrumpfen von Holz bei der Lagerung abzudecken. Industriestandards entwickelt eine Branche üblicherweise selbst, um bestimmte technische Aspekte einheitlich zu regeln. Gesetzeskraft haben solche Standards per se nicht – im konkreten Fall scheint die Gesetzesänderung den Industriestandard auszuhebeln.

Die Punkte des Baumstamms

Nun bestätigt die HS Timber Group, dass sie in ihren rumänischen Sägewerken seit Jahresbeginn 2023 gelieferte Stämme anders abrechnet als in den Jahren zuvor. „Um sicher zu gehen, verwenden wir für die Volumsberechnung die am weitesten voneinander liegenden Punkte des Baumstammes.“ Zur Erklärung: Bäume werden beim Fällen nicht immer gerade abgeschnitten.

Dass Überlängen gegenüber den Lieferanten nicht explizit abgerechnet werden, gehört der Vergangenheit an: Das Kernprodukt – jener Teil des Stammes, aus dem man etwa Latten in vorgegebenen Längen sägen kann – werde zum vertraglich vereinbarten Holzpreis übernommen, Mehrlängen wiederum zum niedrigeren Industrieholzpreis, heißt es von HS Timber.

Späte Umsetzung

Obwohl die Gesetzesänderung bereits seit April 2022 gilt, hat das Unternehmen seine Lieferverträge in Rumänien erst 2023 angepasst. Konsequenzen fürchtet man keine: „Es hat keine Beschwerden gegeben“, sagt Chief Compliance and Sustainability Officer Michael Proschek-Hauptmann zu profil. Unternehmenssprecher Johannes Vetter verweist darauf, dass „der Terminus ‚effektive Länge‘ noch immer nicht geklärt“ sei. Weiterhin sei nicht klar definiert, wo die Messung ansetzen müsse.  Ausgerechnet die staatliche Forstbehörde Romsilva liefere noch immer auf Basis nominaler Längen – und rechne auch entsprechend ab. „Ich kann mir nur vorstellen, dass sie eine andere Interpretation dieser Gesetzeslage haben“, sagt Proschek-Hauptmann. HS Timber hält es in diesem Zusammenhang für wichtig anzumerken, dass diese Art der nominalen Vermessung standardmäßig in der „gesamten globalen Holzindustrie“ angewandt werde.

Gegenüber profil bemüht sich das Unternehmen darzulegen, dass man alles tue, um gesetzeskonform zu agieren. Allerdings – behauptet Vetter – würden die neuen Regelungen allein auf HS Timber abzielen, da der Konzern der einzige Marktteilnehmer sei, der überhaupt entsprechend genaue Laser-Messungen vornehmen könne: „Wir werden in der öffentlichen Darstellung kriminalisiert – obwohl wir diejenigen sind, die am vehementesten gegen Unregelmäßigkeiten in der Lieferkette auftreten.“ Der österreichische Konzern fühlt sich von der rumänischen Regierung offenbar ungerecht behandelt. Die Überlängen seien im mit den Lieferanten vereinbarten Preis enthalten gewesen.

Abfallprodukt oder Nebengeschäft

Gesondert abgerechnet wurden diese zusätzlichen Mengen nicht. „Übermäßige Überlängen sind für uns kein produktives Holz, sondern Abfall“, behauptet HS Timber: Diese Teile müssten gelagert und zu kürzeren, nicht standardmäßig gehandelten Produkten geschnitten werden. Außerdem müsse oft erst ein Käufer für Produkte mit derart unüblichen Maßen gefunden werden. Verglichen mit Standardprodukten bringe das einen höheren Manipulationsaufwand mit sich und erwirtschafte einen geringeren Preis. „Es ist also keinesfalls in unserem geschäftlichen Interesse. Jeder Vorwurf einer angeblichen Bereicherung führt sich damit technisch und wirtschaftlich ad absurdum“, sagt Proschek-Hauptmann.

Wirklich? Wie viel verdient HS Timber mit derartigen „Abfällen“, die bis vor kurzem den Lieferanten nicht gesondert bezahlt worden sind? Gegenüber profil erklärt das Unternehmen, dass es zu den sogenannten Kappstücken „keine eigene Mengenbilanz“ gäbe. Auch durch das Wegfräsen beim Sägeprozess würden Abfälle entstehen, die dann gemeinsam mit Holz aus den Überlängen als Industrieholz (etwa zur Herstellung von Spanplatten) weiterverkauft würden. Das weiterverkaufte Industrieholz würde „zum überwiegenden Großteil aus dem Sägeprozess selbst“ stammen.  Verunreinigte Kappstücke würden aussortiert und verbrannt.

HS Timber behauptet, für die Lieferanten würde die Preisdifferenz aus der unterschiedlichen Abrechnungsmethodik ohnehin „weniger als 0,1 Prozent“ ausmachen. Das begründet das Unternehmen mit dem stark schwankenden Holzpreis in den vergangenen Jahren und mit der schlechteren Holzqualität bei den Überlängen. Das Holz kann allerdings, wenn es verschmutzt ist, als Biomasse verwendet, und wenn es sauber ist, zu Spannplatten gepresst werden. HS Timber rühmte sich in der Vergangenheit selbst, „Perfektion bei der Wertschöpfung“ zu betreiben und hundert Prozent des Rohmaterials zu nutzen. Das sei „nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich“ sinnvoll. Ganz so wertlos sind die sogenannten „Kappstücke“, die übrigbleiben, also möglicherweise doch nicht – insbesondere in Zeiten, in denen die ganze Welt nach alternativen Energiequellen zu Öl und Gas sucht. Sollten allfällige Mehrkosten durch die veränderte Abrechnung tatsächlich nicht ins Gewicht fallen, stellt sich auch die Frage, weshalb HS Timber die Gesetzesänderung gar so kritisch sieht.

Umstrittene Geschäfte

Es ist jedenfalls nicht das erste Mal, dass es in Rumänien Debatten um die Geschäfte von HS Timber und anderer internationaler Konzerne gibt. Die rumänische Holzindustrie gilt als extrem korruptionsanfällig. Zulieferer holen mitunter mehr Holz aus den riesigen letzten Urwäldern Europas, als erlaubt. Nach schweren Vorwürfen verlor HS Timber 2017 das begehrte – aber mittlerweile selbst nicht ganz unumstrittene – FSC-Siegel, das unter anderem für saubere Lieferketten in der Forstwirtschaft steht. Erst 2022 erhielt der Konzern – nach Verbesserung seiner internen Kontrollsysteme – für ein erstes Werk in Rumänien dann wieder ein FSC-Zertifikat. Dieses ist im April 2023 allerdings erloschen. Bei HS Timber heißt es dazu: „Das Zertifikat für den Standort wurde aufgrund mangelnder Kundennachfrage nicht mehr verlängert.“ Für einen im April 2022 neu übernommenen Standort in Finnland gibt es ein laufendes FSC-Zertifikat. HS Timber verweist darauf, dass alle Unternehmensstandorte nach dem alternativen PEFC-Standard zertifiziert seien.

Mit Vorwürfen war HS Timber in Rumänien auch von Seiten der dortigen Wettbewerbsbehörde konfrontiert. Im Jänner 2021 verhängte diese wegen verbotener Absprachen gegen insgesamt 31 Unternehmen eine Gesamtstrafe von umgerechnet etwas mehr als 26 Millionen Euro. Rund zehn Millionen Euro davon entfielen auf HS Timber und wurden mittlerweile vollständig bezahlt.

Elena Crisan

Elena Crisan

Wenn sie nicht gerade für den Newsletter "Ballhausplatz" mit Politiker:innen chattet, schreibt sie im Online-Ressort über Wirtschaft und Politik.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).