Fälschungen: Experte Noah Charney über Kunstkriminalität

Der US-Kunsthistoriker Noah Charney über die Intransparenz des Kunstmarkts, die Humorlosigkeit der Branche und flamboyante Fälscher ohne künstlerische Begabung.

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INTERVIEW: NINA SCHEDLMAYER

profil: Vor fünf Jahren wurde der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi verhaftet. Was hat sich auf dem Kunstmarkt seither im Umgang mit möglichen Fälschungen verändert? Noah Charney: Ich glaube nicht, dass wegen eines einzigen Falls große Umwälzungen stattfinden. In meinem Buch versuche ich, in den vielen Geschichten und Anekdoten über Fälscher ein kriminologisches Muster zu erkennen. Ich habe mich mit über 60 Kunstbetrügern eingehend beschäftigt. Meine Absicht ist, Fälschungstrends zu identifizieren und daraus Verteidigungsstrategien abzuleiten. Wobei aus dem Fall Beltracchi nicht einmal besonders viel zu lernen ist: Er hat weder Neues noch etwas besonders Interessantes getan. Aber er ist ein sehr flamboyanter Charakter, der Publicity genießt und sich geriert, als wäre er Albrecht Dürer.

profil: In Ihren Augen hat sich in jüngerer Zeit auf dem internationalen Kunstmarkt also nicht besonders viel getan? Charney: Der Kunsthandel neigt leider zu einer gewissen Trägheit. Dabei könnte er viel mehr tun. Ein Beispiel: Die Mehrheit der - erfolgreichen - Fälschungen würde nie einen Käufer finden, wenn es nicht vermeintliche Beweise für deren scheinbar glaubwürdige Herkunft gäbe: Sie würden schlichtweg nicht überzeugend erscheinen. Daher wäre es ein wichtiger Schritt, die Provenienzen besser zu überprüfen. Aber viele Käufer verlassen sich zu sehr auf die Kennerschaft der Experten. Zudem werden Kunstwerke nur selten mit forensischen Methoden geprüft. Aber dafür gibt es keinen Grund. Es wäre nicht teuer, und man müsste die Kunst auch nicht zerstören, wie gemeinhin angenommen wird.

profil: Ist für Auktionshäuser, Händler oder Experten ein größerer Imageschaden vorstellbar als der, einer Fälschung aufgesessen zu sein? Charney: Kaum. Es mag seltsam klingen, aber: Die Kunstwelt nimmt sich selbst zu ernst. Sie braucht mehr Humor. Jeder macht Fehler! Das ist normal. Wenn bekannt wird, dass ein Experte eine Fälschung nicht als solche erkannt hat, wird er geradezu vernichtet. Wobei mir gerade ein gutes Gegenbeispiel dafür einfällt, wie man auf vorbildliche Weise mit Fehlern umgehen kann: Vor ein paar Jahren präsentierte die Londoner National Gallery eine große Ausstellung, bei der sie Fälschungen zeigte, die vom Museum erworben worden waren. Man machte sich über sich selbst lustig! Dennoch besteht das Problem auch darin, dass es kein verbindliches Curriculum, keine spezifische Ausbildung für Kunstexperten gibt. Wer einen schwarzen Gürtel in Karate haben oder als Sommelier arbeiten möchte, muss bestimmte Dinge tun und exakt festgelegte Tests absolvieren, die schon viele andere vorher bestanden haben. Dagegen kann man zwei Doktortitel in Kunstgeschichte besitzen, aber das bedeutet noch keineswegs, dass man einen echten Rembrandt von einem falschen unterscheiden kann. Gewiss kann jemand ein Fachmann, eine Fachfrau für einen bestimmten Künstler oder ein Gebiet sein. Eine hundertprozentige Garantie dafür, ob etwas wirklich echt ist, kann aber niemand abgeben.

Ich verstehe die Anziehung, die diese Kriminellen ausüben. Sie erscheinen ja nicht wirklich bedrohlich: Fälschen ist die konsumentenfreundlichste Art des Betrugs.

profil: Dabei behaupten manche Fachleute von sich, die Authentizität eines Werks auf den ersten Blick erkennen zu können. Ist so etwas ernst zu nehmen? Charney: Zu derlei ist niemand fähig. Manchmal schicken mir Leute Fotos von Kunstwerken mit der Bitte, sie zu begutachten. Das Erste, was ich ihnen sage, ist: Wenn Ihnen jemand weismachen will, dass er auf Basis einer Digitalfotografie die Echtheit einer Arbeit bekunden kann, trauen Sie ihm nicht. Aber viele Menschen glauben, dass es eine übernatürliche Fähigkeit gibt, Authentizität zu erkennen.

profil: Der Vermeer-Fälscher Han van Meegeren präsentierte 1945 im Gerichtssaal stolz sein Können.Heute tritt Beltracchi im Fernsehen auf. Was halten Sie von diesen Selbstinszenierungen? Charney: Ich verstehe die Anziehung, die diese Kriminellen ausüben. Sie erscheinen ja nicht wirklich bedrohlich: Fälschen ist die konsumentenfreundlichste Art des Betrugs. Zudem scheinen sie bloß die Reputation von schwerreichen Individuen oder Institutionen zu beschädigen, Opfer, die mit keinen großen Sympathien rechnen dürfen - vor allem Kunstsammler werden schließlich in den Medien gern als elitär dargestellt. Kein Wunder, dass TV-Shows Fälscher zeigen, die Gemälde im Stil bestimmter Künstler herstellen.

profil: Das Ärgerliche ist aber, dass diese Betrüger oft selbst als Künstler dargestellt werden. Auch Sie schreiben einem der bekanntesten Fälscher des 20. Jahrhunderts, dem Briten Eric Hebborn, künstlerische Qualitäten zu. Wie würden Sie denn jene von Wolfgang Beltracchi einschätzen? Charney: Jüngst erschien ein Buch, das Fälscher mit Künstlern gleichsetzte. Da muss ich absolut widersprechen! Hebborn war der einzige Fälscher, den ich fand, der auf Augenhöhe mit jenen war, die er fälschte. Kunst besteht der italienischen Theorie zufolge aus zwei Komponenten: invenzione und disegno. Wenn ich einen Künstler zum Beispiel beauftrage, das traditionelle Motiv der Verkündigung zu malen, er die Augen schließt und in seiner Vorstellung sein Bild imaginiert, dann ist das die invenzione. Dabei fließen sein künstlerisches Wissen und sein Konzept ein, religiöse Vorstellungen und dergleichen. Der Begriff disegno bezeichnet dagegen die gewissermaßen körperliche Fähigkeit, ein Bild zu produzieren. Letzteres kann jeder lernen. Fälscher, darunter natürlich auch Beltracchi, sind gut im disegno, aber ganz schlecht in der invenzione. Warum wissen wir das? Ganz einfach: Die meisten Fälscher scheiterten als eigenständige Künstler - weil ihnen eine einzigartige Stimme fehlte, weil sie keinen eigenen Stil entwickelten, weil ihre Konzepte unzureichend waren.

profil: Es gibt Schätzungen, denen zufolge 30 Prozent des Kunsthandels aus Fälschungen bestehen. Halten Sie das für realistisch? Charney: Solche Zahlen lassen sich unmöglich belegen. Aber jedenfalls gibt es einen signifikanten Prozentsatz an Werken, die nicht das sind, was sie zu sein scheinen. Allerdings trifft man viel häufiger auf versehentliche Fehlzuschreibungen als auf bewusste Fälschungen.

profil: Auch vermeintliche Sensationsfunde entpuppen sich oft als gefälscht. Muss man skeptisch sein, wenn plötzlich irgendwo angebliche Leonardos oder Van Goghs auftauchen, die bisher der Öffentlichkeit verborgen waren? Charney: Bei alten Meistern wissen wir, dass es ursprünglich mehr Werke gab als jene, die uns heute im Original bekannt sind. Der Gelehrte Giorgio Vasari verweist in seinen Schriften im 16. Jahrhundert auf eine Vielzahl von Kunstwerken, die heute verschollen sind. Natürlich bietet das Spielraum für Fälscher. Es kommen zwar immer wieder auch echte Werke ans Tageslicht - das geschieht aber selten. Allerdings reicht es, um die Hoffnung auf weitere Funde aufrechtzuerhalten.

profil: Aufsehenerregende Neuentdeckungen von erstrangigen Künstlern werden ziemlich streng unter die Lupe genommen. Ist es da nicht weitaus klüger, weniger bekannte Künstler zu imitieren - wie es der US-Amerikaner Ken Perenyi tat, den Sie in Ihrem Buch beschreiben? Charney: Das ist tatsächlich viel gewiefter. Künstler der zweiten oder dritten Reihe erzielen zwar keine Preise in Millionenhöhe, aber ihre Werke kosten möglicherweise noch immer fünf- oder gar sechsstellige Summen. Für die meisten Menschen ist das eine Menge Geld. Auf dem internationalen Kunstmarkt handelt es sich dabei aber um vergleichsweise kleine Summen. Werke zu solchen Preisen werden nicht eingehend genug geprüft. Wenn den Experten bei Christie’s oder Sotheby’s ein Bild vertrauenswürdig erscheint und die Provenienz gut aussieht, werden sie im Fall weniger teurer Kunstwerke selten weitere Fragen stellen. Viele Fälscher sind vom Ehrgeiz angetrieben, möglichst berühmte Künstler zu kopieren. Aber für jene, die eine ruhige Kugel schieben wollen, ist Perenyis Taktik perfekt. Nur wissen wir darüber viel zu wenig. Ein ehemaliger Kollege von mir erforschte die Geschichte der Spionage. Er scherzte stets: "Ein guter Spion sollte keine Spuren hinterlassen haben, die ich finden kann.“ Ähnlich verhält es sich bei Fälschern.


Wer verhaftet wird, egal wofür, wird üblicherweise sozial geächtet. Kunstfälscher dagegen haben kaum etwas zu verlieren, im Gegenteil, sie werden oft auch noch gefeiert. Da muss sich die gesellschaftliche Einstellung ändern.

profil: Sollte der Kunstmarkt transparenter werden? Charney: Absolut. Er ist ein sonderbarer Organismus. Es gibt keinen anderen legalen Markt dieser Dimension, der derart intransparent ist. Die Tradition der Anonymität hat sich im 18. Jahrhundert entwickelt: Damals konnten sich europäische Aristokraten ihren Lebenswandel nicht mehr leisten und mussten anfangen, ihre Kunstwerke zu verkaufen. Sie wollten aber nicht, dass die Öffentlichkeit über ihre finanziellen Schwierigkeiten Bescheid wusste. Bei Christie’s und Sotheby’s, den ersten Auktionshäusern, konnten sie daher anonym ihre Sammlungen verscherbeln. Ein Gentleman stellt keine Fragen, das war ungefähr das Motto. Man will niemanden, der Aufruhr erzeugt. Bis heute ist diese Welt völlig undurchsichtig. Fälscher haben in einem solchen Umfeld leichtes Spiel.

profil: Braucht es härtere Strafen für sie? Charney: Es wäre schon gut, wenn die Medien nicht so einen Hype um sie machen würden. Wer verhaftet wird, egal wofür, wird üblicherweise sozial geächtet. Kunstfälscher dagegen haben kaum etwas zu verlieren, im Gegenteil, sie werden oft auch noch gefeiert. Da muss sich die gesellschaftliche Einstellung ändern. Das würde wohl mehr bringen als härtere Strafen. Ähnlich wie beim Tragen von Pelz: Das galt vor 40 Jahren als elegant, heute wird es als absolut uncool bewertet. In New York wird man dafür in der Öffentlichkeit angegriffen.

profil: Sie sind bei ihren jahrelangen Recherchen auf keine einzige Fälscherin gestoßen. Haben Sie eine These dafür, warum das so ist? Charney: Ich kann nur zwei mögliche Erklärungen anbieten: Entweder sind Frauen zu clever, um erwischt zu werden. Oder sie sind zu integer, um sich im Fälschen überhaupt zu versuchen.

Noah Charney, 35, studierte Kunstgeschichte in London, Cambridge und Ljubljana. Er publizierte zahlreiche Artikel und Bücher, vorrangig zum Thema Kunstkriminalität, und gründete das ARCA (Association for Research into Crimes Against Art), das sich mit Kunstraub und -fälschung befasst. Zudem lehrt er an der privaten American University in Rom. Am 31. August erschien sein Buch "Original Meisterfälscher. Ego, Geld und Größenwahn“ bei Brandstätter (294 S., EUR 29,90).

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer