Sonne, Stahl und Singerei in der ehemaligen Industriehochburg Ostrava.

Colours of Ostrava: Das moderne Hochofenballett

Colours of Ostrava: Das moderne Hochofenballett

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Ostrava beginnt mit einer Beleidigung. Gemütlich tingelt der Morgenzug von Wien über Brno in die osttschechische Industriestadt Ostrava. Die Gänge: vollgepackt mit gutgelaunten jungen Menschen, Rücksäcken, Zelten und Schlafsäcken. Kurz vor Ostrava schickt sich ein älteres Paar an, den Zug eilig zu verlassen und weist ein Mädchen bestimmt darauf hin, ihren Koffer doch zur Seite zu räumen. Unter Ächzen und Stöhnen drängt sich das englischsprachige Paar aus dem Zug, als die Frau ein zischendes "Stupid idiots" in Richtung der jungen Festivalbesucherin wirft.

Doch zu früh geschimpft. Der Hauptbahnhof von Ostrava ist noch eine Station weiter, das Paar zwängt sich also wieder in den Zug und wartet genervt-verdutzt, bis sich der Zug kurze Zeit später fast vollständig geleert hat. Und auf die Beleidigung folgt die Entschuldigung. "My apologies", zeigt sich die aufgebrachte Frau versöhnlich. Das Mädchen nimmt es gelassen und verschwindet kurz darauf im Tross der Festivalbesucher in der Straßenbahn Richtung Festival.

Eine Frau namens Björk - vor dem Orchester in Weiß, der Federmaske, dem Teefhäferl, dem Getanze und dem Fotoverbot.

Etwas rau zeigt sich zunächst auch Ostrava selbst und das Festivalgelände. Drei Stunden von Wien entfernt, zehn Kilometer süd-westlich der Grenze zu Polen und an der Oder gelegen, entwickelte sich Tschechiens drittgrößte Stadt (knapp 300.000 Einwohner) im 19. und 20. zu einem Zentrum der Stahlindustrie. Das Aushängeschild: die Witkowitzer Eisenwerke im Süden der Stadt.

2002 wurden Teile des mittlerweile stillgelegten Betriebes zum Nationalen Kulturdenkmal erhoben, im gleichen Jahr wurde das "Colours of Ostrava"-Festival aus der Taufe gehoben. 13 Jahre später hat sich die Musikrundschau zu einem der spannendsten und entspanntesten Festivals Mitteleuropas entwickelt. Und das Industriegelände hat sich gleichzeitig mit seinem Niedergang versöhnt.

Ein kluges Lineup (u.a. Björk, Caribou, St. Vincent, José Gonzáles, Dillon, Swans, HVOB, Bokka), vernünftige Preise, moderne Kunsträume und jede Menge versteckte Ecken bringen sogar notorische Festivalskeptiker dazu, sich gutgelaunt zwischen den vielen Bühnen, Podien, Hochöfen und Schlöten hin und her zu bewegen. Das tschechische Bier mag daran nicht unbeteiligt sein. Das lokale "Ostravar" füllt im alten Industrieviertel allerdings keine Becher. Dazu lohnt sich ein Ausflug in die Innenstadt. Hier wird ebenfalls Musik gemacht, wenn auch für ein kleineres Publikum. Aber nicht minder entspannt.

Jeder fängt einmal klein an: entspanntes Musizieren in Ostravas Fußgängerzone