Ed Sheeran in Wien: Unerklärlicher Zauber

Der britische Weltstar Ed Sheeran gastiert heute und morgen im Wiener Ernst-Happel-Stadion. Heavy-Metal-Fan Stephan Graschitz findet das super – und kann es sich endlich eingestehen.

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Es gibt wenige Dinge, die mir in meinem Leben wichtiger sind als mein Musikgeschmack. Ich trage ihn auch sehr offensichtlich vor mir her. „Heavy Metal hat mein Leben geprägt“ steht quasi auf meiner Visitenkarte; ohne T-Shirt mit aufgedrucktem Band-Logo verlasse ich das Haus nur äußerst ungern. Musikalisch kann es mir nicht hart genug zugehen, Bands wie Rammstein und Metallica sind da nur der Anfang. Nichts läge mir ferner, als mir ein Lied von Ed Sheeran anzuhören, oder, noch schlimmer, ein Konzert des britischen Popstars zu besuchen. Und trotzdem: Bei der allgemeinen Aufregung um sein 2017 erschienenes Album „Divide“ und der Stadiontour 2018 wurde ich schwach.

Ich hatte mir eine Ausrede zurechtgelegt: Es war damals wirklich unmöglich, Hits wie „Shape of you“ oder „Perfect“ zu entkommen. Die Dauerbeschallung auf sämtlichen Radiosendern, da musste man doch hinhören – und irgendwann hat es mir tatsächlich gefallen. Das Unheil nahm seinen Lauf: Wie von selbst legte sich ein Konzertticket in den Warenkorb und dann stand ich plötzlich da. Auf einem Ed-Sheeran-Konzert.

An jenem verhängnisvollen 7. August 2018 betrat Ed Sheeran die Bühne des Wiener Ernst Happel Stadions und wirkte dabei wie die unkomplizierteste Person, die jemals vor einem so großen Publikum stand. Ich war davor schon auf unzähligen Konzerten, aber selten hatte ich eine derart überdrehte Zuschauerschaft erlebt; durch ekstatisches Kreischen drang der Klang einer Akustikgitarre und Sheerans Stimme. So ging es zwei Stunden lang; viel mehr passierte an diesem Abend nicht. Es gab keine besondere Show und keine Lasereffekte, kein Feuer wie bei Rammstein. Trotzdem klebten die Menschen an Sheerans Lippen. All das hätte mein hartes Metal-Ich gerne gehasst. Die Wahrheit ist aber: Ich fand jede Sekunde seines Auftritts großartig.

Wie geht das? Mit nur einer Gitarre, durchschnittlichen Popsongs und einem nicht gerade Rockstar-haften Auftreten steht er da, vollkommen alleine, in den größten Stadien der Welt. Ed Sheeran füllt so gut wie jede Arena, oft an mehreren Abenden hintereinander. Heute kann man den 31-jährigen Briten wohl als größten männlichen Popstar der Gegenwart bezeichnen (auch wenn ihm Harry Styles in letzter Zeit gefährlich nahe kommt). Von Sheerans Person geht ein unerklärlicher Zauber aus.

Während ich ihm auf der Bühne zuschaue, keimen ungute Gefühle in mir auf. Ein zarter Hauch von Neid macht sich breit. Immerhin entspricht man ja auch selbst eher dem Durchschnitt, bloß kommen keine 130.000 Fans, um einem bei der Mittelmäßigkeit zuzuschauen. Die Wahrheit ist natürlich: Ed Sheeran ist nicht mittelmäßig – er tut nur so. Seine ganze vordergründige Durchschnittlichkeit setzt ihn auf Augenhöhe mit dem Publikum.

Dahinter versteckt sich ein perfekt agierender Popmusiker – und das scheinen die Menschen zu spüren. Hochkonzentriert zupft er an der Gitarre, während er alle anderen Geräusche – Loop-Machine sei Dank – selbst einspielt. Der Sound scheint tatsachlich wie von Zauberhand zu entstehen. Ich für meinen Teil kann nicht einmal gleichzeitig Konzertkarten kaufen und meiner Arbeit nachgehen – Ed Sheeran betreibt Multitasking auf einer ganz anderen Ebene. Das Schlimmste dabei: Er wirkt auch in Momenten äußerster Konzentration vollkommen tiefenentspannt.

Es ist aber nicht nur sein paradoxes Charisma, das die Faszination des Ed Sheeran ausmacht, es sind auch die Songs. Sie gehen leicht ins Ohr und sind ultraglatt produziert, gleichzeitig kippen sie nie zu sehr in die Abteilung „Fahrstuhl“. Es ist immer genau die Prise Indie-Rock vorhanden, um gerade noch als cool durchgehen zu können. So dürfte die Liebeserklärung „Perfect“ auf jeder Hochzeitsfeier zwischen Gramatneusiedl und New York City funktionieren. Der Überhit „Shivers“ aus seinem 2021 erschienen Album „Equals“ bleibt in jedem Fall im Kopf, egal ob man will oder nicht. „The A Team“ ist ein tatsächlich sehr schöner, warmer Popsong, den man sogar unironisch gut finden darf. Vor ähnliche Probleme stellt einen auch das großartig-epische „I See Fire“.

Ein Konzert von Ed Sheeran hat alle Zutaten, die ein schöner Abend braucht: Es wird emotional, es wird voll abgehen, es wird ernst, es wird spaßig. Die Dramaturgie seiner Konzerte bietet für jede Lebenslage den richtigen Moment. Sind Sie gerade heimlich verliebt? Bei Ed Sheeran wird Ihnen nicht nur Trost gespendet, Sie bekommen auch noch die richtigen Worte für das Geständnis mitserviert. Wollen Sie im Pub mit Freunden mal so richtig einen draufmachen? Der Song „Nancy Mulligan“ wird Ihre Konsumationslust jedenfalls nicht bremsen. Alles das trägt Sheeran vor, als würde er einem guten Freund am Lagerfeuer einen Rat erteilen – und ihn wirklich ernst meinen.

Bei der aktuellen Tour steht Ed Sheeran auf einer Bühne in der Mitte des Stadions. Man kann ihm also noch näher als je zuvor sein, jetzt umarmt er uns wirklich und ausnahmslos alle. Für die erste Reihe reicht meine Liebe dann aber doch nicht aus, ein kleiner Sicherheitsabstand muss schon sein. Fest steht schon jetzt: Der heutige und morgige Abend werden vor allem von guter Unterhaltung geprägt sein. Und vor dem Hintergrund der aktuellen Weltlage schadet das für ein paar Stunden bestimmt nicht. Dafür kann man Ed Sheeran sogar als Metal-Fan nicht hassen.

Fest steht außerdem: Dieses Mal werde ich all das nach Konzertende auch zugeben.

Info

Am Donnerstag und am Freitag tritt Ed Sheeran im Wiener Ernst-Happel-Stadium auf. Bei beiden Konzerten zusammen werden mehr als 130.000 Besucher erwartet.

Stephan   Graschitz

Stephan Graschitz

ist als Chef vom Dienst bei profil tätig.