INTERVIEW MIT MUSIKER WILLI RESETARITS

Bussi von Willi

Vor wenigen Tagen starb der Musiker und Menschenrechtler Willi Resetarits 73-jährig bei einem Unfall. Christian Seiler, ehemaliger profil-Chefredakteur und Resetarits-Biograf, erinnert sich an seinen Freund.

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Wenn Willi Resetarits einen Freund umarmte, schloss er die Augen, lächelte so breit, dass man hinter den Mundwinkeln seine Backenzähne sehen konnte und legte das ganze Gesicht in Falten. Er umarmte nicht beiläufig, sondern mit kratziger Herzlichkeit, weil meistens unrasiert, das heißt, er streckte die Brust heraus und nahm sich die Zeit, die eine richtige Umarmung braucht. Oft endete sie mit einem Kuss auf die Wange und dem Satz, den Willi gern über sich selbst sagte: „Ich bin ein gefürchteter Bussi-Geber.“

Das stimmte, und es stimmte nicht. Willi sparte tatsächlich nicht mit Umarmungen und Zärtlichkeiten. Aber niemand fürchtete sich davor.

Im Gegenteil, Willi hatte ein enormes Talent zur Freundschaft. In seinen Umarmungen wusste man sich sicher und aufgehoben, für einen Moment mit einem Menschen verbunden, der dieses Land jetzt, nach seinem letzten, dramatischen Abschied, in einem besseren Zustand hinterlässt, als er es angetroffen hat. Das hat unter anderem mit seinen Bussis zu tun, oder, um die pathetische Einordnung vorzunehmen, mit seiner überdimensionalen Menschenliebe.

Willi Resetarits war ein österreichischer Mega-Star, der die Menschen mochte. Er hatte die Lieben und die Aufmerksamen und die Engagierten gern, aber er hatte auch ein Herz für die Depperten und die Andrücker, die ihm ebenso zugingen und die er in mancher Nacht, wenn er mit ihnen Baucherln trank oder andere giftige Getränke, ein bisschen erzog, durch sein Lächeln, durch seinen Witz, durch seine moralische Präsenz. Wäre er auf einer Wahlliste gestanden, hätten ihm die Andrücker unter Garantie ihre Stimme gegeben. Er stand aber auf keiner, und sein Wahlkampf hinterließ nur warme Erinnerungen und begründete Zweifel an depperten Vorurteilen und Ideen.

Ich habe an manchen Abenden gesehen, wie der Willi verloren ging. Oft reichte ein „Servas, Kurtl“ von der Bar, und er verschob den Plan, endlich ins Bett zu gehen, auf später. Angeschlagen erzählte er dann am nächsten Tag, dass er mit ein paar Andrückern versumpft sei, die aber „eigentlich sehr lieb“ gewesen seien.

Auf der Bühne wurde er am nächsten Abend wieder als der Mann angekündigt, „der an das Gute im Menschen glaubt, wenn auch nicht unbedingt verkörpert“.

Das stimmte, und es stimmte nicht. Denn natürlich verkörperte Willi Resetarits das Gute im Menschen wie kein anderer Österreicher, aber er tat es halt auf seine Weise: als intellektueller Klassenkämpfer bei den „Schmetterlingen“. Als Ostbahn-Kurti, aufgeladen mit dopplerweise Street Credibility. Als engagiertes Mitglied der Zivilgesellschaft, Flüchtlingshelfer und beherzter Anwalt derer, die es nicht leicht hatten. Als der bedächtige Gesellschaftsseismograf der späten Jahre, der sich in Interviews mit größter Verbindlichkeit für Dinge einsetzte, die viele für radikal gehalten hätten, wenn sie nicht der Willi formuliert hätte. Er fand dafür, wie im übrigen auch in seinem Gesang, einen Tonfall, der völlig frei von Anklage, Bitterkeit oder Zynismus war und deshalb viele Menschen direkt erreichte. Die Kernbotschaft lautete: „Be a Mensch“.

Willi Resetarits

Es passt ins Bild, dass Willi Resetarits seinen letzten Abend vor dem tödlichen Unfall beim Flüchtlingsball im Wiener Rathaus verbrachte. Der Flüchtlingsball ist ein bedeutendes Fest des multikulturellen Wien, aber auch ein wichtiges Instrument, um Geld für das Integrationshaus zu aufzutreiben, dessen Gründung Resetarits mit Unterstützung von engen Vertrauten im Balkankriegsjahr 1995 gelungen war. Die Flüchtlingsarbeit war ihm schon früh ein Anliegen, als er sich nach der islamischen Revolution dafür einsetzte, dass Flüchtlinge aus dem Iran nach Österreich kommen konnten. Mit dem Projekt Integrationshaus gelang es Jahrzehnte später, diese Hilfe zu institutionalisieren, wobei Willi Resetarits seine ganze Popularität in die Waagschale warf, um dem Haus sein Auskommen zu sichern.

Noch spät in der Nacht, nachdem er den Ball eröffnet und ein paar Songs gespielt hatte, saß er mit kurdischen Freunden zusammen und schmiedete Pläne für ein Benefizkonzert zugunsten der Aleviten in Österreich, „weil wir müssen zusammenhalten“. Noch eines dieser substanziellen Motti, an die er selbst sich immer gehalten hat. Dann verabschiedete er sich an diesem Abend, unglaublicherweise für immer.

Ich kannte Willi Resetarits seit den späten Achtzigerjahren, als der Ostbahn-Kurti sich gerade anschickte, von einer Spaßpartie zu Österreichs größter Rockband aufzusteigen. Mit Günter Brödl, dem Erfinder dieser aus der amerikanischen Rockmythologie nach Simmering transponierten Kunstfigur, teilte ich das Büro beim „Wiener“ und wurde erste Reihe fußfrei Zeuge, wie eine Idee, die anfangs aus einer Mappe mit Texten und einer C-60-Kassette mit Songs von Southside Johnny & the Asbury Jukes, Bobby Womack und Bruce Springsteen bestand, ziemlich handgestrickt Gestalt annahm.

Ich erinnere mich an den großen Respekt, als ich ein, zwei Jahre später den Willi, der auf der Bühne wild, laut und gefährlich daherkam, zum ersten Mal im „Europa“ in der Zollergasse traf, und wie erstaunt ich über seine enorme Liebenswürdigkeit war, siehe oben. Später erlebte ich, wie die Songs, die das Ergebnis einer vollkommenen Übereinstimmung der poetischen Kraft Günter Brödls mit der interpretatorischen Genialität Willi Resetarits’ waren, den Menschen beispiellos ans Herz wuchsen. In ihrer lärmigen Zeitlosigkeit stiegen sie bei den „Kurtologinnen und Kurtologen“ in den Kanon der eigenen Geschichte, Gefühle, Erinnerungen, Haltung auf, wurden in ihrer Summe zum österreichischen Weltkulturerbe. In den Ostbahn-Liedern wohnt so viel Leben, dass sie jeden von uns berühren, von jedem von uns erzählen, jedem von uns gehören, wie es großen Gedichten, Mythen und Geschichten eben so geht.

Als Willi und ich begannen, die Geschichten für seine Autobiografie zusammenzutragen, waren wir schon 30 Jahre befreundet. Jetzt lernte ich ihn neu als Meister des Vom-Hundertsten-ins-Tausendste-Kommens kennen. Plötzlich entfalteten sich die Geschichten, die er sonst eher pointilistisch erzählt hatte, in einer fantastischen Ausführlichkeit. Wenn er über die Kindheit im kroatischsprachigen Stinatz und am Humboldtplatz in Favoriten sprach, fiel ihm spätestens, wenn wir zu einem neuen Thema wechseln wollten, ein, was er eigentlich erzählen wollte.

Von den Eltern, die sich aus prekären Verhältnissen nach oben arbeiteten bis zum eigenen Haus am Bruckhaufen in Floridsdorf. Von dem Gefühl „to be looked down upon“, wie es Willi so trefflich formulierte, weil man nämlich schon als Kind zu spüren bekam, dass man ein Krawod aus dem Burgenland war im Wien der wienerischen Wiener. Von der Rock’-n’-Roll-Musik, die Befreiung aus engen Verhältnissen versprach. Vom großen Bruder Erich, der als Jerry And The G-Men den Takt vorgab, später vom Erich zum Lukas wurde und eine neue Ära des österreichischen Kabaretts begründete. Vom vibrierenden Underground in den Katakomben der Wiener Musiklokalitäten und der Entscheidung für die Folk-Clubs, weil dort die Menschen netter waren als bei den Bluesern und Rockern. Vom Achtundsechzigerjahr und von der galoppierenden Politisierung, vom Arbeiterdichter Heinz R. Unger, der den frisch gegründeten Schmetterlingen die meisten Texte der „Proletenpassion“ schrieb –

Willi: „Weißt du überhaupt, warum die Schmetterlinge Schmetterlinge heißen?“

„Nein.“

„Wir hatten uns eigentlich den unglaublich doppeldeutigen Bandnamen ,Die Zitronenfalter’ ausgedacht – verstehst du, in einer Limonadenfabrik Zitronen falten, sehr witzig. Aber bei unserem ersten Auftritt im Golden Gate Club, wo wir in der Pause von einem Konzert der Worried Men Skiffle Group auftreten durften, hatte der Ansager unseren Namen vergessen und sagte: ,So. Jetzt spielen irgendwelche Schmetterlinge’.“

„Hoit, do foit ma ei“: So arbeiteten wir uns durch die Jahrzehnte, zum Glück dokumentiert von einer Filmkamera, so dass diese Geschichten vom geborenen Sprechsteller Willi Resetarits aufgehoben sind, für irgendwann, wenn man weitere Aufklärung braucht über die zierliche Geschichte der Zweiten Republik, wie sie nur Willi, Jahrgang 1948, erlebt hat und erzählen konnte. Schmetterlinge, Arena-Besetzung, linksradikale Basisdemokratie, permanente Deutschlandtourneen, Großdemos, Anti-AKW-Bewegung, der Ostbahn, die immer größeren Hallen, die Flüchtlingsarbeit, das Integrationshaus, der Tod Günter Brödls, „Trost & Rat“ im Radio, der Stubnblues, die Bühnenjahre an der Seite von Ernst Molden, der Willi seinen „Zenmeister“ nannte und jetzt empfindet, dass sein Haus kein Dach mehr hat. Ich kann es ihm nachfühlen.

Hoit, do foit ma ei: Eigentlich ist es ein Wunder, dass das Buch irgendwann fertig wurde, eh einige Monate zu spät, weil Willi jeder und jedem, die in seinem Leben eine Rolle gespielt hatte, gerecht werden wollte. Jeder Satz, jede Zuschreibung, jede Erinnerung musste stimmen und daher überprüft werden. „Mia is wurscht“ war ein Slogan auf den T-Shirts des Ostbahn-Kurti, aber wurscht war dem Willi genau gar nichts, und weil die Verifikationen dauerten, erschien das Buch erst drei Tage vor seinem siebzigsten Geburtstag. Und es war gut so.

Es ist ein Treppenwitz, dass Willis Unfalltod am vergangenen Sonntag ausgerechnet zuerst von der „Krone“ gemeldet wurde, die vermutlich den Polizeifunk abgehört hatte. Genau diese „Krone“ hatte ihn viele Jahre offensiv totgeschwiegen, als Reaktion auf einen Gastkommentar Willis im „Falter“. In dem Kommentar hatte er auf die unsinnigen Unterstellungen der „Krone“, er sei Teil eines linken Terrornetzwerks, mit einer ebenso grotesken Glosse geantwortet, die Mutmaßungen über private Vorlieben des damaligen Krone-Chefs anstellte.

Er konnte sich nämlich auch wehren. Den Namen des Krone-Herausgebers schwärzte die Falter-Redaktion mit Filzstift, trotzdem kam die Botschaft an. Willi Resetarits wurde in der „Krone“ viele Jahre lang nicht mehr erwähnt. Wenn ein „Krone“-Fotograf zu Pressetermin kam, an denen auch Willi teilnahm, wartete er immer, bis die Kollegen ihren Job erledigt hatte und bat Willi dann freundlich, aus dem Bild zu gehen. Am Tag nach seinem Tod beklagte nun die „Krone“ auf der Titelseite den „Abschied vom Menschenfreund“, und das können wir getrost als Beweis für partielle Lernfähigkeit sehen, immerhin.

Der Tod von Willi Resetarits hat im ganzen Land eine Schockwelle ausgelöst. Er berührte auch Menschen, die Willi nicht kannten und mit seinem Werk wenig vertraut waren, die in ihm nicht den überragenden Musiker, den gebildeten Zeitgenossen, den geborenen Entertainer sahen, sondern den Menschen, der das Leben und die Bühne liebte, den man für seinen Spruch, seinen spontanen Witz und Charme mochte, für seine zelebrierte Umständlichkeit, seine Selbstironie und den Schmäh, dem immer auch der Wunsch nach Versöhnung innewohnte.

Er hinterlässt seine Frau Roswitha, drei Kinder, zwei Brüder und zahllose Menschen, denen er das Privileg seiner Freundschaft gewährte: Musikerinnen und Musiker, Gefährtinnen und Gefährten der politischen und medialen Arbeit, Gelegenheitsbekanntschaften und Nachbarn, Nachtschwärmer und uns alle, die sich nichts mehr wünschen würden als noch ein gefürchtetes Bussi vom Willi. Eins noch.