Liquid Loft, Impression aus "Church of Ignorance"

Donaufestival: In Krems wird die "endlose Gegenwart" exorziert

Das Donaufestival in Krems probt den Exorzismus einer "endlosen Gegenwart". Stefan Grissemann über Kunstlärm, Kirchentanz und Zukunftsverlust.

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Der Lärm kann, gezielt in Anschlag gebracht, als wirkmächtige Kunst erfahren werden, das war vor mehr als einem Jahrhundert schon Italiens Futuristen klar. "L'arte dei rumori" nannte Luigi Russolo sein berühmtes Noise-Manifest 1913: Die Kunst der Geräusche, die er meinte (und lustvoll künstlich nachempfand), das war der Sound der Großstädte und der sich rasant entwickelnden Industrie - der Krach der Fabriken, der Triebwerke und der Maschinen.

Die Klang- und Bildmaschinen werden auch in Krems ab Freitag dieser Woche, für die Dauer von zwei langen Wochenenden, lautstark am Laufen gehalten werden: Das Donaufestival geht am 27. April in eine neue Runde, zum zweiten Mal verantwortet von Thomas Edlinger, der seine diesjährige Ausgabe unter das Motto "Endlose Gegenwart" gestellt hat. Was bei anderen Festivals bloß Wortgeklingel, reine Theorie-Staffage bliebe, hat in Krems Legitimität. Denn dieses Mischprogramm aus Konzerten, Bühnenereignissen und Debatten, flankiert von Filmprojektionen und Installationen (etwa den wilden Queer-und Konsumismus-Satiren des US-Künstlerduos Ryan Trecartin & Lizzie Fitch oder den lakonischen Videos Anna Vasofs), ist tatsächlich gesellschaftspolitisch gedacht und überformt. Lautstärke spielt dabei eine Rolle: Von den nervösen Zuckungen des Techno (Lanark Artefax) und der Geisterbahn des Post-Industrial (Puce Mary) über Post-Rock-Symphonien (Godspeed you! Black Emperor) bis zu jazzigem Afro-Retrofuturismus (Matana Roberts) und hysterischem Metal (Lightning Bolt) reichen die musikalischen Stile, die man hier verabreicht.

"Es wird laut", kündigt auch der Choreograf Chris Haring, Chef der Wiener Tanz-und Performance-Truppe Liquid Loft, an. Die Uraufführung seiner "Church of Ignorance" wird, beschallt von den granulierten Samples, Loops und Drones des virtuosen Liquid-Loft-Komponisten und Lärmstrukturalisten Andreas Berger, gleich am ersten Wochenende von kommunikativer Irritation, von Raserei und Entschleunigung berichten. Die alte Dominikanerkirche Krems, einst Andachtsort für den Klosterbetrieb, wird dabei zum Schauplatz rätselhafter Liturgien und sprachlich-physischer Deformationen , zur Kontemplationshalle, in der verschiedene Trance-und Wahnzustände mit präzise choreografierter Geräuschkunst verbunden werden.

"Sich aufblähendes" Jetzt

Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit, den der Filmemacher Alexander Kluge vor mehr als 30 Jahren proklamiert hat, sei vorüber, argumentiert Edlinger: Die Gegenwart habe sich "zu Tode gesiegt, denn die anderen Zeiten kehren als Spuk zurück", was zu einem "sich aufblähenden" Jetzt geführt habe. Tatsächlich eignet der Omnipräsenz des Vergangenen im Netz etwas Obsessives. Jeder Amateurfilm, jedes alte Videofundstück, jeder Werbespot, gefunden im verfallenden Bildmaterial irgendeiner VHS-Kassette, muss online in Evidenz gehalten, in den formlos wuchernden Informationsstrom eingespeist werden, der keine andere Zeit als die unmittelbare Gegenwart kennt.

Der amerikanische Essayist Mark Greif schreibt in seiner Analyse des Archivkanals YouTube, dass dort möglicherweise "der Fehler des Fernsehens, seine Gedächtnislosigkeit" wiederholt werde, "da das Portal seine eigenen Inhalte selbst nicht sauber verwaltet". Das Meta-TV YouTube ist durch die Nachlässigkeit der Archivierung, die Unberechenbarkeit von Copyright-Fragen und die ungehinderten Eingriffe von Medienkonzernen zu einer Schleuder von allem und nichts geworden. Was im Netz an Bewegtbildern lauert, ist kaum datierbar, nicht zu ordnen, nur noch als Zufallsgenerator benutzbar. Die kanadischen Indie-Wirrköpfe Arcade Fire, die im Sinne des Profits lieber langweilige Stadien bespielen als die kompakten Dunkelkammern des Donaufestivals, haben ihr jüngstes Album "Everything Now" genannt - auch darin hallen die Echos einer auf ein ewigwährendes Jetzt komprimierten Kultur- und Sinnproduktion nach.

Die Zukunft hat in den Siebzigern schon der Punk für null und nichtig erklärt, und er hat recht behalten (aber anders als gedacht): Der Entwurf glaubhafter Utopien erscheint heute mindestens so sinnlos wie das Festhalten an den Dystopien der Post-Orwell-Generation. In der Kunst wird, wie in der Politik, längst nichts "Neues" mehr produziert, nur die Wiederkehr der Untoten aus der Vergangenheit gefeiert. Der britische Musikautor Simon Reynolds, als Diskutant in Krems zu Gast, hat in seinem Buch "Retromania" die Allgegenwart des Vergangenen in der Popkultur beschrieben. Die Geister ferner Zeiten suchen uns unaufhörlich heim, lassen "Erinnerungskulturen" und "Retrophänomene" blühen, während der Finanzkapitalismus im Nanosekundentakt arbeitet und seine Prognosen nur noch für eine überhitzte, immer unfreiere Gegenwart spinnt: Wir selbst, unsere Vorlieben, unsere politischen Neigungen und Kaufbereitschaften werden algorithmisch antizipiert. Die Kämpfe, die im Hier und Jetzt zu führen sind (für die Umwelt, gegen den Terror), kennen keinen Abschluss mehr; Echtzeit, Live-Netzerlebnis und Dauerwachheit (durchgehende Öffnungszeiten, permanente Überwachung) sind die Fetische der Jetzt-Welt.

Theorie und Kunst

Das Donaufestival theoretisiert all das - und setzt künstlerische Mittel ein, um die scheinbar endlos gewordene Digitalgegenwart im körperlich heftig erfahrbaren Dröhnen des elektroakustischen Noise zu überhöhen, ihr physische Kontur zu geben. Die dunkel verhangenen, streng rhythmisierten Klangwelten des britischen Duos Demdike Stare sind der perfekte Soundtrack für den im Loop seiner Recyling-Existenz gefangenen Zeitgenossen. In der Gesprächsschiene des Donaufestivals wird der Medienwissenschafter Tilman Baumgärtel die (Klang-und Denk-)Schleife als zentrale Bewegung unserer immer "neuen" Zeit analysieren. Und die Rede von der hochbeschleunigenden Welt wird der Hamburger Künstler Hans-Christian Dany nicht bestätigen können: Er sieht die Reise in die Zukunft seit vier Jahrzehnten langsamer werden; in seinem Buch "Schneller als die Sonne" schreibt er von der "Bremsspur" dieser Bewegung. "Um die Vorschau des Kommenden zu gestalten, plündern die Wirklichkeitsagenturen alle greifbaren Vergangenheiten und bauen gemütliche Umgebungen des Vertrauten. Was in ihnen an bescheidenen Beschleunigungen vorkommt, wirkt in den nostalgischen Kulissen schneller, als es ist. Ihre Geschwindigkeit ist nicht faktisch, der verlangsamte Hintergrund lässt sie nur schnell erscheinen." Und: "Seit das Kommende im Nebel des Bedrohlichen liegt, bewegen sich die Wünsche rückwärts auf der Zeitachse."

Ganz am Ende des Festivals, am 6. Mai, wird schließlich die andere Seite des Lärms, die reine Gegenwart des Klangs zelebriert werden, im Rahmen einer "achtstündigen Dehnungsübung" aus Trance-und Ambient-Klängen, eines Konzerts, das man hier "as waves go by" nennt: Ein Kollektiv aus internationalen Neofolk-, Metal-, Post-Rock und Industrial-Musikschaffenden wird den Nebel des Bedrohlichen greifbar machen, das Publikum ab mittags in Entrückung spielen. Jenseits von jetzt beginnt die Zone der Freiheit.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.