Handkes "Zdeněk Adamec": "Licht an in deinen Achselhöhlen!"

Die erste Schauspielpremiere der Salzburger Festspiele 2020: Peter Handkes Szenendrama "Zdeněk Adamec" ist ein unaufhaltsam anschwellender Aufwachappell.

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Das Spiel von den Fragen und – für Handke außergewöhnlich – den vielen Antworten hebt unter schwarzem Bühnenhimmel an, von hellgrauen Nebelschlieren durchzogen. „Zdeněk Adamec“ sind zwei Theaterstunden unter Corona-Bedingungen (diese Kritik beruht auf der Voraufführung vom 1. August) über einen nahezu Vergessenen. Handke hat die Fakten zusammengetragen, deren Zustandekommen der Autor schneidig kommentiert: „Recherchen, du? Ganz was Neues!“ Der 18-jährige Zdeněk Adamec übergoss sich Anfang März 2003 aus Protest gegen den Zustand der Welt auf dem Prager Wenzelsplatz, vor dem tschechischen Nationalmuseum, mit Benzin und verbrannte sich selbst. In seinem Abschiedsbrief, so führt Handke im Stück an, habe Zdeněk „Geld“ und „Macht“ die „Erzfeinde der Menschheit“ genannt. Der Schriftsteller informiert über die letzte Begegnung im Leben seines Helden, über dessen Eltern und die kleine Mietwohnung in den Hochhäuserblöcken am Stadtrand von Humpolec.

Bei Handke ist das Leben immer auch ein Traum. Unter spitz zulaufenden Eisenbögen treffen, angeleitet von der Handke-erprobten deutschen Regisseurin Friederike Heller, auf der Bühne des Salzburger Landestheaters sieben Personen aufeinander, als hätten sie einander gerade wiedergefunden. Die drei Musiker – mit dabei: Kante-Sänger und Ex-Blumfeld-Bassist Peter Thiessen, erstmals bei den Salzburger Festspielen aktiv – bleiben gut sichtbar (und mit ihren erfrischenden Beiträgen leider zu wenig oft hörbar) im Hintergrund.

Im Handke-Land sind die äußeren Umstände vage: Ein Fest, das keines ist, soll an einem Ort stattfinden, der nicht genau lokalisiert ist, in einer Zeit, die keine Jahreszeiten kennt. Vielleicht ist es das „Heartbreak Café“, in dem die drei Frauen und vier Männer einander begegnen, vielleicht aber auch nicht. Alles schön in Schwebe, alles bleibt offen. Sieben Personen suchen einen Unbekannten, der die Bühne nicht betreten wird: Im Reden über Zdeněk Adamec mischen sich Was-wäre-wenn-Wünsche mit Wissenswertem, Tatsachen und Träumen; als Grundton laufen Augenblickbeobachtungen und wundersam verquere Aufwachappelle mit: „Licht an in deinen Achselhöhlen!“ Einer auf der Bühne sagt: „Mit wahren Begebenheiten könnt ihr mich jagen. Und lang genug nun im Leben war ich ein Gefangener all der Aktualitäten.“

Es braucht seine Zeit, bis „Zdeněk Adamec“ in Schwung kommt. Nur zögerlich legt das anfangs auf dem Bühnenboden wie angeschraubt wirkende Ensemble die Ehrfurcht vor dem Nobelpreisträgertext ab. Einiges an Geduld ist nötig, bis sich das Stück zur lebhaften Erzählreise entfaltet, die über das Leben und Sterben von Zdeněk Adamec in Rückblicken berichtet, die Aufmerksamkeit auf das scheinbar Nebensächliche lenkt („Schaut, das Rot der Kirschen!“) und, wie stets bei Handke, reflexartig (und mit Rilkes Hilfe) den Journalismus geißelt: „Ah, alle die Aktualitäten, ob böse oder weniger böse. Es ist, als ob es nur noch Aktualitäten gäbe, und hinter tausend Aktualitäten keine Welt.“

Um zwei Sprachzauberer und einen Kraftkerl gruppiert sich die Besetzung: Christian Friedel („Das weiße Band“, „Elser“) verleiht den Handke-Zitaten Klang und Raum; als Bonustrack legt er mit Buddy-Holly-Brille einen Fußballrasen-Ausdruckstanz hin. Eva Löbau („Der Wald vor lauter Bäumen“, „Tatort“) fällt in die Bühnenkünstlerinnenkategorie, in der sich Übermut und Dringlichkeit auf das Schönste verbinden. Und dank André Kaczmarczyk vom Düsseldorfer Schauspielhaus setzt es schließlich ein wenig Rock’n’Roll und Clownerie auf der Bühne, was Stück und Spiel sichtbar gut tut. Irgendwann greift sogar Mitspieler Hanns Zischler davon mitgerissen zum Mikrofon und intoniert „Memphis Tennessee“. Plötzlich befindet man sich tatsächlich im „Heartbreak Café“, wie einer auf der Bühne mutmaßt.

Es scheint fast so, als habe Handke „Zdeněk Adamec“ das Musketier-Motto unterlegt: Sieben für einen, einer für uns alle: Schmerzensmann Zdeněk, der sich stellvertretend für unsere fortgesetzten Vergehen an Natur und Umwelt, für unser harsches Miteinander und unsere Gleichgültigkeit in Brand setzte. Es kann nicht schaden, Zdeněk Adamec in Erinnerung zu bewahren.

 

Dark Bull: Peter Handkes Drama „Zdeněk Adamec“ kommt bei den Salzburger Festspielen zur Uraufführung. Worum geht es in diesem Theatertext?

„Zdeněk Adamec“ ist Peter Handkes 22. Theaterstück, und es ist, nach „Kaspar“ (1967), das erst zweite Drama, das den Namen seines Helden trägt, eines nahezu Vergessenen: Der 18-jährige Zdeněk Adamec übergoss sich Anfang März 2003 aus Protest gegen den Zustand der Welt auf dem Prager Wenzelsplatz, vor dem tschechischen Nationalmuseum, mit Benzin und verbrannte sich selbst. In seinem Abschiedsbrief, so führt Handke im Stück an, habe Zdeněk „Geld“ und „Macht“ die „Erzfeinde der Menschheit“ genannt. Der Literaturnobelpreisträger macht aus der Tragödie eines versprengten Einzelnen ein Lehrstück der Mitmenschlichkeit und der Weltneugier: „Ich habe genug gesehen“, schreibt Handke. „Wie kann man bloß solch einen Blödsinn sagen!“

„Zdeněk Adamec“ ist ein namenloser Chor einander widersprechender, ergänzender, ins Wort fallender Stimmen, der Fragen, Augenblicksbeobachtungen und Handkes Verachtung für den „Aktualitätshorror“ als Grundton mitlaufen lässt – und in dem der Titelheld selbst nie auftritt. Handke nähert sich der Figur des Zdeněk nicht auf den Schleichpfaden des Psychologischen und Moralischen. Mit schnell hingeworfenen Definitionen und zu kurz greifenden Erklärungen für die Selbstverbrennung, mit Zahlen und Daten hält sich der Nobelpreisträger auch hier nicht auf; ihm geht es um das größere Bild, um Auf- und Erklärung durch Literatur: „Auch du erspar uns die Details, und vor allem Interpretation und Einfühlung!“ Dagegen blitzen Handkes Schalk und Witz auf: Er ruft als Zeitgenosse der Ära der TV-Fachleute nach einem Experten für den „Blüten-im-Rinnstein-Wirbelwind“. Die Salzburger Energielimonade mutiert zu „Dark Bull“, und tröstlich scheint Handke im Handys-mit-Menschen-dran-Zeitalter folgende Beobachtung: „Es gibt also noch welche, die mit sich selber reden, Dank sei Gott!“ Der letzte Satz aus Zdeněk Adamec‘ Abschiedsbrief, „gerichtet an eine Mehrzahl, ein Publikum, wenn nicht die ganze liebe Welt“, lautet: „Bitte, macht keinen Narren aus mir!“ PAT

 

Peter Handke: Zdeněk Adamec. Eine Szene.

Suhrkamp, 71 S., EUR 20,60

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.