„Die Schildkröte frisst Salat – und wir machen Rock’n’Roll”

Element of Crime im Interview: „Die Schildkröte frisst Salat – und wir machen Rock’n’Roll”

Interview. Berliner Band Element of Crime über anstehende Bandjubiläen, Radiotauglichkeit und politische Kunst

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Interview: Philip Dulle

profil online: Neue Alben veröffentlicht Element of Crime nur noch alle paar Jahre. Wie finden Sie wieder zusammen?
Jakob Ilja: Es ist ja nicht so, dass wir uns zwischen den Alben nicht sehen würden. Wir sind fast jedes Jahr auf Tournee, spielen Festivals oder arbeiten an anderen Projekten.
Sven Regener: Irgendwann kommt eben der Punkt, an dem man ganz gerne wieder neue Lieder hätte. Als Band fühlt man sich ja nur lebendig, wenn man wieder ein paar neue Songs im Repertoire hat.
Ilja: Es gibt einen schönen Satz unseres ehemaligen Lichttechnikers: Keine neuen Lieder, bevor die alten nicht aufgebraucht sind.

profil online: Element of Crime gibt es seit fast 30 Jahren. Ist das Geheimnis der Band, dass sie heute alles machen kann, aber eben nicht muss?
Regener: Hin und wieder brauche ich einen gewissen Abstand zu dieser Band-Öffentlichkeit. Wenn du jeden Tag auf der Bühne stehst und siehst, wie viele Leute zu den Konzerten kommen und wie viel ihnen die Musik bedeutet, kann das auch einschüchternd sein.
Ilja: So ein Entzug von der Musik kann auch die Lust und die Spannung steigern. Wir müssen auch nicht wie in den Anfängen jedes Jahr ein neues Album veröffentlichen.
Regener: Wir sind ja auch alle irgendwie wunderlich. Ich nehme mich davon nicht aus. Ich werde dann immer ein wenig zauselig. Dann denke ich mir, dass ich wieder Abstand von der Band brauche.

profil online: "Lieblingsfarben und Tiere", ihr neues und bisher 13. Studioalbum, wirkt im Vergleich zu den beiden Vorgängeralben ungeschliffener und weniger auf Radiotauglichkeit getrimmt. War das eine bewusste Entscheidung?
Ilja: Also vor einer gewissen Radiotauglichkeit haben wir keine Angst; wir wären sogar froh, wenn wir mehr im Radio gespielt werden würden. Aber wir arbeiten mittlerweile mit einem blinden Verständnis füreinander. In der Studiotechnik spricht man ja vom so genannten first date – wir kommen zusammen, spielen gemeinsam und der Song steht. Vielleicht wirkt die neue Platte dadurch auch offener. Einen Masterplan gibt es nicht.
Regener: Wir haben die Songs diesmal ziemlich ausgedünnt. Streicher, Synthesizer, Klaviere und Hammondorgel kamen beim Mix wieder raus. Wir hatten das Gefühl, dass die Gitarren mehr Platz benötigen, um sich besser entfalten zu können. Aber auch das Schlagzeug brauchte diesmal enorm viel Platz – wir hatten noch nie so ein aktives Schlagzeug. Man will das ja auch nicht so zuballern, sondern versuchen, dass die Instrumente genug Luft zum Atmen haben, dass sie besonders glamourös glänzen und shiny werden.

profil online: Gemischt haben Sie das neue Album wieder in der US-Country-Hauptstadt Nashville. Wirkt sich das auf den Element-of-Crime-Sound aus?
Ilja: Roger Moutenot ist der Grund, warum wir die letzten drei Alben in Nashville gemischt haben. Mehr steckt da nicht dahinter.
Regener: Die Vorstellung, dass es so etwas wie einen Genius Loci gibt, den man noch auf ein Album packen muss, ist uns doch sehr fremd. Oder auch der Versuch, das Musikmachen dadurch interessant zu machen, indem man dauern in einem anderen Studio aufnimmt. Wenn man jünger ist, ist die Sache natürlich sehr reizvoll. 1988 haben wir unsere Platte bewusst in New York aufgenommen; wir hatten ja auch kein Geld und das war die einzige Möglichkeit, dorthin zu kommen. Aber die Platte würde heute nicht anders klingen, wenn wir sie woanders aufgenommen hätten. Wenn Roger Moutenot in St. Marx leben würde, hätten wir das Album eben in St. Marx gemischt.

profil online: Ist Element of Crime eine unpolitische Band?
Ilja: Ich finde, das ist Quatsch. Für mich beschreiben die Lieder Lebensumstände, innere Zustände von Menschen. Das mag vielleicht nicht explizit politisch sein; was auch nicht Sinn unserer Lieder ist. Was viel wichtiger ist: Unsere Songs bewegen was in den Menschen – darum geht es doch. Musik kann auch einfach für das stehen, was sie ist. Die Leute empfinden und interpretieren ja auch individuell. Ich will mir ja auch keinen Film ansehen oder eine Platte anhören, die mir ständig eine Botschaft vermitteln will. Das ist doch stumpf.
Regener: Politische Kunst ist Werbung, die sich als Kunst geriert. Dafür existiert der Rock’n’Roll nicht – sorry, aber Rock’n’Roll ist wirklich nicht erfunden worden, um Politparolen in die Gegend zu schleudern. Wenn wir politisch was verändern wollten, könnten wir ja eine Partei gründen oder in eine eintreten. Man gründet eine Band, um Rock’n’Roll zu spielen.

profil online: Aktionismus ist Ihnen fern?
Regener: Das muss ja nicht grundsätzlich schlecht sein. Der amerikanische Singer-Songwriter Woody Guthrie war zum Beispiel ein singender Gewerkschafter. Ihn hat es auch wenig interessiert, wie die Leute seine Songs finden; er ist durch das Land gezogen und wollte Arbeiter für die Gewerkschaft begeistern. Das war auch eine Art von Werbung. Und das ist auch völlig in Ordnung – aber das sind wir halt nicht. Wir sind keine politische Peergroup, oder auch nicht die Band von Greenpeace oder der SPD.

profil online: 2015 feiert die Band 30-jähriges Jubiläum. Hat sich der Zugang zur Musik verändert?
Regener: Rock’n’Roll ist unser Leben. Es ist anders gar nicht denkbar. Ich kann zwischendurch auch ganz andere Sachen machen; etwas Vergleichbares gibt es aber nicht. Und Element of Crime ist auch extrem Rock’n’Roll.

profil online: Bestand nie die Gefahr, dass Element of Crime neben all den anderen Projekten, nur noch als exzentrisches Hobby weitergeführt wird?
Ilja: Nein, auf gar keinen Fall. Die anderen Sachen sind ja meist Arbeiten im stillen Kämmerchen. Zu viert, als Band zusammen zu kommen und Musik aus dem Nichts entstehen zu lassen, ist faszinierend.
Regener: Man macht das ja jetzt nicht 29 Jahre lang, nur weil man es ganz okay findet. Dieser wütende Wille von Element of Crime resultiert ja vor allem daraus, dass wir das unbedingt machen wollen. Wir wären ja bescheuert, jetzt damit aufzuhören.

profil online: Keine Angst irgendwann etwas schrullig, vielleicht auch nicht mehr ernst genommen zu werden?
Ilja: Wo ist da die Gefahr? Dann ist das halt so! Bei uns haben die Leute vielleicht schon vor 25 Jahren gesagt, dass wir schrullig wären.
Regener: Wenn es keine Gefahr gäbe, dann wäre es auch kein Abenteuer – und ein Abenteuer ist auch keine Pauschalreise. Es gibt die Gefahr, dass man scheitert, dass man eine schlechte Platte macht, dass man live alles verhaut. Das ist ja das Tolle am Rock’n’Roll – dass überall auch die Gefahr lauert.

profil online: Ist der Rock’n’Roll bei Element of Crime vor allem der Spirit, den die Band lebt?

profil online: Musikalisch schlagen Sie ja mittlerweile ruhigere Töne an. Ist es ein gewisser Spirit, den die Band mit dem Rock’n’Roll verbindet?
Regener: Ja, das auch. Aber auch die Band an sich. Was soll das sonst sein? Zwei Gitarren, Schlagzeug, Bass – also Schlager ist das nicht. Muss ja nicht immer gleich Rockabilly sein wie in den 1950er-Jahren. Die Freiheit, die mit dem Rock’n’Roll verbunden ist, ist der Unterschied zum Schlager. Dieses unfassbare Freiheit des Songschreibens, das Gefüge innerhalb der Band, wie man spielt, wie Songs entstehen; aber auch bei den Konzerten, wenn die Leute einfach herumlaufen können und sich ein Bier holen. Aber auch wovon die Songs handeln, das ist alles Rock’n’Roll. Das ist unser Leben. Was sollen wir denn sonst machen? Die Schildkröte frisst Salat – und wir machen Rock’n’Roll.

profil online: Verwerfen Sie viele Ihrer Songideen?
Ilja: Nein, eigentlich nicht. Das ist vielleicht ein oder zwei Mal vorgekommen.
Regener: 10 Songs sind ein Album. Mehr machen wir auch nicht. Ich liebe dieses Format. Wir haben auch mal Platten mit elf oder zwölf Songs gemacht. Das geht, aber es reichen auch zehn. Das ist wie der 90-Minütige Spielfilm am Abend – das passt einfach.

profil online: Herr Regener, auf "Lieblingsfarben und Tiere" nehmen Sie Ihren Gesang ein wenig zurück. Wollen Sie sich mehr in den Hintergrund stellen?
Regener: Ich agiere jetzt weniger beim Singen. Ich lege weniger Subtext in die einzelnen Songs. Wenn ich mir heute diesen alten Kram anhöre, wie manisch ich da manchmal singe, so wütend, dann wundere ich mich schon. Außerdem: Man muss den Songs auch mal vertrauen. Der Song ist ja toll. Was muss man da noch groß interpretieren? Der Song interpretiert sich doch von ganz alleine.

profil online: Nach all den Jahren werden Sie auch nicht müde über die Liebe zu singen?
Regener: Wer singt nicht gern über die Liebe? Die Liebe ist ja auch einer der besten Stoffe für Songs überhaupt. Element of Crime besitzt ja auch einen bestimmten, unverwechselbaren musikalischen Stil. Und so ist es eben auch bei den Texten. Solche Lieder bekommt man eben nur von Element of Crime. Das ist natürlich auch für uns als Band eine super Situation. Man bedenke nur, was da noch alles möglich ist. Aktuell stehen wir bei 141 Songs und ich habe nicht das Gefühl, dass das Ding bereits ausgereizt ist.

Am 21. Februar 2015 gastiert die Band im Wiener Gasometer.

Element of Crime: Lieblingsfarben und Tiere (Universal)

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.