Henry Rollins
Interview

Henry Rollins: "Die Menschen werden einander umbringen"

Henry Rollins, Punk-Ikone, Autor und Weltreisender, hat als Mastermind von Black Flag und Rollins Band Musikgeschichte geschrieben. Hier erzählt er, warum er in Krisenregionen reist, wie er gegen seine Wut kämpft und seiner Desillusionierung freien Lauf lässt.

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Ihre aktuelle Spoken-Word-Tour nennen Sie „Good to See You“. Was erhoffen Sie sich von den Begegnungen mit den Menschen?
Henry Rollins
Es ist lange her, dass ich auf Tournee gehen durfte, und obwohl es immer schön ist, das Publikum zu sehen, bedeutet es mir jetzt viel mehr, da ich sehe, wie leicht das alles hätte enden können.
Sie gelten als Workaholic, sind Autor, Musiker, DJ und Geschichtenerzähler. Was treibt Sie an?
Rollins
Ich bin wütend und benutze die Arbeit, um mich in Schach zu halten. Wenn ich sage, dass ich etwas abliefern werde, dann muss ich das auch tun, egal wie schlecht ich mich fühle, ich muss es schaffen. Ich tue das nicht wegen des Geldes oder des Beifalls. Es geht darum, mich selbst am Laufen zu halten. Je schlechter es mir geht, desto mehr arbeite ich.
Henry Rollins
Ihre Reisen führen Sie in Krisenregionen, auch in Länder wie Nordkorea, den Irak oder Iran. Suchen Sie nach neuen Geschichten, oder sind Sie eher auf der Suche nach sich selbst?
Rollins
Ich bin neugierig auf den Zustand der Menschen. Um ein besseres Verständnis für Dinge zu bekommen, die nicht von den Nachrichten oder der Regierungspropaganda gefiltert werden, habe ich versucht, diese Orte selbst zu besuchen. Wenn ich aus dem Westen kommend einen Ort wie Nordkorea besuche, muss ich mich unbedingt mit meinen eigenen Erfahrungen auseinandersetzen. Es ist schwer, nicht zu vergleichen und den Kontrast zu sehen – aber es ist auch sehr wichtig, das alles hinter sich zu lassen und nach Gemeinsamkeiten zu suchen.
Die Welt scheint derzeit gespaltener denn je zu sein: Ist die Menschheit noch zu retten?
Rollins
Die Menschen werden einander umbringen. Die natürlichen Ressourcen werden schwinden. Dabei werden wir einander kurz kennenlernen, denn unsere Wasserquellen werden bald so klein sein, dass, wer am Leben bleibt, darum kämpfen wird, seine Tasse in die Pfütze zu halten. Es hätte anders kommen können, aber viele Menschen sind leider sehr dumm, also wird unsere Spezies zu leiden haben.
Können Sie mit dem Begriff Heimat etwas anfangen?
Rollins
Nein. Ich sorge dafür, dass dieses Konzept bei mir nie Fuß fassen kann. Ich wohne in einem kleinen, unscheinbaren Haus. Ich vermisse es nicht, wenn ich unterwegs bin, und ich habe nie das Gefühl, „zu Hause“ zu sein, wenn ich dort bin. Es ist ein Ort, an dem ich derzeit untergebracht bin und der jederzeit überfallen werden könnte; so befinde ich mich in einem fast ständigen Zustand der Bereitschaft. Ich bin lieber draußen in der Welt als in meinem Haus, wo jeden Tag das Gleiche passiert.

Leute wie Putin oder Trump wird es immer geben, aber Künstler wie John Coltrane ebenfalls, die all die Zerstörung neutralisieren.

Mit der Band Black Flag und später auch Ihrer Rollins Band waren Sie Vorreiter der Hardcore- und Punkrock-Subkultur. Wofür haben Sie gekämpft – und gegen wen haben Sie sich aufgelehnt?
Rollins
Anfangs dachte ich nie, dass ich für etwas oder gegen jemanden kämpfen würde. Am Ende wurde Black Flag von den Strafverfolgungsbehörden und manchmal auch von den Zuschauern belästigt. Als diese Grenze gezogen war, blieb sie für mich gezogen.
Welche aktuellen Bands, Künstlerinnen oder Künstler haben die Kraft, uns die Gegenwart zu erklären?
Rollins
Ich fand schon immer, dass Chuck D von Public Enemy ziemlich genau auf den Punkt gebracht hat, was gerade passiert. Wenn es ein Musikgenre gibt, das einem wirklich sagt, „wo es langgeht“, dann ist es wohl der Rap.
Sie selbst sind seit Jahren nicht mehr als Musiker aufgetreten. Wie leben Sie heute die Magie der Musik aus?
Rollins
Genauso wie ich das schon als Sechsjähriger gemacht habe. Ich höre eine Menge Platten. Ich habe nie gern Musik gemacht, aber ich hab sie immer gerne gehört.
Kann man sich in der Ära des Musik-Streamings noch gegen Kommerzialisierung wehren?
Rollins
Ich weiß es nicht. Ich vermute, wenn Musik gestreamt wird, ist sie mit Werbung unterlegt, so dass sie am Ende Teil einer einzigen langen Werbestrecke wird. Ehrlich gesagt: Das ist kein Thema, über das ich mir Gedanken mache. Ich abonniere keine Streaming-Plattformen.
Man kann sich Henry Rollins im Lockdown kaum vorstellen. Wie haben Sie sich in der Zeit der Pandemie über Wasser gehalten?
Rollins
Ich habe mein Arbeitskonzept völlig umgestellt. Ich dachte, dass ich nie wieder auf Tournee gehen würde und plante eine völlig neue Art, meine wachen Stunden zu verbringen. Was kann ich im Haus tun? Schreiben, Recherchen für bestehende und geplante Schreibprojekte, Radioarbeit, Synchronisierung von Animationsfilmen. Es hat eine Weile gedauert, aber das Touren kam zurück. Ich weiß nicht, wie lange das so bleiben wird. Da die Menschen sich weigern, sich impfen zu lassen, kann das Virus mutieren und sich weiter ausbreiten. Es würde mich nicht überraschen, wenn es noch mehr Schließungen und Todesfälle geben würde. Man kann die Menschen nicht zwingen, sich impfen zu lassen. Sie sind auf sich allein gestellt, genau wie ich.
Krieg in Europa, Klimakrise, Pandemie: Den Glauben an die Menschheit haben Sie verloren?
Rollins
Ich hatte ihn nie. Menschen sind einerseits in der Lage, andere Menschen massenweise abzuschlachten, andererseits werden Sie aber demnächst auch Krebs heilen können. Penicillin wurde als Durchbruch angesehen, aber das war die Kalaschnikow auch. Man muss vom Individuum ausgehen, das hilft dabei, nicht zynisch zu werden. Leute wie Putin oder Trump wird es immer geben, aber Künstler wie John Coltrane ebenfalls, die all die Zerstörung neutralisieren.
Sie treten seit vier Jahrzehnten live auf. Ist das eine Sucht, von der Sie nie loskommen werden?
Rollins
Ich trete gerne auf, aber ich wette, dass ich mit allem, was ich jetzt tue, sofort aufhören könnte. Ich habe festgestellt, dass es von Vorteil ist, wenn man lernt, auf katastrophalem Niveau zu verlieren. Außerdem glaube ich an den „harten Ausstieg“: Wenn ich fertig bin, bin ich fertig und blicke nicht mehr zurück. Sollte ich 2023 zum letzten Mal auftreten, dann war's das eben. Ich würde gerne weiter machen, aber alles hat ein Ende.
Sie werden demnächst 62. Machen Sie sich Gedanken, was von Ihnen bleiben soll?
Rollins
Hoffentlich wird mich jemand gleich nach meinem Tod verbrennen und die Überreste in die nächste Mülltonne werfen. Da ich alt bin und den größten Teil meines Lebens hinter mir habe: Worüber sollte ich mir Sorgen machen? Ich werde eher früher als später tot sein, und ich glaube nicht, dass das der Rede wert ist.

 

Interview: Philip Dulle

 

Henry Rollins, 61,

wurde in den 1980er-Jahren als Frontmann der kalifornischen Hardcore-Kollektive Black Flag und Rollins Band bekannt. In seinen legendären Spoken-Word-Performances, die als eine Art Punk-Diavortrag mit vollem Körpereinsatz konzipiert sind, spricht er über politische und soziale Missstände, aber auch über seine Erlebnisse als Weltreisender und Sammler skurriler Anekdoten. 1995 erhielt Rollins, der auch als Schauspieler („Lost Highway“) und Synchronsprecher in Erscheinung tritt, einen Grammy für das beste Spoken-Word-Album („Get in the Van: On the Road with Black Flag“). Mit seinem aktuellen Programm „Good To See You“ wird er am 9. und 10. Februar in Wien (Gartenbaukino) und im Grazer Orpheum gastieren. Für beide Veranstaltungen gibt es noch Tickets.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.