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Die kaputte Republik

Stefan Grissemann rät zu historischem Bildungsmaterial von bitterer Aktualität – zur Wiener Ausstellung „Die Zerstörung der Demokratie“.

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Was kann uns ein Rückblick in blassgraue Vorzeit, in eine neun Jahrzehnte zurückliegende Ära, jene des Ständestaats nämlich, des Austro- und Klerikalfaschismus lehren? Natürlich vieles: Er kann, nur zum Beispiel, das Wesen der Radikalisierung erläutern und anschaulich machen, kann zeigen, wie schnell sich eine scheinbar bürgerliche, christliche und vorgeblich „soziale“ Politik nach weit rechts drehen kann, um ihre „Reformen“ durchzusetzen, selbstverständlich alles ganz „legal“, mit den allerbesten Absichten, „in Ruhe und Ordnung“.

Man muss die drängende Aktualität solcher jähen gesellschaftlichen Umstürze nicht eigens betonen; der neuerliche Höhenflug autoritär-rechter, auch faschistischer Weltbilder ist um uns, durchseucht bereits weite Teile Europa. Und viele der Befunde heute haben Ähnlichkeit mit jenen, die sich auch in den frühen 1930er-Jahren zeigten: die Tristesse der wirtschaftlichen Lage, die Angst vor dem sozialen Abstieg, der allgegenwärtige Antisemitismus, eine fundamentale Verunsicherung.

Im ersten Stock des Wiener Rathauses sind, in diesem Sinne, Fragmente eines Lehrstücks zu besichtigen; nur noch wenige Tage, bis 16. Februar nämlich, läuft hier, bei freiem Eintritt, eine Ausstellung, die – kuratiert von Bernhard Hachleitner und Werner Michael Schwarz – vielerlei Dokumente aus dem Ständestaat versammelt: Fotos, Plakate, Schriftstücke und andere Dokumente aus einem ereignisreichen Jahr, aus einer Zeit der Demokratiezersetzung, wie sie zwischen März 1933 und Februar 1934 stattgefunden hat. 

Im Zuge des kalten christlich-sozialen Putsches unter Kanzler Engelbert Dollfuß Anfang März 1933 wurde das Parlament ausgeschaltet und die Verfassung hundertfach gebrochen, man führte Zensur und Todesstrafe wieder ein, maß und eignete sich diktatorische Regierungsgewalt an. Österreichs noch fragile Erste Republik wurde kaputtgeschlagen. Der neue „Autoritätsstaat“ stieß in einem großen Teil der österreichischen Bevölkerung auf rückhaltlose Zustimmung.

Keine 15 Monate später, am 25. Juli 1934, wurde Dollfuß, Führer der Einheitspartei „Vaterländische Front“, im Zuge eines Putschversuchs der illegalen österreichischen Nationalsozialisten, von deren gefährlich erstarkender Bewegung man sich vergeblich abzugrenzen suchte, ermordet. Das Trauerspiel fand damit, wie bekannt, leider kein Ende.

Am kommenden Montag ab 18.30 Uhr veranstaltet man in der Volkshalle des Rathauses 
(Eingang Lichtenfelsgasse) zum Ausstellungsschluss eine von der Kulturwissenschaftlerin Katharina Prager moderierte Podiumsdiskussion, an der neben den beiden Kuratoren auch die Politikwissenschaftlerin Tamara Ehs und die Historikerin Monika Sommer teilnehmen werden. Anmeldung erbeten! Zu der sehenswerten, in Kooperation zwischen Wienbibliothek und Wien Museum entstandenen kleinen Ausstellung ist außerdem im Residenz-Verlag eine voluminöse Publikation erschienen: viel wesentliches Bildungsmaterial für daheim. 

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.