Kay Voges

Digitaler Sinnsucher: Kay Voges übernimmt das Volkstheater

Digitaler Sinnsucher: Kay Voges übernimmt das Wiener Volkstheater

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Als Jugendlicher stand Kay Voges, 1972 in Düsseldorf geboren, in Amsterdam mit einem Holzkreuz auf der Straße und predigte. Seine erste Bühne war die Kirche: In einer religiösen Familie aufgewachsen, war er lange in der Glaubensgemeinde aktiv, auch, weil er wissen wollte, was die Welt im Innersten zusammenhalte, wie er später in einem Interview erzählt. Keine schlechte Sozialisation, denkt man an Kollegen wie Martin Kusej, der ebenfalls betont, dass sein bilderstarkes Theater in der überbordenden katholischen Ikonografie wurzle.

Voges stehe für „digitales Physik- und Philosophie-Theater“, wie das deutsche Online-Forum „Nachtkritik“ in Bezug auf seine Inszenierung „Die Parallelwelt“ schrieb.

Ein aberwitziges Projekt: Ein Theaterabend, der zeitgleich an zwei Orten – Berlin und Dortmund – stattfindet. Über Glasfaserkabel werden die Videoaufnahmen sekundenschnell übertragen, echte Schauspieler auf der jeweiligen Bühne spielen simultan mit ihren Kolleginnen und Kollegen im anderen Theater, die man dann live auf Video sieht. Voges hat eine völlig neue Erzählweise erfunden: digitales Theater, das doch extrem sinnlich mit Schauspiel interagiert. Stücke, in denen die großen Fragen der Menschheit verhandelt werden: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und: Was macht die digitale Umwälzung mit uns allen? Ästhetisch ist der Abend, der vom Kreislauf des Lebens und Sterbens erzählt und sich dabei in aberwitzige Spiralen und Loops wirft, faszinierend. Physikgeschichte und Quantentheorie, Schrödingers Katze und Zitate des Filmemachers David Lynch untermauern, wie wenig linear unser Leben verläuft. Mitunter driftet die digitale Sinnsuche allerdings ins Esoterische ab: Die Form ist stärker als der Inhalt.

Theater als rituelle Versammlungsstätte

Nach wie vor definiert Voges, der seit 2010/2011 das Schauspiel Dortmund leitet, das Theater als rituelle Versammlungsstätte, als Ort des Austausches. Voges gilt als Teamplayer, als jemand, der nicht cholerisch arbeitet, wie all jene betonen, die mit ihm zu tun hatten. „Meine Leitbilder sind Respekt und Hingabe: Lasst uns achtungsvoll miteinander umgehen, von der Reinigungskraft bis zum Intendanten. Wir achten sehr auf ein gutes, gerechtes Betriebsklima und auf die Arbeitszeiten“, sagte der Theatermacher, der auch als Intendant für die Berliner Volksbühne im Gespräch war, kürzlich in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“.

Kay Voges

Für die Intendanz des Wiener Volkstheaters, das er ab 2020/21 für fünf Jahre übernehmen wird (geplanter Start ist wegen der Renovierung des Hauses Jänner 2021), ist seine Kommunikationsfähigkeit sicher eine gefragte Kompetenz. Er konnte sich im Dreiervorschlag gegen den jüngeren Regisseur Ersan Mondtag und die erfahrene Dramaturgin Rita Thiele durchsetzen. Erst vor zweieinhalb Wochen wurde er von der Jury kontaktiert, sich doch für das Volkstheater zu bewerben, erzählt er bei der kurzfristig einberufenen Pressekonferenz.

Wir müssen weniger repräsentativ sein. Vielleicht trinkt man bei uns keinen Sekt, sondern eher ein Bier aus der Flasche.

In Dortmund hat er ein Theater, das bislang kaum überregional beachtet wurde, in die erste Liga geholt. Sein Haus wurde von der Fachzeitschrift „Theater heute“ mehrmals zur Bühne des Jahres gewählt. Dortmund gilt als das „führende deutschsprachige Theaterlabor“, wie „Die Welt“ schrieb. Sein politisches, innovatives Programm war genau auf die Arbeiterstadt zugeschnitten. Er hat Studenten kostenlos ins Publikum geholt; angesagte Regiekräfte wie Ersan Mondtag, Claudia Bauer oder Thorleiffur Örn Arnarsson, der demnächst unter Kusej sein Burgtheaterdebüt geben wird, haben mit ihm gearbeitet. Auch in Wien betont er, er wolle „relevantes, niederschwelliges Theater“ für „jung, alt, arm, mit oder ohne Migrationshintergrund“ machen. Gleichzeitig beruhigt er sein künftiges Publikum: „Es wird richtiges Schauspieltheater geben, nicht nur Kino!“

Als Regisseur wird Voges in Wien allerdings nicht am Volkstheater debütieren. In Martin Kusejs erster Saison an der Burg wird er eine Art Endzeitoper unter dem Titel „Dies irae – Tag des Zorns“ realisieren. Voges’ prägender Dramaturg, Alexander Kerlin, mit dem er in Dortmund zahlreiche wichtige Projekte entwickelt hat, wechselt zu Kusej ans Burgtheater. Es wird also spannend werden, wie sich die beiden Häuser positionieren wollen. Voges sieht es gelassen: „Wir müssen weniger repräsentativ sein. Vielleicht trinkt man bei uns keinen Sekt, sondern eher ein Bier aus der Flasche.“ Klingt gut – und gar nicht katholisch. Prost.

Karin   Cerny

Karin Cerny