Titelgeschichte

Der Fall Teichtmeister: „Glaubhaft bestritten“

Was ist aus Florian Teichtmeisters erschreckendem Doppelleben zu lernen? Wie hätte man mit den Gerüchten umgehen sollen, die über ihn kursierten? Und muss man seine Werke nun lückenlos aus dem Verkehr ziehen?

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Triggerwarnung

In dieser Geschichte geht es um Themen wie Pädophilie und Missbrauch. Bei manchen Menschen können diese Themen negative Reaktionen auslösen oder traumatische Erfahrungen reaktivieren.

Das betretene Schweigen, das sich nun viele jener Kulturschaffenden auferlegt haben, die Florian Teichtmeister in den letzten anderthalb Jahren – trotz der grassierenden Gerüchte zu seiner unstillbaren Sucht nach Kindesmissbrauchsdarstellungen – weiterhin beschäftigt und ihm vertraut haben, lässt tief blicken. Es zeigt die Scham darüber, den Lügen eines von Gewaltfantasien offenbar Besessenen rückhaltlos geglaubt zu haben, nicht angemessen (oder gleich gar nicht) reagiert zu haben auf Vorwürfe, die zwar noch unbestätigt, aber weithin bekannt waren – und es veranschaulicht auch die Angst vor weiteren Kollateralschäden. 

Und es sind tatsächlich viele, die in diesen Tagen schweigen oder allenfalls vorgefertigte, von Krisenberatern vakuumverpackte Statements abliefern. Die Regisseurin Ruth Mader, die Teichtmeister die Nebenrolle des besorgten Vaters einer minderjährigen Tochter in ihrem Nonnen-Horrorfilm „Serviam“ anvertraute, beantwortet die profil-Anfrage nicht einmal abschlägig. Dabei kam es an ihrem Set zu einem Vorfall, den damals noch niemand einordnen konnte: Teichtmeister, der seinen Drehtag Mitte Juli 2021, noch vor dem Bekanntwerden erster Verdachtsmomente gegen ihn, absolvierte, fotografierte in einer Pause seine präpubertäre Schauspielpartnerin, um die Abbildung ihres Gesichts daheim in eine sexualisierte Collage mit hochgradig brutalisierten Texten einzubauen. 

Die Polizei, die dieses Bild unter Zehntausenden anderen auf den von Teichtmeister freiwillig ausgehändigten Datenträgern fand, verständigte die Eltern des Mädchens – und alarmierte so auch das Produktionsunternehmen, in dem „Serviam“ gerade fertiggestellt wurde. epo-film-Geschäftsführer Dieter Pochlatko bestätigt diesen Hergang: „Wir wurden von den Eltern einer betroffenen Darstellerin Anfang Oktober 2021 informiert, dass die Kripo wegen eines Fotos ihrer Tochter ermittelt.“ In weiterer Folge sei er von der Rechtsvertretung der Eltern aufgefordert worden, Teichtmeister davon abzuhalten, sich in welcher Form auch immer ihrer Tochter zu nähern. Daraufhin habe man jeden Kontakt zu Teichtmeister abgebrochen, ihn von allen Einladungslisten gestrichen, von der allfälligen Bewerbung der Produktion und Premierenauftritten ausgeschlossen. Aber dem Schnittprozess fiel der Schauspieler nicht zum Opfer; man ließ ihn, trotz allem, im Film. 

Die Schauspielerin Petra Morzé erinnert sich, dass ihr während der Dreharbeiten zu Ruth Maders „Serviam“ im Spätsommer 2021, wo sie nicht gleichzeitig mit Florian Teichtmeister am Set war, die Eltern einer kindlichen Darstellerin erzählten, wie nett sich Teichtmeister mit ihrer Tochter unterhalten habe, einmal seien sie auch alle gemeinsam essen gegangen. „Ich habe mich damals noch gewundert“, so Morzé, „dass jemand wie Teichtmeister, der so unter beruflichem Druck steht, dafür die Zeit findet. Im jetzigen Erkenntnisstand hat diese Nettigkeit natürlich eine grausame Logik.“ 

Über eine gemeinsame Lesung mit Teichtmeister im Sommer 2021 sagt sie: „Er war über Tage nicht erreichbar gewesen, keiner wusste etwas, wir machten uns Sorgen, dass ihm etwas zugestoßen sei. Ich hatte mich schon darauf eingestellt, den Abend allein zu gestalten. Eine Dreiviertelstunde vor Beginn kam er, völlig überraschend,  in Begleitung seines Bruders, aufgelöst, totenbleich und mit der Entschuldigung, dass er sein Handy verloren und die letzten Tage nicht geschlafen habe. Wir dachten uns damals alle, dass er schwer depressiv oder wegen Alkohol oder Drogen abgestürzt sei. Bei der Lesung selbst rezitierte er fehlerfrei und so, als ob nichts geschehen sei. Kaum ging er von der Bühne, wurde er wieder zu dem Wrack, das er davor war.“

Im Herbst 2021 schon gab es erste Zeitungsmeldungen zu Ermittlungen gegen einen damals noch ungenannten österreichischen Schauspieler wegen Darstellungen sexualisierter Gewalt an Minderjähren sowie zu (inzwischen eingestellten) Erhebungen wegen Körperverletzung und Drogenmissbrauch. Bald kursierten recht konkrete Gerüchte über dessen Identität. Man erzählte sich hinter vorgehaltener Hand von Teichtmeisters illegalen Vorlieben, aber man tat – erstaunlich wenig. Florian Teichtmeister blieb im Ensemble des Burgtheaters, absolvierte dort eine Hauptrolle nach der anderen, wurde für Dreharbeiten gebucht, trat im Fernsehen auf. 

Alle hätten „alles“ über Teichtmeisters Neigungen gewusst in der Kulturszene, hieß es zuletzt überspitzt formuliert, wovon sich flugs weite Teile der Branche distanzierten. Wie genau immerhin einige alles gewusst haben, belegt eine Randbemerkung in einem Interview, das der Regisseur Sebastian Brauneis, der zweimal mit Teichtmeister gearbeitet hat (zuletzt 2018 an der Clemens-Setz-Adaption „Zauberer“), vor wenigen Tagen dem Sender Puls 24 gegeben hat. Er habe den Schauspieler zuletzt bei der Wiener Premierenfeier aus Anlass des Kinostarts von „Corsage“ getroffen, sagte Brauneis da, wo ihm Teichtmeister ungefragt und seltsam unbekümmert erzählt habe, er sei seiner „Sexbilder“ wegen ohnehin in Therapie, er könne ihn, Brauneis, also beruhigen. Diese Erzählung zeigt, wie sehr der Täter offenbar davon ausging, dass sein Umfeld eben doch sehr konkret Bescheid wusste über seine kriminellen Vorlieben – deutlicher jedenfalls, als derzeit von den meisten zugegeben wird.

Was also hätte getan werden können – oder besser: getan werden müssen? Aus dem Burgtheater, wo Teichtmeister allen Gerüchten zum Trotz eben nicht nur angestellt blieb, sondern auch weiterhin prominente Rollen zu spielen kriegte, gab man vor einer Woche, zwei Tage nach der Meldung zum Strafverfahren gegen den geständigen Künstler, eine weitschweifige Stellungnahme ab, um die Öffentlichkeit „mit größter Offenheit und Transparenz“ darüber zu informieren, wie man am Haus mit den Vorwürfen gegenüber dem Schauspieler umgegangen sei. 

„Mit großer Bestürzung“ habe man von den Ermittlungsergebnissen gegen Florian Teichtmeister erfahren. Es seien „schockierende Taten“, von denen man vor dem 13. Jänner nichts geahnt habe. „Bis dahin gab es bis auf die Gerüchte keinerlei Wissen um das gesetzeswidrige Verhalten von Florian Teichtmeister.“ Man habe unter Beiziehung von Rechtsanwälten immerhin interne Untersuchungen eingeleitet, habe die Bundestheater-Holding informiert und sich Auskunft darüber geben lassen, „ab wann wir welche konkreten arbeitsrechtliche Schritte setzen dürfen und müssen“. Am 13.1. habe man „sofort arbeitsrechtliche Schritte gesetzt und die Entlassung ausgesprochen. Bis heute sind wir zu den Vorwürfen weder polizeilich, fremdanwaltlich noch gerichtlich kontaktiert worden.“

Erst unlängst, im Zuge der Präsentation des ab Herbst 2024 amtierenden Burgtheaterdirektors Stefan Bachmann, gab Holding-Chef Christian Kircher deutlich zu verstehen, dass jeder Einsatz der vor Jahren in einen Mobbing-Eklat verwickelten Ehefrau Bachmanns, der Schauspielerin Melanie Kretschmann, „genehmigungspflichtig“ sei. Aber die vielen Auftritte Teichtmeisters blieben auch nach der Information, dass gegen ihn ermittelt werde, durch die Holding unbeanstandet. 

Den Ermittlungsakt hätte die Direktion des Burgtheaters tatsächlich nicht gekriegt, selbst wenn sie das gewollt hätte, bestätigt die Medienstelle der Staatsanwaltschaft, in laufenden Verfahren werde auch Dienstgebern keine Auskunft erteilt. Man hätte jedoch Teichtmeister auffordern können, die ihn betreffenden Akten vorzulegen, denn er hatte als Verfahrensbeteiligter Einsicht. So hätte es einen Entlassungsgrund gegeben, wenigstens ein Motiv für eine Suspendierung für die Zeit des Strafverfahrens. 

Wurde Kunststaatssekretärin Andrea Mayer von den Behörden über die Ermittlungen gegen Teichtmeister in Kenntnis gesetzt? „Nein, wurde sie nicht“, heißt es vergangene Woche auf Nachfrage von profil aus ihrem Büro. „Frau Staatssekretärin Mayer hat am vergangenen Freitag aus den Medien davon erfahren.“ Die anonymen Berichte aus dem Jahr 2021 seien dem Kulturministerium „natürlich bekannt“ gewesen, „nicht aber, um welche Person oder welche Häuser es dabei ging“. 

Allen habe er „glaubhaft versichert“, er sei unschuldig und lediglich Opfer eines Racheakts seiner Ex-Freundin. Auch Marie Kreutzer, Regisseurin des Films „Corsage“, in dem Teichtmeister eine tragende Rolle spielt, und ihr Produktionsteam halten in einem Statement fest, dass der Schauspieler „nach dem Auftauchen erster Gerüchte nach dem Ende der Dreharbeiten auf dezidierte Nachfrage – nicht nur für uns glaubhaft – versichert“ habe, dass die Gerüchte um seine Person falsch seien.

„Es gibt jetzt viele, die damals schon alles gewusst haben“, sagt die Regisseurin im Gespräch mit profil. „Ich gehöre nicht dazu. Wohl auch nicht das profil, sonst hätte mich die Redaktion nach der Filmpremiere in Wien im Mai letzten Jahres bei dem Interview, das ich gegeben habe, darauf angesprochen. Ich beschäftige mich jetzt vor allem mit der Frage, wie wir das in Zukunft besser machen können. Wir haben inzwischen gute Maßnahmen, Regeln und Verhaltensrichtlinien für den wertschätzenden und diskriminierungsfreien Umgang beim Dreh. Für den komplexen und schwierigen Umgang mit öffentlichen, aber anonymisierten Vorwürfen über sexuelle Belästigung durch Mitglieder eines Filmteams außerhalb einer Produktion, eines Drehs fehlen uns solche Regeln und Verhaltensrichtlinien noch. Daran müssen wir in der Filmbranche dringend arbeiten.“

Warum glaubten dem Schauspieler all jene, die mit ihm arbeiteten, ohne Rückfragen an die Behörden? Teichtmeister belog offenbar auch enge Freunde, in der absurden Hoffnung möglicherweise, das alles werde irgendwie an ihm vorüberziehen. Oder einfach, um so lange wie möglich noch sein altes Leben zu haben und vielleicht auf eine Existenz danach, weit weg von allem, zu sparen? Die psychiatrischen Gutachter sprechen von Zurechnungsfähigkeit. 

Diese Woche werden die Oscar-Nominierungen für den besten fremdsprachigen Film bekannt gegeben; es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die Academy nach dem Eklat „Corsage“ nominieren wird. Bei den British Academy Film Awards wurde „Corsage“ nun aber doch in der Kategorie „Bester nicht-englischsprachiger Film“ nominiert. In der Wiener Produktionsfirma von „Corsage“ ist die Euphorie darüber stark gedämpft: „Natürlich freut uns das“, heißt es in einer Aussendung. „Tatsache ist aber auch, dass in unserem Film ein Schauspieler mitwirkt, der mit seiner privaten Sucht nach Darstellungen von Kindesmissbrauch zum Leid unzähliger Kinder beigetragen hat. Und dieses Thema überstrahlt derzeit alles – auch für uns. Das ist jetzt wichtiger als jeder Filmpreis.“

Mehr als eine Million Menschen weltweit haben „Corsage“ inzwischen in den Kinos gesehen, in 91 Länder wurde er verkauft; ob er in all jenen Territorien, in denen er bislang nicht gestartet wurde, noch in die Kinos kommen wird, steht in den Sternen. In mehr als 300 US-Kinos läuft „Corsage“ derzeit noch, in England und Nordamerika gehört das Werk zu den meistbesuchten 15 Filmen. Auch in Frankreich, Italien kommt es auf exzellente  Besucherzahlen. In Österreich hat die Kinokette Cineplexx den Film aus dem Programm genommen.  

Natürlich ist die Kunst nicht „größer“ als die Verantwortung der Menschen, die sie herstellen oder darin auftreten. Aber ist Canceln der richtige Weg? Bietet „Corsage“ einem Täter ein „Forum“? Sollte man den Film deshalb unterdrücken? Dem Täter, meinen manche, würde damit „eine Macht gegeben, die ihm nicht zusteht“. Angesichts eines verfemten Darstellers, der einen Film durch sein Spiel zwar mitprägen und färben mag, diesen aber definitiv nicht „geschaffen“ hat, erschiene es fast absurd, das ganze Werk als für immer kontaminierte Ware zu brandmarken und aus dem Verkehr zu ziehen. Zensur ist kein Fortschritt, sondern eine Rückentwicklung. Nichts wäre durch sie gewonnen oder enthüllt. Das Mittel der Kontextualisierung scheint auch hier (wie im Fall unzeitgemäßer oder verletzender Formulierungen in historischen Werken) das passende zu sein: Man könnte Filme, in denen Teichtmeister auftritt, etwa mit einem einleitenden Insert versehen, mit erklärenden Worten oder auch einer Art Triggerwarnung. 

„Corsage“ war Anfang Juli 2021 abgedreht, als die ersten Gerüchte zu Teichtmeisters Abgründen die Runde machten. Ende November war auch der Schnitt fertig. Den anonymen Vorwürfen zum Trotz lud man Teichtmeister noch zu Filmpremieren und Promotion-Arbeit ein. Dies – und mehr noch der Fall des Burgtheaters – zeigt einen stark interessengeleiteten Umgang mit mutmaßlichen Kriminellen, deren Schuld man zu spät erkennt. Man hofft – ähnlich wie der Täter selbst – darauf, dass die Vorwürfe sich von selbst in Luft auflösen, um sich den enormen Problemen von Nachdreh, Umschnitt oder Umbesetzung nicht stellen zu müssen.

Es gab andere, die auch ohne polizeiliche Aufforderung erstaunlich geistesgegenwärtig reagierten und an der Reißleine zogen: der Produzent Heinrich Ambrosch von der Satel Film etwa, der seit 2016 die Serie „Die Toten von Salzburg“ mit Teichtmeister in der Hauptrolle produziert hat. In der jüngsten Folge wird die Figur, die Teichtmeister darstellt, nur noch „verabschiedet“, mit einer kurzen Szene, die wohl auch nicht mehr zur Ausstrahlung kommen wird. „In den Zeitungsartikeln, die im September 2021 erschienen, gab es Hinweise darauf, dass es sich bei dem anonymen Täter um Florian Teichtmeister handeln könnte“, sagt Ambrosch zu profil. „Ich habe ihn daraufhin angesprochen, er hat bestätigt, dass die Behörden gegen ihn ermitteln, es würde sich aber alles in Wohlgefallen auflösen. Ich habe ihm in Absprache mit ORF und ZDF mitgeteilt, dass wir unter dieser Voraussetzung nicht mit ihm arbeiten können – oder erst wieder, wenn seine Unschuld festgestellt sei.“ 

Vielleicht kann man daraus für künftige Verdachtslagen lernen. Der Glaube an das Gute im Menschen ist eine sehr sympathische Eigenschaft. Skepsis ist die bessere.

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Die Affäre um den geständigen Burgschauspieler Florian Teichtmeister wirft brisante Fragen auf: Wie kann das Geschäft mit sexuellen Missbrauchsdarstellungen von Kindern bekämpft werden? Wie soll man mit den Tätern umgehen, wie kann man die Opfer schützen, wie die Taten verhindern?

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Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.