Christophe Slagmuylder

Festwochen-Chef Slagmuylder: "Der Teufel zündet ein Streichholz an"

Christophe Slagmuylder, der neue Chef der Wiener Festwochen, über Risikoprogramme, Partys, #MeToo und die Herausforderung, in nur drei Monaten ein Programm zusammenzustellen.

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INTERVIEW: KARIN CERNY

profil: Sie haben im Sommer einen Deutschkurs besucht. Wie gut sind Ihre Sprachkenntnisse inzwischen? Slagmuylder: Einen Verlängerten kann ich im Café schon bestellen. Aber sonst fällt es mir noch schwer, auch weil Deutsch und Niederländisch einander so ähnlich sind - da schleichen sich leicht Fehler ein. Ich übe täglich 15 Minuten mit einer Sprach-App.

profil: Wann werden Sie Ihr erstes Programm präsentieren? Slagmuylder: Im Februar. Aber vorher ist noch viel zu tun. Im Moment schlafe ich auf einer Matratze auf dem Boden; ich hatte noch keine Zeit, meine Wohnung einzurichten. Wäre ich in Brüssel, würde ich abends mit Freunden abhängen. Weil ich in Wien noch nicht so viele Leute kenne, arbeite ich einfach weiter.

profil: Fühlen Sie sich in Wien schon zu Hause? Slagmuylder: Es ist wunderschön hier, die Lebensqualität ist hoch. Die Stadt ist viel weniger chaotisch als Brüssel. Aber viele Leute raten mir, dass ich aufpassen solle, was ich sage. Wien sei ein schwieriges Pflaster. Menschen, die vordergründig nett wirken, würden einem in den Rücken fallen. Aber ich halte das für eine urbane Legende. Ich kann mich bisher über keine schlechten Erfahrungen beklagen.

profil: Wie gehen Sie mit der politischen Situation in Österreich um? Slagmuylder: Wenn man ein zeitgemäßes Festival macht, kommt man um politische Fragen nicht herum. Aber ich bin kein Fan der Idee, Theater über etwas zu machen. Der künstlerische Prozess selbst muss politisch werden. Das klingt abstrakt, aber der Zuschauer soll Teil des Festivals werden. Warum sind die Rechten in Europa so stark? Weil sie auf schwierige Fragen einfache Antworten anbieten. Kunst verleugnet die Komplexität der Welt nicht.

Ich stehe für Dialog. Auch sogenannte konservative Menschen können sehr neugierig sein.

profil: Wie wollen Sie als Festwochenchef das gutbürgerliche Publikum, das Ihr Vorgänger Tomas Zierhofer-Kin abgeschreckt hat, wieder ins Boot holen? Slagmuylder: Ich kenne die Festwochen als Besucher schon sehr lange, weiß trotzdem noch nicht genau, wer mein Publikum sein wird. Dieses Denken in Oppositionen - alt und jung, traditionell und avantgardistisch - hat mich nie interessiert. Ich stehe für Dialog. Auch sogenannte konservative Menschen können sehr neugierig sein.

profil: Sie wurden als Interimsintendant für 2019 sehr kurzfristig berufen. Wie sehr wird Ihr erstes Programm noch ein Kompromiss sein? Slagmuylder: Ich habe nur drei Monate, um ein Festival zu stemmen. Das ist ein Wahnsinn! Publikum und Journalisten sollten das wissen - obwohl mir natürlich klar ist, dass ich bewertet werde. Das erste Jahr wird wohl nur eine Art Visitenkarte werden. Ich habe meinem Team Folgendes gesagt: Statt zu jammern, sollten wir die Situation nutzen, um etwas sehr Spontanes und Intuitives zu machen.

profil: Wie viel müssen Sie von den Plänen Ihres Vorgängers übernehmen? Es war die Rede davon, dass der serbische Performance-Star Marina Abramović nach Wien kommen wird und mit dem bildenden Künstler Paul McCarthy eine größere Arbeit in Planung ist. Slagmuylder: Nichts davon wurde in Verträgen festgelegt, es gab lediglich Gespräche. Marina meinte, sie sei im kommenden Jahr noch nicht bereit. Aber es ist durchaus möglich, dass sie später hier etwas zeigen wird. Mit McCarthy gab es Pläne, aber auch das wird nicht passieren. Lediglich zwei Projekte wurden fixiert, die ich 2019 zeigen werde. Ich musste also nichts absagen. Für mich wäre es aber einfacher gewesen, wenn ich schon auf ein paar Programmpunkte mehr zurückgreifen hätte können.

profil: Sie werden das Elektronikmusikfestival "Hyperreality", das unter Zierhofer-Kin sehr erfolgreich war, nicht weiterführen. Warum? Slagmuylder: Für mich ergibt es keinen Sinn, die Festwochen in ein Clubbing-Festival zu verwandeln. Bei allem Respekt vor der Arbeit Marlene Engels und ihres Teams: Es gibt eine funktionierende elektronische Musikszene in Wien. Warum sollten wir ihr Konkurrenz machen? Die Festwochen brauchen Ambitionierteres als gute Partys und elektronische Konzerte.

profil: Ihre Mentorin Frie Leysen hat 2014 die Band Kraftwerk zu den Festwochen eingeladen. Slagmuylder: Das ist doch ein Unterschied! "Hyperreality" war meiner Ansicht nach ein zu eigenständiges Festival, das nicht in die Festwochen integriert war. Ich bin dafür, dass es "Hyperreality" weiterhin gibt, nur eben nicht als kleine Schwester der Festwochen.

profil: Werden Sie mit Konzerthaus und Musikverein zusammenarbeiten? Slagmuylder: Im Moment verbringe ich einen Großteil meiner Zeit in Wien, treffe Leute, führe Gespräche - einfach um zu verstehen, wie es bisher war. Wir können nur zeitgemäß sein, wenn wir die Tradition kennen. Aber es ist sinnlos, unter dem Label Festwochen Konzerte zu zeigen, die ohnehin laufen würden, nur um mehr Karten zu verkaufen. Mich interessieren Kooperationen, Dinge, bei denen Neues entsteht. Doch ich brauche Zeit, um solche Entscheidungen zu treffen, denn das ist heikles Terrain - eine Art von Treibsand, ich habe das Gefühl, ich darf keine falsche Bewegung machen.

Ich fühle mich als Fremdkörper. Vielleicht sollte ich das ausnützen, um zu hinterfragen, was bisher üblich war.

profil: Werden Sie die Gösserhallen als Festivalzentrum behalten? Slagmuylder: Das würde ich gerne, aber es ist eine Frage der Verfügbarkeit. 2019 werden wir auf jeden Fall Projekte dort verwirklichen.

profil: Das Kunstenfestivaldesarts, das Sie lange geleitet haben, ist mit seinen Programmen gerne in die Stadt hinausgegangen. Bei den Festwochen ist das Budget zum Teil an die alten Präsentationsorte gebunden. Wenn Sie das Theater an der Wien nicht bespielen, gibt es weniger Geld. Slagmuylder: Das ist ein großes Problem. Es ist an der Zeit, bestimmte Strukturen zu diskutieren. Die Leute kennen mich noch nicht, können mich in keine Schublade stecken. Ich fühle mich als Fremdkörper. Vielleicht sollte ich das ausnützen, um zu hinterfragen, was bisher üblich war. Ich träume tatsächlich von einem Stadtfestival, das viele Bezirke miteinbezieht.

profil: Was wird sich unter Ihrer Ägide verändern? Slagmuylder: Ich sehe Festivals als Ausnahmezustand. Der Teufel zündet ein Streichholz an und ermöglicht neue Energie. Ich möchte Kunstschaffenden helfen, spezielle Projekte zu verwirklichen: was sie schon lange im Kopf haben, wofür sie aber nie den richtigen Rahmen gefunden haben. Ich arbeite gern mit Filmemachern, die etwas für die Bühne machen, mit bildenden Künstlern, die Choreografien verwirklichen. Es geht darum, Kunstschaffenden einen Kontext zu bieten, den sie nirgendwo sonst finden. Ein Festival muss zeitgemäße Themen behandeln. Deshalb sollte ein Großteil der Arbeiten neu und eigens für die Festwochen entstehen.

profil: Wird es Länderschwerpunkte geben? Slagmuylder: Brüssel liegt in der Nähe von Amsterdam, London, Paris. In Wien sehe ich Bratislava, Budapest und Brünn. Ich möchte mit Künstlern aus Osteuropa arbeiten. Ästhetisch mag ich es, wenn sich Disziplinen vermischen, wenn man nicht mehr weiß, ob etwas nun Tanz, Theater oder Video ist.

profil: Ihr Vorgänger wollte diesen Crossover-Ansatz als etwas völlig Neues verkaufen, obwohl ihn die Festwochen längst praktizierten. Slagmuylder: Klar, das ist ein alter Hut. Es kümmert ohnehin keinen mehr, ob man jetzt Theater oder Performance dazu sagt. Es geht darum, ob es gut ist oder nicht.

Wir müssen die Anschuldigungen der Tänzerinnen absolut ernst nehmen. Besonders um Kunst als einen Ort der Offenheit und der Unbestimmtheit bewahren zu können.

profil: In Brüssel haben Sie kleine Produktionen ermöglicht. In Wien werden Sie auch Sprechtheater und Opern stemmen müssen. Slagmuylder: Deshalb habe ich zugesagt. Es gab keinen anderen Grund, das Kunstenfestivaldesarts zu verlassen. Mein Vertrag war nicht befristet. Ich will eine jüngere Generation von Künstlern dazu bringen, größer zu denken, mehr zu wagen, nicht nur auf Marthaler und Castellucci setzen. In Südamerika und Osteuropa gibt es spannendes Sprechtheater, das man hierzulande nicht kennt.

profil: Sie haben keine neuen Dramaturgen angestellt. Wie soll das gehen? Slagmuylder: Ich wollte nicht wie ein Popstar mit seiner Band ankommen. Ich spiele nicht den Intendanten, der alles besser weiß. Ich suche den Austausch. Mich interessieren die Menschen hier: Sie kennen Wien, wissen, wo die jungen Leute abends ausgehen, welche Bezirke aus welchen Gründen besonders sind. Das ist für mich dramaturgisch wertvoll. Mein Team wird sich über die Jahre formen.

profil: Sie wirken sehr entspannt. Wie gehen Sie mit Stress um? Slagmuylder: Das täuscht - innerlich koche ich! Aber es ist eine große Erleichterung, dass ich verlängert wurde. Die Festwochen nur für ein Jahr zu machen, wäre ein Höllenjob gewesen.

profil: Wie gehen Sie mit #MeToo-Vorwürfen um, die jüngst den Regisseur Jan Fabre trafen. Würden Sie solche Künstler einladen? Slagmuylder: Wir müssen die Anschuldigungen der Tänzerinnen absolut ernst nehmen. Besonders um Kunst als einen Ort der Offenheit und der Unbestimmtheit bewahren zu können. Es bringt nichts, wenn jeder nur in seiner Blase lebt: Ich bin weiß, du bist schwarz. Ich bin queer, du nicht. Mann oder Frau, links oder rechts - es muss darum gehen, Dialoge zu ermöglichen. In allem steckt gleichzeitig das Gegenteil. Die Festwochen sollen ein Ort sein, an dem Grauzonen erforscht werden, ein Ort der Begegnung und des Austausches. In Brüssel haben mir Leute nach einer Vorstellung gesagt: "Ich hasse die Show. Trotzdem komme ich morgen wieder. Wir mögen, dass Sie Risiken eingehen." Wahrscheinlich werden wir in den nächsten Jahren bei den Festwochen auch viele schlechte Aufführungen sehen. Aber das Risiko ist nötig, nur so kann man auch herausragende Arbeiten ermöglichen. Wollen wir wirklich immer nur Meisterwerke sehen? Oft ist es doch auch toll, wenn jemand elegant scheitert.

Christophe Slagmuylder, 51, ist ein belgischer Kurator und Festivalmacher. Er war seit 2007 Leiter des renommierten Brüsseler Kunstenfestivaldesarts, das zahlreiche Uraufführungen ermöglicht. Nachdem Tomas Zierhofer-Kin nach nur zwei Festwochen-Ausgaben nicht ganz freiwillig seinen Rückzug bekannt gab, stellte die neue Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler den belgischen Kurator interimsmäßig für 2019 als seinen Nachfolger vor. Vergangene Woche wurde bekannt, dass er die Intendanz der Festwochen bis 2024 übernehmen wird. Kaup-Hasler hatte so überdeutliche Signale gesendet, dass sie für Slagmuylder votieren werde, dass sich auf die Ausschreibung lediglich fünf Bewerber gemeldet hatten.

Karin   Cerny

Karin Cerny