Kultur

Friederike Pezold im Filmmuseum: Forever underground

Ein Besuch im geheimen Atelier der Künstlerin Friederike Pezold, die sich nun pezoldo nennt. In Wien widmet man dieser legendären Gestalt der Videokunst eine Werkschau.

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Revolution ist das Lieblingswort der Künstlerin Friederike Pezold. Sie fühlt sich herausgefordert, gegen die Zumutungen der Gegenwart, gegen „die herrschenden Verhältnisse“ zu revoltieren: gegen die geschädigte Wahrnehmung und die sinnliche Überreizung, gegen Konzentrationsverlust und TV-Idiotie. 2022 legte sie, weit in ihren Siebzigern, wieder einen Film vor, der mindestens so radikal wie ihre beiden legendären Arbeiten aus den Jahren 1979 („Toilette“) und 1983 („Canale Grande“) erschien: eine stumme, dabei sehr beredte Arbeit über Blick und Bewegung, ein zwischen Kinoexperiment, Malerei und Videografik unaufgelöstes, Geduld forderndes (und reich belohnendes) Werk. Im Österreichischen Filmmuseum wird man am 25. und 26. September – in einer von Sebastian Höglinger und sixpackfilm mitorganisierten Retrospektive – diese drei zentralen Produktionen besichtigen können; am Mittwoch wird die Schauspielerin Julia Franz Richter aus der unveröffentlichten Autobiografie der Regisseurin lesen, Kunsthalle-Wien-Kuratorin Astrid Peterle wird am Donnerstag um 17 Uhr einen Vortrag über subversives Sehen halten.  

Bereits Mitte der 1970er-Jahre stieg Pezold mit ihren Videoarbeiten, Fotos und Zeichnungen zum Jungstar der globalen feministischen Avantgarde auf; 1976 wurden ihre frühen Werke im New Yorker Museum of Modern Art ausgestellt, 1977 nahm sie an der Documenta teil, 1980 und 1984 an der Biennale in Venedig. Davor und danach zeigte man ihre Arbeiten, nur zum Beispiel, an der Londoner Tate Gallery und im Pariser Centre Pompidou. 1995 gründete sie in Wien ein Museum für Video- und Body-Art, um die Jahrtausendwende hatte sie vom Kunstmarkt genug; sie tauchte in den Underground ab, gönnte sich 2018 noch einen komplizierten Rechtsstreit mit dem Wiener Belvedere. 

Blicklust, Blickpausen

Bild aus „Revolution der Augen“ (2022) 

Seit vielen Jahren firmiert Friederike Pezold lieber unter dem geschlechterfluiden Namen pezoldo. In Wien wurde sie geboren, in München wuchs sie auf, ihre bayrische Sprachfärbung zeugt noch davon. In New York, Paris und Wien lebte sie lange, seit 2013 residiert sie in Salzburg, in einem penibel arrangierten Atelier im ersten Stock eines 700 Jahre alten Hauses. Kein Türschild mit ihrem Namen, kein Hinweis auf ihre Existenz. Sie komme runter, schreibt sie per SMS knapp. Dann lugt sie durch das leicht geöffnete schwere Portal.

Besuch empfängt sie in ihrem Studio selten, Fotografen lässt sie sowieso nicht über die Schwelle. Für profil macht sie eine Ausnahme, gewohnt skeptisch, aber offen für Überraschungen. Fotos seien weiter untersagt, dabei besitzt sie durchaus Glamour: Sie trägt schwarze Punk-Stiefel, ein weißes Hemd unter schwarzem Gilet, einen breitkrempigen Strohhut, die Augen hinter grün verspiegelten runden Brillen verborgen. In ihren Bildern an den Wänden, die alle jüngeren Datums sind, ist das Sehorgan omnipräsent.

Wie sehr die Visionen dieser Künstlerin ihrer Zeit stets voraus waren, mag der Umstand veranschaulichen, dass sie bereits in den 1960er-Jahren, inspiriert durch New Yorks Öko-Hippie-Szene, als eine Art Klimaaktivistin durch die Welt ging. 1970 widmete sie eine Ausstellung im Wiener Künstlerhaus diesem Thema. Und ihre sehr verschiedenen Filme, von denen die selbstkritische Regisseurin mehrere nach Fertigstellung der Öffentlichkeit entzog, demonstrieren eine immense Vielseitigkeit: Die lakonisch servierten, verblüffend grafischen Video(choreo)grafien des eigenen Körpers in "Toilette" bezeugen einen Solipsismus der eisigen Form; die an Herbert Achternbusch gemahnende Alltagspoesie in "Canale Grande" dagegen, auf 35mm-Material in Wien und Berlin gedreht in Zusammenarbeit mit der fabelhaften Elfi Mikesch, erzählt von Minderheitenfernsehen und Kinosubversion. In "Revolution der Augen" schließlich, einem tonlosen Propagandafilm für alternative Weltsichten, wird das Filmische auf wenige, höchst anmutige Signale reduziert, die sich nur den wirklich Sehwilligen erschließen. 

Von pezoldos wilder Biografie berichten die autobiografischen Notizen, die sie eine "Kampfschrift" nennt: vom Hadern mit ihrer Identität und Weiblichkeit, von ihren früh ausgeprägten ästhetischen Utopien und der Hingabe an die Entschleunigung, von ihrer Ausbildung zur Kunsttherapeutin und den Ausbrüchen aus der bürgerlichen Existenz. Mit dem größenwahnsinnigen jungen Werner Herzog reiste sie im Sommer 1967 nach Griechenland, wo er sein Kinodebüt "Lebenszeichen" drehte. Mit dem Kurator Harald Szeemann verband sie eine innige Freundschaft, von Münchens schärfsten Filmdenkern, Frieda Grafe und Enno Patalas, wurde sie begleitet. "Mein ganzes Leben", schreibt sie am Ende ihrer noch unpublizierten Memoiren, "war gelebtes Manifest und Widerstandsbewegung." Mit ihrem "élan vital" wolle sie in den Köpfen der Menschen "etwas in Bewegung setzen". 

Man müsse übrigens froh sein, dass sie einen möge, lächelt sie hinter ihren Spiegelbrillen keck, sonst fliege man nämlich gleich raus: genau wie all die ignoranten Museumsdirektoren, die sich hierher gewagt hätten mit ihren verfehlten Ausstellungsideen. Auf Wien freut sie sich, auftreten will sie dort "wohl nicht", der Beantwortung öder Fragen aus dem Weg gehen. Der Schatten ist pezoldos Revoltenbasis.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.