Heribert Sasse

In memoriam Heribert Sasse (1945–2016): "Unterwürfigkeit finde ich furchtbar“

Der Wiener Schauspieler Heribert Sasse über Bernhard Minetti und Helmut Qualtinger, Donald Trump, Norbert Hofer – und Theater im Gurkenglas.

Drucken

Schriftgröße

Anmerkung: Dieses Interview erschien ursprünglich in der profil-Ausgabe 45/2016 vom 7. November.

INTERVIEW: KARIN CERNY

profil: Sie wurden 1945 in Linz geboren, wuchsen in Wien auf. Merkte man, dass der Nationalsozialismus nicht aufgearbeitet worden war? Sasse: Das spürt man ja bis heute. Das ist wohl die Mentalität der Österreicher. In der Schule wurde die NS-Zeit totgeschwiegen. Mit 20 Jahren ging ich nach Deutschland, um Elektrotechnik zu studieren und eine Managementausbildung zu machen. Als Intendant hat es mir nicht geschadet, etwas über Personalführung zu wissen und Bilanzen lesen zu können.

profil: Sie waren am Reinhardt Seminar? Sasse: Mit 18, ja, aber nur ein halbes Jahr lang, dann flog ich aus disziplinären Gründen raus. Mir hatte der Unterricht nicht gefallen, man sollte den Professor nachahmen, keine eigene Persönlichkeit entwickeln. Ich habe mich erst in Deutschland wohl gefühlt, mit 23 war ich Schauspieler am Schiller Theater und arbeitete mit Größen wie Martin Held, Bernhard Minetti und vielen anderen. Ich wusste schon damals: Ich möchte Intendant werden.

profil: Sie waren erstaunlich selbstbewusst. Sasse: Ich hatte das Glück, von meinen Eltern nie unterdrückt zu werden. Es wurde daheim auch offen über den Nationalsozialismus geredet. Mein Vater meinte, wenn er meine Mutter nicht gehabt hätte, wäre er zur Partei gegangen. Sie aber hatte gedroht, sich sofort scheiden zu lassen.

profil: Wird man als Schauspieler von seinen Regisseuren bisweilen auch unterdrückt? Sasse: Man glaubt immer, Regisseure wären früher autoritärer gewesen. Damals wurde von einem Schauspieler verlangt, dass er sich um seine Rolle zu kümmern habe. Heute muss man oft die Obsessionen der Regisseure auf die Bühne bringen. Das hat auch etwas mit Unterdrückung zu tun.

profil: Ging es früher förmlicher zu? Sasse: Ja. Die Leute denken immer, das Du mache die Zusammenarbeit einfacher. Stimmt aber nicht, Respekt ist wichtig. „Lecken Sie mich am Arsch“ bringt man nicht so leicht über die Lippen.

Qualtinger war ein hochsensibler Mann, viele hatten Angst vor ihm.

profil: Waren Sie mit Helmut Qualtinger per Du? Sasse: Nein. Ich habe im Wiener Schauspielhaus mit ihm „Die Unüberwindlichen“ von Karl Kraus gemacht. Ich spielte die Hauptrolle, er inszenierte. Qualtinger war ein hochsensibler Mann, viele hatten Angst vor ihm. Natürlich durfte man diese Angst nicht zeigen, sonst war man verloren. Unterwürfigkeit finde ich furchtbar.

profil: Ex-Burgtheater-Chef Matthias Hartmann war bei Ihnen in den 1980er-Jahren Assistent. Ahnten Sie, dass er Karriere machen würde? Sasse: Er assistierte bei mir am Schiller Theater Berlin. Hartmann war sehr selbstbewusst, er machte anderswo seinen Regie-Weg. Ich mochte seine „Krieg und Frieden“-Inszenierung im Kasino sehr. Er scheiterte als Burg-Direktor an einer typisch österreichischen Situation: Politiker wollen keine Haftung übernehmen. Sie reden einem dauernd drein, aber wenn etwas schiefläuft, sind die anderen schuld.

profil: Finden Sie es nicht dubios, wenn Hartmann meint, er müsse sich als Burg-Chef nicht für Bilanzen interessieren? Sasse: Das war saublöd. Ich habe es ihm auch gesagt. 50 Prozent der Arbeit eines Intendanten ist kaufmännisch – Kunst kostet!

profil: Was sollte man als Intendant können? Sasse: Man muss Menschen motivieren. Und sich für alles interessieren – bis hin zum Klopapier.

profil: Das klingt nach Kontrollfreak. Sasse: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das verbindet mich auch mit Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger. Er hat sein Theater von Grund auf erneuert. Ich kenne niemanden im deutschen Sprachraum, dem es gelungen ist, so viel Geld aufzustellen.

profil: Es gehört zum Beruf, mit Zahnärzten und Industriellen Abend zu essen? Sasse: Ja. Sie machen sich darüber lustig. Aber der Staat übernimmt das nicht. Für die Rüstung sind Milliarden da, für Bildung und Kultur nicht. Zugleich wird wohlwollend zugeschaut, wenn im Volkstheater nur 100 Leute sitzen.

profil: Verdienen nur volle Häuser eine Subvention? Sasse: Unsinn. Aber es darf nicht egal sein, wie viel Publikum ich habe. Das Volkstheater ist in seiner Größe unterfinanziert. Mir hat man das Haus zwei Mal angeboten, ich habe aus diesen Gründen abgelehnt. Wenn die Zuschauer nicht kommen, riskiert man doch, dass die Politik sagt: „Das sperren wir einfach zu und machen ein Schwimmbad daraus.“

Früher waren die Kritiken viel bösartiger. Was glauben Sie, wie oft ich verrissen wurde!

profil: Sollte man Anna Badora nicht Zeit geben, neues Publikum für ihren ambitionierten Volkstheater-Spielplan zu gewinnen? Sasse: Natürlich, aber das kostet Geld, im zweiten Jahr müssen die Zahlen steigen. Ich verstehe ja Kritiker gut, die froh sind, wenn ein Regisseur ungewöhnliche Ideen hat. Ich habe einen „Torquato Tasso“ in Hannover gesehen, der in einem sechs Meter hohen Gurkenglas spielte. Die Rezensenten waren begeistert, aber das Publikum lief in Scharen davon. Theater ist wie Zirkus: Wenn jemand ankündigt, er mache einen dreifachen Salto, und fällt in den Sand, macht die Ausrede, er war ein Hobbyturner, keinen Sinn. Es zählt auf Dauer nicht die Absicht, sondern das Ergebnis.

profil: Gehen Ihnen schlechte Kritiken nahe? Sasse: Ja. Früher waren die Kritiken viel bösartiger. Was glauben Sie, wie oft ich verrissen wurde! Friedrich Luft schrieb über mich Dinge, die mich zutiefst gekränkt haben. Wenn er meinte, etwas sei schlecht, sank der Kartenverkauf um 20 Prozent. Solche Macht hatten die Feuilletonisten früher! Heute ist der Kritiker meist auf „Sternchenvergabe“ reduziert.

profil: Wie eitel muss man als Schauspieler sein? Sasse: Kommt darauf an. Als junger Mann wurde ich oft als Liebhaber besetzt, mit 30 bekam ich eine Schilddrüsenkrankheit und habe mich äußerlich stark verändert. Es kamen nur Absagen, das kratzt dann eine Zeit lang an der Eitelkeit.

profil: Sie meinten einmal, Sie hätten sich auch eine Karriere als Politiker vorstellen können. Sasse: Na ja, einmal. Ich möchte heute nicht in der Haut von Christian Kern stecken. Er versucht, sich redlich durchzusetzen. Aber die politische Situation in Europa ist verzwackt. Und in Amerika ist es noch desaströser. Im Vergleich zu Donald Trump wirkt Norbert Hofer ja beinahe wie ein Intellektueller. Ich habe mir die Diskussionen zwischen Trump und Clinton angeschaut – und finde beide grauenhaft. Wie jämmerlich Clinton in ihrer Oberlehrerhaftigkeit ist! Natürlich ist sie das geringere Übel. Van der Bellen argumentierte über sich kürzlich ähnlich. Rührend, aber tragisch, wenn ein Politiker sich selbst als das kleinere Übel einschätzt.

profil: Sie gelten als Tierfreund. Besitzen Sie noch Ihren Papagei? Sasse: Nein, mir geht es jetzt wie der Politik – ich bin auf den Hund gekommen!

Heribert Sasse, 71, begann am Volkstheater als Schauspieler, ehe er in Berlin als Theaterdirektor Karriere machte. Er leitete von 1985 bis 1990 als Generalintendant die Staatlichen Schauspielbühnen Berlin. 1993 eröffnete er das Schlosspark-Theater als Privatbühne. Mit Beginn der Spielzeit 2005/2006 wurde er Ensemble-Mitglied am Wiener Volkstheater, ab 2006/2007 wechselte er an die Josefstadt. Sasse wirkte in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen mit. Er starb am 19. November dieses Jahres in Hinterstoder.

Karin   Cerny

Karin Cerny