Das journalistische Autoimmunsystem

Gastkommentar von Viennale-Direktor Hans Hurch: Das journalistische Autoimmunsystem

Gastkommentar. Viennale-Direktor Hurch polemisiert gegen profil

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Lange, zu lange schon hatte ein kleiner filmpolitischer Konflikt geschwelt, jetzt scheint er mit der Eröffnung des neuen Metro-Kinokulturhauses aufs Heftigste aufzulodern. Aufs Heftigste und aufs Erhellendste, weil nun die Bruchlinien, die Interessen, die Beteiligten und Handelnden wie von selbst sichtbar werden. Es ist etwas geradezu Kathartisches an diesem Konflikt, wenn sich die einen öffentlich und provokativ zu Worte melden, andere in der Deckung vornehm schweigen und wieder andere unter dem Vorwand objektiver Berichterstattung und kritischer Recherche ihr durchschaubares Geschäft betreiben - oder besser: das Geschäft anderer.

Aber der Reihe nach. Seit Mitte der 1960er-Jahre existieren in Österreich, wie in den meisten vergleichbaren Ländern, eine internationale Kinemathek einerseits - das Österreichische Filmmuseum - und ein nationales Filmarchiv andererseits - das Filmarchiv Austria. Beide haben klar definierte und voneinander unterschiedene Aufgaben: die Pflege internationaler Filmgeschichte die eine, die Verantwortung für das nationale Filmerbe die andere. Produktive Überschneidungen und eigensinnige Ergänzungen inklusive. So beschäftigt sich das Filmmuseum immer wieder auch mit dem heimischen Kino, das Filmarchiv wirft den einen oder anderen Blick über die engen Grenzen des eigenen Landes hinaus. Und das ist gut so und im Übrigen internationale Gepflogenheit, vor allem aber nützlich für das Verständnis und die Zusammenhänge nicht nur der Filmgeschichte.

Noch vor ein paar Jahren träumten die schwarz-blaue Regierung und ihr Kulturfrontmann Franz Morak den seltsamen und willkürlichen Traum von der Regulierung, Maximierung und vor allem Disziplinierung der beiden so unterschiedlichen Institutionen in eine große einzige. Im Gegensatz zu anderen Träumen aus jenen Tagen wurde dieser zum Glück und Nutzen aller nie Wirklichkeit.

Aber zurück zum Metro-Kino. Mit der kürzlich erfolgten Eröffnung des Metro-Kinokulturhauses in der Wiener Johannesgasse verfügt nun auch das Filmarchiv - ähnlich dem Filmmuseum - nach mehrjähriger Unterbrechung wieder über eine eigene Spielstätte, eine attraktive Auslage und einen spannenden Ort für die unterschiedlichsten filmkulturellen Aktivitäten.

Wien, das eine Vielzahl an Museen, Ausstellungsorten, Theatern, Musicalbühnen und Opernhäuser aufweist, hat damit einen lebendigen Ort für die Pflege, Ausstellungen, das Studium und die Präsentation historischer und gegenwärtiger Kinos gewonnen. Einen neuen Kino-Ort im Herzen der Stadt, und nicht einfach, wie Stefan Grissemann im profil der Vorwoche mit zynischem und irreführendem Kalkül feststellte, "ein zweites Filmmuseum“. Um damit Berechtigung und Sinnhaftigkeit des Metro-Projekts in Frage zu stellen. Weil nicht wahr sein kann, was nicht wahr sein darf.

Am 16.10. war Peter Handke zu Besuch im Metro, um seine Filmschau zu präsentieren, vier Tage später stellte Michael Haneke persönlich ein neues Buch vor, und dieser Tage gibt Jarvis Cocker im Rahmen der Viennale ein kleines Konzert im schönen Kinosaal, so wie vor nicht allzu langer Zeit Patti Smith. Dass das kein "zweites Filmmuseum“ ist und sein wird, weiß Grissemann zu gut. Vielleicht aber hat er auch nur Angst vor jenem "Metrovirus“, den er nun selbst gerufen hat, Angst, dieser schöne und gefährliche Virus könnte zu viele befallen in dieser Stadt, und das Autoimmunsystem so mancher seltsamer Loyalitäten und Verstrickungen, jahrelanger Befangenheit und Parteilichkeit könnte geschwächt werden. Vielleicht ist das alles einfach nur zu viel, auch für den alten und neuen Nachbarn Filmmuseum, der inzwischen ein wenig in die Jahre gekommen ist und langsam anfängt, sich da und dort zu wiederholen. Ein Zuviel an produktiver Herausforderung, an zumutbarer Ergänzung und lebendiger Konkurrenz. Im Grunde ein kulturpolitisch wünschenswerter und richtiger Zustand, von dem die Filmkultur und eine kinointeressierte Öffentlichkeit nur profitieren können.

Was also treibt den Kulturredakteur um? Es geht in seinem Text nicht um die Sache, das ist aus jeder Zeile ersichtlich, er fühlt sich weder objektiv dem Gegenstand noch seinen Lesern verpflichtet. Er steht in einer anderen Pflicht - in einer abenteuerlichen Mischung aus Inquisition gegen den Leiter des Filmarchivs Ernst Kieninger und einer geradezu paranoiden Stilisierung meiner Person zu einer Art neuem Doktor Mabuse ist die Rede von "undurchschaubaren Verflechtungen“ zwischen Filmarchiv und Viennale, ohne auch nur den Hauch eines Arguments zu liefern, Vorwürfe von Gestern, Unterstellungen von Heute, Anonymes und Privates und Verschwörungstheorien, die bis zu einem Hauskauf Ernst Kieningers am Land reichen. Eine kleinliche und durchschaubare detektivische Fleißarbeit, die für Grissemann den Vorteil hat, über mehrere Seiten hinweg das neue Metro Kinokulturhaus und dessen Programm so gut wie übergehen zu können.

Und genau hier liegt das Kathartische an diesem Konflikt. Dass jetzt die kulturpolitischen Bruchlinien und medialen Verwicklungen spürbar werden, die journalistische Kameraderie und das private Kalkül. Ab diesem Tag mag jeder zwischen den Zeilen lesen, der will. Das ist die Lektion Metro Kinokulturhaus: Es kann wahr sein, gleichgültig ob es wahr sein darf.

Hans Hurch, 61, amtiert seit 18 Jahren als Direktor des Filmfestivals Viennale. Zwischen 1976 und 1986 war er Kulturredakteur der Wiener Stadtzeitung "Falter“, danach Kurator und Regieassistent bei Jean-Marie Straub und Danièle Huillet.

profil-Redakteur Stefan Grissemann antwortet folgendermaßen auf Hurchs Gastkommentar:

Operation Ablenkung

Es ist vermutlich nötig, einige Fakten näher zu erläutern, die sich hinter Hans Hurchs Kommentar abzeichnen. Jedes Jahr kurz vor Eröffnung der Viennale sieht sich Hurch dazu aufgefordert, oft heitere Mini-Eklats in Form von Meinungs-Gastauftritten zu produzieren, sich dabei als "streitbarer Geist“ zu inszenieren, der sich im alleinigen Vollbesitz von Wahrheit, Ethik und Verantwortung wähnt - ein Schelm, wer da meinte, es gehe vielleicht auch darum, seinem jeweils gerade beginnenden Festival zusätzliche PR-Schübe zu versetzen.

Tatsächlich ist aber auch profil, genau wie Hurch, der Meinung, dass die sich aktuell entzündende neue Debatte durchaus "erhellend“ sei: Denn hinter Hurchs Furor, in den er sich vergangene Woche auch in der Stadtzeitung "Falter“ monologisierte, steckt eine seit Jahren öffentlich dokumentierte - und von Kulturstadtrat Mailath-Pokorny im Zuge der Viennale-Eröffnung vor wenigen Tagen überraschend scharf verurteilte - Abneigung des Viennale-Direktors gegen das Österreichische Filmmuseum und seinen Direktor Alexander Horwath, der sein Vorgänger als Festivalchef war. Auch deshalb ist es für Hurch offenbar nicht denkbar, dass sachliche Kritik am Filmarchiv Austria, wie sie in profil geäußert wurde, nicht automatisch auch eine Feier des Filmmuseums darstellt, sondern schlicht ist, was sie sein soll: eine Recherche zu den aktenkundigen Missständen und von mehreren Mitarbeitern der Institution lautstark erhobenen Vorwürfen gegen die Arbeitsbedingungen und der Amtsführung ihres (in profil breit zu Wort kommenden) Chefs - vielleicht "kleinliche Fleißarbeit“, sicher nicht "Inquisition“ und definitiv keine "Verschwörungstheorie“.

Man muss somit in Hurchs Wortmeldungen zur Causa Metro auch ein groß angelegtes Ablenkungsmanöver erkennen, das einerseits über Unwahrheiten (das angeblich so zynisch-kalkulierte profil-Zitat vom "zweiten Filmmuseum“ beispielsweise geht direkt auf eine Hurch-Wortmeldung im "Falter“ zurück), andererseits über falsche Annahmen vollzogen wird: In einem investigativen Artikel zu den akuten Problemen im Filmarchiv muss nicht das Tagesprogramm des neuen Metro beworben werden (das wir an anderer Stelle lobend erwähnt haben), wie sich Hurch dies naturgemäß wünscht; der eigentliche Skandal besteht darin, dass ein sich selbst als moralische Instanz gern exponierender Festivaldirektor, der im Präsidium eines Vereins (eben des Filmarchivs) sitzt, welcher beispielsweise ungeniert - laut Stadtrechnungshof Wien - "In-sich-Geschäfte“ betreibt, dies in seinen Einlassungen aber mit keinem Wort erwähnt.

Aberwitzig erscheinen Hurchs Tiraden zu den "medialen Verwicklungen“ und der "journalistischen Kameraderie“, seine Einforderung knallharter Objektivität zuletzt auch vor dem Hintergrund jener praktisch lückenlosen Medieneinbindung, die in der Viennale-Berichterstattung seit Jahren zum Einsatz kommt. Die speziellen Kooperationen des Festivals, die vom "Standard“ über den "Falter“, "Skip“, "Ray“ und "Celluloid“ bis zum ORF reichen und sogar, wenn auch nur punktuell, auch das profil betreffen (zwei von 300 Filmen werden in Zusammenarbeit mit diesem Magazin gezeigt), wären dann wohl die Marketing-Antithese zu dem Bannfluch, den Hurch über das angeblich so interessensgeleitete "strategische Geschäft“ des Journalismus verhängt hat.