Kultur

Filmkritik: „Human Flowers of Flesh“

Die deutsche Filmkünstlerin Helena Wittmann sprengt mit ihrem neuen Film das Panzergrau des Winters.

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Die Sehnsucht nach dem Meer lässt die Regisseurin Helena Wittmann nicht los. Schon ihr Debüt „Drift“ (2017) ließ sich vorbehaltlos auf die Texturen und die Energien des Atlantiks, auf den Takt der Wellen ein. Auch „Human Flowers of Flesh“ (Kinostart: 3. Februar) kreist nun um eine Frau auf See, diesmal am Mittelmeer, unterwegs auf ihrer Segeljacht mit einer rein männlich besetzten Crew von Marseille nach Korsika und weiter nach Algerien. Dabei entsteht viel mehr als nur ein Reisefilm. Denn die Griechin Angeliki Papoulia, bekannt für ihr Spiel in den vieldeutigen Filmen Giorgos Lanthimos’ („Dogtooth“, „Alpis“, „The Lobster“), fasst den Entschluss, die mythische Männerwelt der Fremdenlegion erkunden.

Gemeinsam mit Sound-Designerin Nika Son studiert Wittmann, zuständig für Buch, Kamera, Schnitt und Regie, in exquisiten Bildkompositionen (sie arbeitet mit fotografischem Film) das Unvertraute der Welt: Das Bild eines unter Wasser dahingleitenden Reinigungsgeräts in einem Swimmingpool interessiert sie ebenso sehr wie der nächtliche Wind in den Zweigen eines Stadtbaums oder die beharrliche Beutearbeit einer Spinne in ihrem Netz. Die elliptische, fragmentarische Erzählung, vage orientiert an einem Roman der großen Marguerite Duras („Der Matrose von Gibraltar“, 1952), ist frei von Psychologie, aber die vielen quasi-dokumentarischen Elemente, die Spuren einer postkolonialen Wirklichkeit, fügen sich in die sanfte Fiktion dieses Films.

Es braucht ein wenig Geduld, um an dessen Schönheit und die Präzision zu kommen. Doch wenn am Ende der unvergleichliche Schauspieler Denis Lavant auftaucht, wird die Erzählung fast schwerelos und die Verneigung der Filmemacherin vor Claire Denis’ Chef d’oeuvre „Beau travail“ (1999) manifest. Da wie dort wird das Maskuline dekonstruiert. Der weibliche Blick ruht auf Männerkörpern, während ein radikal elementares, taktil-sinnliches Kino Gestalt annimmt: Die flüchtige Gischt des Ozeans konkurriert mit der Ewigkeit der Felsformationen, die Luft scheint zu vibrieren – und unter Deck huschen Lichtreflexe wie jäh aufblitzende Ideen durch finstere Räume.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.