Außer Protokoll

Außer Protokoll: Der Barockmaler Diego Velázquez wird im Kunsthistorischen Museum gefeiert

Kunst. Der Barockmaler Diego Velázquez wird im Kunsthistorischen Museum gefeiert

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Das Aufgebot an Zeugen war beeindruckend. 148 Personen ließ Diego Rodríguez de Silva y Velázquez aufmarschieren. Sie sollten seinen aristokratischen Lebenswandel beeiden. Es ging um Großes: die Aufnahme in den hochadeligen Santiago-Orden. Auch König und Papst hatten den Antrag des Malers schon unterstützt. Und nun, im Jahr 1658, musste er eines unter Beweis stellen: dass er niemals in seinem Leben einen Lohn für seine Arbeit kassiert habe.

Die Bürgen erwiesen sich als loyal: Selbst jene, die über seine Lehre und – bezahlte – Arbeit in der Werkstatt seines späteren Schwiegervaters, Francisco Pacheco, bestens informiert waren, erklärten das Gegenteil. Es wurde gelogen, dass sich die Balken bogen. Laut den Prozessakten beteuerte sein einstiger Kollege Alonso Cano, er habe nie „sagen hören, dass Velázquez die Malerei als Beruf betrieben, dass er einen Verkaufsstand unterhalten oder Gemälde verkauft habe, vielmehr habe er die Malerei allein zum eigenen Vergnügen und aus Gehorsam gegenüber Seiner Majestät ausgeübt“. Ein anderer führte ins Treffen, Velázquez verstehe, „ein Pferd zu reiten“ – zweifelsohne ein Beweis für dessen Adelseignung.
Sie alle leugneten eine prägende Phase im Leben des 1599 in Sevilla geborenen und 1660 in Madrid verstorbenen Künstlers: Als Lehrbub hatte sich Velázquez nämlich an den sogenannten „Bodegónes“ – Küchen- und Wirtshausstücken – versucht, die wenig Begüterten und Zerlumpten porträtiert und realistische Genrebilder geschaffen, mit denen er schon damals der Kunst seiner Zeit voraus war: Werke, die sich gravierend von jenen unterscheiden, für die er bekannt wurde.

Große Namen ziehen
Denn noch immer gilt Velázquez vor allem als Hofkünstler – zumindest in Österreich. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich in der Dauerausstellung des Kunsthistorischen Museums (KHM) vor allem Infantinnen- und Infantenporträts finden. Nun dürfte sich dieser Eindruck ein wenig ändern, eröffnet das KHM doch diesen Montag eine umfassende Ausstellung des spanischen Barockmeisters, die tatsächlich erste im deutschsprachigen Raum, mit vielen Leihgaben aus dem Madrider Prado (siehe Infobox am Ende). Die Schau ist als Besuchermagnet angelegt: Große Namen wie Velázquez ziehen schließlich – und nicht nur bei den Touristen, die mit 75 Prozent den Löwenanteil des Publikums im Haus am Ring ausmachen. „Im Prado gab es eine Ausstellung zu Velázquez’ höfischen Porträts, für die wir einige unserer Werke verliehen. Die Kollegen dort schlugen uns vor, in Kooperation mit ihnen hier eine ähnliche Ausstellung zu machen. Wir wollten aber das gesamte Œuvre würdigen – eben, weil es in Österreich noch nicht so bekannt ist“, erzählt KHM-Direktorin Sabine Haag.
Zwar waren viele andere bedeutende Künstler – Tizian oder Rubens etwa – ebenfalls für Regenten tätig, doch keiner steht so sehr für die Repräsentationskunst wie Velázquez. Dafür ist erstens die lange Zeitspanne verantwortlich, die er für Philipp IV. von Spanien, der wenige Jahre jünger als er selbst war, werkte: 37 Jahre lang, von 1623 bis zum Tod Velázquez’ 1660. Sylvia Ferino, die Kuratorin der großen Schau (siehe auch Interview hier), muss erst eine Weile nachdenken, um die Frage zu beantworten, ob es einen wichtigen Künstler gibt, dessen Werk die Hofkunst ähnlich stark dominiert wie bei Velázquez: „In dieser Qualität nicht. Zwar malte auch Lucas von Cranach den Kurfürsten von Sachsen, da gibt es zahllose Porträts. Cranach war ein toller Maler, hat aber als Erneuerer nicht Velázquez’ Rang.“ Haag analysiert: „Velázquez ist deshalb als Hofmaler so berühmt, weil er so viele einprägsame Porträts geschaffen hat. Vor allem die Kinderbilder sind bemerkenswert: Er malt die Infantin Margarita mit drei Jahren, als Kleinkind mit großen Augen, dann mit fünf, als hübsches Mädchen, und später mit acht, wo sie sich offenbar schon den Verpflichtungen des höfischen Protokolls bewusst wird.“

Karrieretechnisch konnte man als Künstler jener Zeit kaum mehr erreichen, als dem König und seiner Familie nahe zu sein. Denn lange zählte die Malerei nicht zu den sieben „Artes liberales“, den freien Künsten, sondern zu den „Artes mechanicae“, den praktischen Künsten – im sozialen Rang weitaus niedriger angesiedelt. Erst durch die Nähe zum Hof konnte ein Maler gesellschaftlich aufsteigen. Im Gegenzug wurde ein vom Herrscher engagierter Künstler, der nicht auf eigene Faust und mit wechselnder Kundschaft eine Werkstatt betrieb, für dessen Zwecke eingespannt – und musste sich bei seinen Darstellungen an gewisse Konventionen halten. Dies fällt sofort ins Auge, wenn man die Velázquez-Ausstellung im KHM betritt – die Porträts von Philipp IV. und seinen Familienmitgliedern sind meist auf ähnliche Art komponiert. Ferino erklärt: „Gerade das spanische Porträt wurde sehr streng aufgefasst – und erst recht im Hause Habsburg. Dort sah man die Mission zu regieren ja als gottgegeben; die Porträtierten mussten somit distanziert wirken. Velázquez’ Vorgänger präsentierten die Herrscher recht streng und würdevoll. Velázquez übernahm deren Prinzipien.“

Einerseits war der Maler also eingeschränkt, andererseits besaß er absolute Exklusivrechte auf das Bild seines Vorgesetzten. Denn nur er durfte Philipp IV. überhaupt abbilden. Bloß ein Mal porträtierte ihn ein anderer Künstler: Peter Paul Rubens.

Maler als PR-Stratege
Dieses Monopol hatte durchaus Sinn, denn es sollte ein ganz bestimmtes Bild vom Königshaus vermittelt werden. Wie der Kunsthistoriker Javier Portús Pérez im Ausstellungskatalog anschaulich ausführt, erließ der junge Philipp IV. Gesetze gegen Luxusgüter, und der Hof gab sich – obwohl große Feierlichkeiten abgehalten und hohe Summen ausgegeben wurden – offensiv genügsam. Velázquez zeigt den Regenten in einem in jener Zeit entstandenen Porträt schlicht gekleidet und auf einen Schreibtisch aufgestützt – als jemand, der tüchtig arbeitet und für Prunk nichts übrig hat. So wirkte der Maler aktiv an den höfischen PR-Strategien mit.

Dennoch erlaubte er sich innerhalb des vorgegebenen Rahmens eine Reihe von Freiheiten, die ihn zur wegweisenden Figur machten. Denn die Art, wie er Textilien und Raumausstattung malte, erwies sich als revolutionär. Angesichts der stofflichen Qualitäten von Velázquez’ Malerei geraten die Expertinnen ins Schwärmen. „Manche Leute tun die höfischen Porträts leichtfertig als steife Repräsentationskunst ab; wenn man aber genauer hinschaut, erkennt man seinen beherzten Zugang zur Malerei“, so Sabine Haag. Und Ferino schwärmt: „Es ist einzigartig, was er farblich herausholt, wie er die Konturen aufreißt, die Gewänder in flimmernden Farbflecken wiedergibt, als würden sie sich leicht bewegen, in einer atmosphärischen Schwebe gehalten werden – und von welch raffinierter Palette Vorhänge und Kleider sind.“

Tatsächlich kann man sich der Faszination der schimmernden Oberflächen kaum entziehen. Viel später begeisterten sich bekanntlich auch Édouard Manet und die Impressionisten dafür, die sich an Velázquez ein Vorbild nahmen, ebenso Francis Bacon und eine Reihe weiterer Maler. So gelang es dem Spanier sogar, in dem formal recht beschränkten Genre des Repräsentationsporträts Neues zu erfinden.

Aber Velázquez widmete sich auch den weniger glamourösen Seiten seiner Zeit. Seine Malerei durchwandert sämtliche soziale Schichten der Gesellschaft, bis hin zu Bettlern, Hofnarren und Sklavinnen. Randexistenzen tauchen auch in seinen rätselhaften Allegorien auf, deren Inhalt bis heute Gegenstand wilder Spekulationen ist – etwa die berühmten „Hilanderas“ („Die Spinnerinnen“) und die „Meninas“ („Die Hoffräulein“), die das wohl meist gedeutete Werk der Kunstgeschichte darstellt, das Philosophen (Michel Foucault, José Ortega y Gasset) ebenso bearbeiteten wie Künstler von Goya bis Picasso. Beide Bilder sind freilich nicht in der Ausstellung zu sehen, da der Prado sie mit einem Reiseverbot belegt hat.

Auch jenes Bild, mit dem sich Velázquez aller Wahrscheinlichkeit nach für seine Dienste am Hof empfahl, rückte eine bescheidene Figur ins Zentrum: Der „Wasserverkäufer von Sevilla“ ist in Lumpen gehüllt, sein Gesicht von Falten durchfurcht und sonnengebräunt; er überreicht einem sichtlich besser situierten jüngeren Mann ein Glas. Der Kunsthistoriker Martin Warnke verglich das Gemälde mit damals geläufigen Bildern von Rittern und ihren Knappen. „Velázquez malte mit derselben Hingabe und Ernsthaftigkeit, die er dem höfischen Porträt widmete, Bettler“, betont Sabine Haag noch. Das sei schon „einzigartig“. In einer anderen Abbildung („Küchenszene mit Christus in Emmaus“) stellte der Künstler eine afrikanische Sklavin in den Mittelpunkt – sehr ungewöhnlich für seine Zeit. Intensiv widmete er sich auch den sogenannten „lustigen Personen“ des Hofstaates, wie sie damals genannt wurden: Kleinwüchsige und Narren, von denen manche körperlich versehrt waren. An die höfischen Vorschriften war er dabei nicht gebunden, was ihm erlaubte, mehr zu experimentieren.
In einem Werk ist der Infant Baltasar Carlos mit einem namenlosen Zwerg abgebildet. Während der königliche Spross steif und starr in seiner prachtvollen Kluft vor sich hin starrt, wendet sich der Kleinwüchsige mit charaktervollem Gesichtsausdruck lebhaft um. Hier treffen die beiden Pole von Velázquez’ Kunst aufeinander: das Repräsentative und das Randständige, wie in einem Brennglas – auch wenn der Maler selbst in der Sphäre des Exklusiven verblieb. Sein Prozess, für den er 148 Zeugen einberufen hatte, war erfolgreich: Ein Jahr vor seinem Tod wurde Velázquez zum Ritter des Santiago-Ordens geschlagen.

Infobox

Im Stoffgebirge
Kraftlose Hände, plastische Körper: Velázquez’ malerische Sensationen im Kunsthistorischen Museum.

Reproduktionen von Gemälden mögen noch so sorgfältig gedruckt sein – das Original können sie nie ersetzen, schon gar nicht bei Alten Meistern. Dies wird in der Velázquez-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum erneut augenfällig. Denn erst angesichts der Werke selbst erkennt man, wie der Körper der „Venus vor dem Spiegel“ ins Schwingen zu geraten scheint, wie die ominöse Figur im „Wasserverkäufer von Sevilla“ aus dem dunklen Hintergrund auftaucht, wie die Hand so mancher Infantin, kraftlos am Rock liegend, ein Tuch umfasst, wie man zu sehen meint, dass sich die Männer in der „Schmiede des Vulkan“ geradezu von der Leinwand lösen, weil sie so plastisch gemalt sind. Und auch wenn man die Infantinnen in Wien längst kennt, beeindrucken diese blässlichen Mädchen, die auf regelrechten Stoffgebirgen thronen, immer wieder: In dieser Anzahl aneinandergereiht sah man sie hier noch nie. Die Schau kombiniert geschickt die Repräsentationskunst des Barockmalers – darunter viele Porträts Philipps IV., den Velázquez praktisch dessen Regentschaft hindurch begleitete – mit den Genrestücken und Heiligenbildern, den Bildnissen der Unterprivilegierten und Randfiguren, etwa „Der Hofnarr Juan des Calabazas“. Die 1656 entstandenen, mit einem Reiseverbot belegten „Meninas“ aus dem Prado sind als Kopie präsent, eine sinnvolle Maßnahme: So bekommt man zumindest eine Ahnung von der berühmtesten Rätselaufgabe der Kunstgeschichte.

„Velázquez“, Kunsthistorisches Museum, Maria-Theresien-Platz, 1010 Wien, 28. 10.–15. 2. 2015

Foto: Philipp Horak

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer