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Kultur

Sich trauen, es laut auszusprechen

Die deutsche Autorin Mely Kiyak stellte bereits vor zwei Jahren die Frage: „Werden sie uns mit Flix-Bus deportieren?“ Wolfgang Paterno über ein Buch zur Stunde.

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Vor zwei Jahren erschien ein weithin unbeachtetes Buch. Die deutsche Schriftstellerin und „Zeit“-Kolumnistin Mely Kiyak, Jahrgang 1976, stellte auf dem Cover eine damals unerhörte Frage: „Werden sie uns mit Flix-Bus deportieren?“ Kiyaks Text gewinnt angesichts rezenter Ereignisse drängende Aktualität: Am 10. Jänner enthüllte das Recherchekollektiv Correctiv in seinem Report „Geheimplan gegen Deutschland“, wie hochrangiges Personal der rechtsextremen AfD, Neonazis und finanzstarke Unternehmer im November in einem Hotel bei Potsdam zusammengekommen waren. Einer der Redner beim Potsdamer Geheimtreffen war der Wiener Martin Sellner, ein führender Kopf der europaweit vernetzten Neuen Rechten. „Sie planten nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland“, berichtete die Correctiv-Redaktion. 

In „Werden sie uns mit Flix-Bus deportieren?“ war vor zwei Jahren zu lesen: „Der Witz ist, dass man sich nie öffentlich traut, darüber zu spekulieren, wie es wohl sein wird, wenn sie uns eines Tages deportieren. Der Witz besteht natürlich nie darin, dass sie es tun würden, wenn sie könnten, sondern darin, dass wir uns nicht trauen, es laut auszusprechen.“

Kiyak erzählt in dem rund 200 Seiten starken Band unter anderem von einem Gespräch mit dem Schauspieler Mehmet Yılmaz aus dem Ensemble des Berliner Gorki-Theaters. Kiyak fragt im Kreuzberger Teehaus: „Memo, was glaubst du, bringen sie uns mit der Deutschen Bahn ins Lager?“ Yılmaz‘ Antwort: „Deutsche Bahn? Träum weiter! Die wollen, dass wir ankommen. Die deportieren uns mit Flix-Bus.“ 

Überall, schreibt Kayak, erzählten sich die Menschen die gleichen Geschichten. „Jeder fragt sich: Kommt bald das Ende? Muss es erst einmal so richtig untergehen, damit es wieder normal werden kann? Muss man weg?“ Die Antwort betrifft uns alle.

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.