Kultur-Tipp

Apokalypse? Öd. Radu Judes Film "Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt"

Keinerlei Beißhemmung: Stefan Grissemann empfiehlt einen zornigen Gegenwartsfilm des Rumänen Radu Jude.

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Kann es einen besseren Filmtitel als diesen geben? „Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt“, das ist eine Vorgabe, ein guter Start. Die Banalität der Apokalypse beginnt mit einem 16-Stunden-Arbeitstag: mit der Autoreise einer Frau durch ihre Stadt, durch das wenig reizvolle Bukarest der 2020er-Jahre. Im Auftrag des Konzerns, für den sie schlecht bezahlt arbeitet, besucht sie Menschen, die von Berufsunfällen betroffen sind; mit ihnen sollen Videos entstehen über Sicherheit am Arbeitsplatz. Lustlos geht Angela ihrem Job nach, aber als Ausgleich postet sie täglich mehrmals  – als Snapchat-maskierte Anarcho-Influencerin und Andrew-Tate-Lookalike  – unfassbare Vulgaritäten, persifliert dabei zynisch-chauvinistische Rechtsextremismen. Dies macht Ilinca Manolache, die Darstellerin der Angela, auch in Wirklichkeit, auf TikTok und Instagram und wer weiß, wo sonst noch. Das Dokumentarische schlägt seine Krallen hier ins Fiktionale, bis man nicht mehr weiß, wo das eine endet und das andere beginnt. 

Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass der Rumäne Radu Jude, 46, zu den originellsten Filmemachern der Welt gehört. Seine Werke sind zu wenig bekannt (auch sein Berlinale-Siegerfilm von 2021, „Bad Luck Banging or Loony Porn“, hat nicht genug Verbreitung gefunden), seine jüngste Produktion immerhin ist – auf Betreiben des Cinephilen-Verleihs Filmgarten – vor wenigen Tagen ins Kino gekommen, in Wien läuft er im Gartenbau. „Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt“ ist eine bewusst „unreine“, sprunghafte Erzählung, eine wilde Rallye der Texturen (digital und analog, in Farbe und Schwarzweiß, Kinobilder von einst gegen Smartphone-Clips).
Politisch sind Radu Judes Filme jedenfalls. Er hat die Zumutungen der unmittelbaren Gegenwart im Visier: die Entgleisungen des Kapitalismus, die Korruption, den Sexismus, die Angestelltenausbeutung und den via Social Media ventilierten Universalhass. Aber Jude inszeniert Manolache auch als Wiedergängerin der Heldin eines längst vergessenen Taxifahrerinnenfilm namens „Angela Moves On“ (1981), eines unscheinbaren Alltagsdramas aus Ceaușescus Rumänien. So lässt der Regisseur zwei einander eigentlich ferne Filme (und zwei Angelas) miteinander kommunizieren, eine analytische „Konversation“ zwischen den beiden Arbeiten entstehen. 

„Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt“ ist schwarze Komödie, filmhistorischer Essay und politische Dystopie zugleich, ein Kinomosaik mit Gastauftritten der Schauspielerin Nina Hoss und des Trash-Regisseurs Uwe Boll. Dieser Film ist 163 Minuten lang, aber er ist auch vital, absurd und turbulent, und er ist, sehr bewusst, eine Zumutung. Damit passt er perfekt in unsere desolate Welt, in unser aller ungenügendes Leben. 

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.