Alvis Hermanis
Der Schwierige

Der Schwierige: Burgtheater-Regisseur Alvis Hermanis

Alvis Hermanis wirft nicht nur auf der Bühne Denkgewohnheiten über den Haufen.

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"Wir spielen gerade ein bisschen Lego“, erklärt Alvis Hermanis gut gelaunt. Zwei Assistenten verschieben Stellwände auf der Probebühne im Wiener Arsenal. Jede ist liebevoll mit alten Tapeten und historischen Gemälden behängt, sie entführen in die versunkene Epoche der Jahrhundertwendesalons. "In Russland ist Tschechow gar nicht so populär“, erklärt der Regisseur in einer Mischung aus Englisch und Deutsch: "Diese Intellektuellen, die dauernd Tee trinken und über den Sinn des Lebens nachdenken, sind den Leuten zu bürgerlich.“ Deshalb hat Hermanis nun einen im deutschsprachigen Raum selten gespielten Autor ausgegraben, den er für "bodenständiger“ hält. Am 21. Oktober wird Alexander Ostrowskijs Stück "Schlechte Partie“ im Burgtheater in Starbesetzung (Ofczarek, Maertens, Simonischek, Lyssewski) Premiere haben. Es geht um die Käuflichkeit der Liebe in einer Gesellschaft voller Parvenüs und Spekulanten. Hermanis sagt, ihn erinnere Ostrowskij an Schnitzler.

Der gebürtige Lette, 52, ist Stammgast an der Burg, bekannt für seine kühnen Zugriffe auf Dramenstoffe. Er inszenierte 2011 Schnitzlers Seelenklassiker "Das weite Land“ im Stil eines Film noir und ließ Tschechows frühes Meisterwerk "Platonov“ im selben Jahr fünf Stunden lang hyperrealistisch wie ein historisches Tableau abrollen; er zeigte Gogols "Der Revisor“ (2015) in einer schmierigen Sowjetküche mit echten Hühnern und Schauspielern, die in Fatsuits steckten. Einen klar wiedererkennbaren Regiestil hat Hermanis nie entwickelt. "Nicht jeder Schlüssel sperrt alle Türen auf“, meint er: "Ich suche für jeden Stoff einen anderen Zugang.“ Seinen Inszenierungen gemeinsam ist allerdings, dass die Schauspielkunst im Zentrum steht. "Ich bin radikal altmodisch“, sagt Hermanis. "Ich weiß, ich klinge wie ein Großvater, aber ich finde, Kunst ist ein elitärer Club. Es sollte nicht darum gehen, sie simpler zu machen, damit alle sie verstehen. Es geht eher darum, schon die Kinder besser auszubilden.“

Keine Angst, anzuecken

Hermanis ist ein Grübler, wirkt fast schüchtern und überlegt lange, ehe er etwas sagt. Er hat aber auch keine Angst davor, mit seiner Meinung anzuecken. 2016 sorgte er für einen Shitstorm, als er eine geplante Inszenierung am Hamburger Thalia Theater absagte, weil er an keinem Haus arbeiten wollte, das sich als "Refugees-Welcome-Center“, so seine Formulierung, verstehe. Als Vater von sieben Kindern sprach er sich dagegen aus, die Grenzen zu öffnen; man könne nicht ausschließen, dass sich unter den Flüchtlingen auch Terroristen befänden, erklärte Hermanis schriftlich. Die Berliner "taz“ nannte ihn daraufhin einen "rassistischen Regisseur“.

Mittlerweile ist Hermanis vorsichtiger geworden. Je älter er werde, desto offensichtlicher sei es für ihn, wie sehr ihn seine Heimat Lettland geprägt habe: "Wir sind ein kleines Land, es war schwierig, gegenüber den russischen Einflüssen eine eigene Identität zu bewahren.“ Hermanis ist als Theater- und Opernregisseur international gefragt, aber er hängt an Riga, wo er nach wie vor sein kleines Theater betreibt. "Ich fliege jedes Wochenende nach Hause, egal, wo ich gerade arbeite.“

Beim Eishockey gelernt

Eigentlich wollte der Regisseur, der gern im historischen Theaterfundus gräbt, als junger Mann Eishockey-Profi werden - ein recht brutaler Mannschaftssport: einer dieser vielen Widersprüche, die Hermanis und seine Arbeiten so spannend machen. "Es ist, als würde man gleichzeitig Schach spielen und boxen. Ich habe beim Hockey viel für meine spätere Arbeit am Theater gelernt.“ Herzprobleme machten ihm schließlich einen Strich durch die Sportkarriere. In der Bühnenkunst landete er eher zufällig. "Ich dachte, im Theater könnte ich endlich Mädchen kennenlernen.“

Als junger Mann, erzählt er, sei er mit einem Stipendium nach New York eingeladen worden, wo alle nur wissen wollten, wie traumatisch es gewesen sei, im Kommunismus aufzuwachsen. Aber Hermanis hatte nie gelitten, die Perestroika hatte ihn geprägt. Er habe damals also ein bisschen gemogelt, die Welt weniger komplex gemacht, als er sie eigentlich empfand, um Erwartungen zu entsprechen. "Jeder möchte nur seine Meinung bestätigt haben“, sagt er lächelnd. Seine Assistenten sind bereits nach Hause gegangen, er bleibt sitzen und grübelt weiter über seiner Inszenierung, von der man am Ende vermutlich wieder nicht wissen wird, ob man sie nun altmodisch nennen soll oder eben doch radikal modern.

Karin   Cerny

Karin Cerny