Ein Moment des Schweigens: Ben Whishaw, Rooney Mara (Mitte) und Claire Foy
Kultur

„Die Aussprache“ im Kino: Reden wir!

In ihrem feministisch grundierten Filmdrama „Die Aussprache“ bildet Sarah Polley eine emotional geführte politische Debatte ab: Sollen die Machtlosen jene, die ihnen aus privilegierter Position Gewalt antaten, ignorieren, fliehen oder bekämpfen?

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Der Originaltitel dieses Films, „Women Talking“ ist, wie so oft, näher an dessen Wirkungsweisen. Tatsächlich sieht die kanadische Ex-Schauspielerin und Filmemacherin Sarah Polley, 44, in ihrer vierten Regiearbeit einer Gruppe junger und älterer Frauen vor allem beim agitierten Reden zu. Darin geht es ums große Ganze, um Traumata, Glaubenskrisen und eine Lebensentscheidung.

„Die Aussprache“, neu im Kino, führt ins Innere einer konservativen Mennonitengemeinde, die fernab der Zumutungen der Moderne an einem nicht näher bestimmten Ort lebt, als hätte das 19. Jahrhundert nie aufgehört. Die Frauen müssen feststellen, dass sie im Schlaf, sediert mit Rindernarkotika, von den Männern ihrer Gemeinschaft brutal vergewaltigt wurden. Sie beschließen, sich  in einen Stall zurückzuziehen, um die Frage zu diskutieren, wie auf das erschütternde Ereignis zu reagieren sei. Die einen wollen den Tätern vergeben, wie es Gottes Wille sei; die anderen plädieren dafür, die Vergewaltiger geschlossen zu verlassen, die Wütendsten unter den Frauen befürworten den Einsatz von Gegengewalt.

Die Story basiert auf einem fünf Jahre alten Roman der unter Mennoniten aufgewachsenen kanadischen Autorin Miriam Toews. Die Kinoversion, für zwei Oscars nominiert (in den Kategorien „Bester Film“ und „Bestes adaptiertes Drehbuch“), ist trotz des dynamischen Schauspiels (mit dabei: Rooney Mara, Jessie Buckley, Claire Foy) ambivalent geraten: Man will Polley einerseits Respekt für die Courage zollen, im Sinne politisch-ethischer Bildung derart ernstes, aktionsreduziertes, diskursives Material zu bearbeiten; andererseits eignet dem Film, auch durch Hildur Guðnadóttirs allzu aufbrausende Musik, etwas stark Theatralisches, Kunstgewerbliches. Die farbreduzierten Bilder scheinen auf frühe Fotografien anzuspielen, obwohl die Handlung um 2010 spielt. Und der Monkees-Klassikers „Daydream Believer“ passt in viele Zusammenhänge. In diesen Film nicht.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.