Hubert Sauper über "We Come As Friends": "Wir leben in einer Monokultur des Denkens"

Hubert Sauper über „We Come As Friends“: „Wir leben in einer Monokultur des Denkens“

Film. Hubert Sauper über seine Südsudan-Dokumentation „We Come As Friends“

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Interview: Stefan Grissemann

profil: Sie drehen seit fast 20 Jahren nur noch Filme in Afrika. Was fasziniert Sie an dem Kontinent so sehr, dass er Ihr exklusives Thema wurde?
Hubert Sauper: Seit 1997 drehe ich Filme im Inneren Afrikas, aber nie „über“ Afrika. Die Leute in meinen Filmen kommen aus der ganzen Welt, die Kollision dieser Menschen mit ihren Geschichten, Grenzen, Eigenheiten und Fragen ist das Thema meiner Arbeit. Kolonialismus, Herrschaft, Globalisierung sind universelle Themen. Im Prinzip könnte ich überall auf der Welt drehen, aber in Afrika sind gewisse Dinge des Lebens transparenter, auch direkter, gegenwärtiger.

profil: Für „We Come as Friends“ haben Sie an die 300 Stunden Material akkumuliert. Wie haben Sie daraus Ihren Film gebaut, der das politische und moralische Chaos im Südsudan thematisiert? Eine etwas chaotische Form ist ihm nicht abzusprechen.
Sauper: Mein Film ist eigentlich sehr konzeptuell. Ich habe zwei Jahre am Schneidetisch verbracht, Versionen erstellt, Dinge ausprobiert und ausgelotet, welche Szene wofür steht. Oft ergänzen einander bestimmte Sequenzen nicht, sorgen eher für Verdoppelungen. Und manchmal muss man leider filmisch schwächere Szenen bevorzugen, weil sie beispielsweise ein Element in sich tragen, das entscheidend für das Verständnis der nächsten Szene ist. Natürlich kann man, wenn man dokumentarisch arbeitet, nicht wissen, was vor der Kamera passieren wird, während man dreht. Aber man kann, wenn man sich jahrelang im Sudan aufgehalten hat, vieles vorausahnen. Ich kann ahnen, wohin sich eine UN-Party, bei der man die Stabilität des Friedens im Südsudan feiert, entwickeln wird. Und ich kann erahnen, was ein mächtiger Warlord an Dummheiten von sich geben wird. Ich weiß, dass da jene Transparenz entstehen wird, die ich suche. Und es mag seltsam klingen, aber ich kann in manchen Dingen auch die Zukunft vorhersehen.

profil: Welche Dinge wären das denn?
Sauper: Ich wusste, dass die neue Grenzziehung im Sudan, mitten durch ein Ölfeld, zu einem Krieg führen wird. Dabei kamen medial anfangs nur Frohbotschaften: Endlich seien die Araber im Norden von den Christen im Süden getrennt. Das war unglaublich naiv – oder unglaublich gemein. Was sich in den Chefetagen des Weißen Hauses dazu abgespielt hat, kann ich nicht sagen. Die Politiker agieren unter einer Käseglocke, mit meinem Leben hat das nichts zu tun. Auch die Diplomaten in Afrika leben nur in ihren wohltemperierten Büros. Was wissen die wohl genau?

profil: Ihre Filme haben politische Ziele, wollen verändern, sind nicht „objektive“ Beobachtungen. Sie deklarieren sich sogar selbst als „parteiisch“. Aber welche politische Utopie bieten Sie an?
Sauper: Utopien sind zwar eigentlich nicht erreichbar, man kann aber ohne sie auch nicht leben. Das ist die Crux. Meine Utopie ist es, dass ich zu kreativerem Denken beitrage, zwei, drei Schichten tiefer blicken lasse. Ganz wird man den Dingen nie auf den Grund gehen, aber man kann ihnen näher kommen. Wir leben in einer Monokultur des Denkens, mit extrem beschränkter Weltsicht. Aktuell ist sich die Welt beispielsweise sicher, dass der „Islamische Staat“ die Teufelsmacht schlechthin sei. Aber nächsten Februar wird der Satan schon wieder anders heißen.

profil: Wo sind eigentlich die Schergen der Al-Kaida geblieben?
Sauper: Die sind vielleicht inzwischen zu den „Guten“ übergelaufen, wer weiß? Möglich, dass sie demnächst vom Westen bewaffnet werden.

profil: Einer der Investoren betont in Ihrem Film die Win-Win-Situation für alle Beteiligten, also auch für die lokale Bevölkerung im Südsudan. Sie beschreiben den Neokolonialismus eher als klassische Win-Lose-Situation: gut für die zugereisten Profiteure, schlecht für die Sudanesen.
Sauper: Ultimativ ist es eine Lose-Lose-Situation. Unser tiefenpsychologischer Drive, der zu Rassismus und Ablehnung der Naturvölker führt, trennt uns von der Vergangenheit, von unseren Ursprüngen – von der Naturverbundenheit ebenso wie von der sexuellen Freiheit und einem nachhaltigen Leben. Wir wissen sehr genau, dass wir uns das eigene Grab schaufeln, wenn wir die letzten Naturreserven und -völker ausbeuten. Wenn ich bei einem Familienfest eines meiner Kinder aufesse, habe ich zwar kurzfristig Fleisch, aber langfristig keine Familie mehr.

profil: Wie sehr darf man als Dokumentarist in die Abläufe eingreifen, die man filmt? Gibt es da für Sie Grenzen?
Sauper: Natürlich. Die sind sehr subtil. Es gibt aber kein Gesetz, das diese Grenzen festlegen würde. Man setzt sie sich selbst. Wenn man einen schlafenden Obdachlosen filmt und ihn als Leiche ausgibt, wäre das gelogen. Aber es gibt dichterische Freiheit. In „Kisangani Diary“ sieht man, wie ich mit dem Zug immer tiefer in den Urwald vordringe, wo sich die Geschichte entwickelt, die ich erzähle. Diese Szenen drehte ich aber erst während meiner Rückfahrt. Es ist derselbe Zug, es sind dieselben Leute, für mich ist das daher keine Lüge. Nach „Darwin’s Nightmare“ wurde mir fälschlicherweise unterstellt, dass die Straßenkinder in dem Film Schauspieler gewesen, die Waffenschieber erfunden und die Fischgräten nicht für die Menschen bestimmt gewesen seien. Das war aber alles real. Die Faktentreue ist das oberste Gebot.

profil: Haben Sie Ihr Leben bei Dreharbeiten je aufs Spiel gesetzt?
Sauper: Ich bin kein Adrenalin-Junkie, ich messe sorgfältig Risiken. Aber ich muss zugeben, dass ich beim Arbeiten oft ein Leben führen muss, das man „verrückt“ nennen könnte. Unsere „fliegende Blechdose“, mit der wir uns über dem Sudan bewegten, war weniger gefährlich, als es im Film wirkt. Die wirklich knappen Momente sind nicht im Film, auch nicht, dass ich ein paarmal durch Parasiten und Tropische Malaria fast umkam. Jedenfalls weiß ich eines, und das ist mein oberstes Mantra: Man muss, koste es, was es wolle, sein eigenes Leben führen, seinen Instinkten, Träumen und Begabungen nachgehen. Wer das nicht tut, sabotiert seine Seele und riskiert ultimativ alles: das Leben nämlich.

profil: Sie versuchen, in Ihrer Arbeit all das, was Sie verblüfft, was Sie wahrnehmen, möglichst ungefiltert mitzuteilen. Bedeutet das auch, dass Sie sich manchmal naiver geben müssen, als Sie durch Ihre jahrelangen Recherchen tatsächlich sind? Müssen Sie, als Stellvertreter Ihres Publikums, auf dessen Wissensstand agieren?
Sauper: Nicht wirklich. Erstens bin ich tatsächlich ein bisschen naiv, und ich versuche diesen kindlichen Blick, der mich so interessiert, sogar zu kultivieren. Zweitens kann jeder Moment, wenn man einen spielerischen Zugang hat, zu einem besonderen Moment werden. Ich pendle mich mit den Leuten, die in meinen Filmen auftauchen, auf eine Frequenz ein.

profil: Sie begegnen den Profiteuren und Kolonialisten eher staunend, nicht investigativ. Konfrontation suchen Sie nicht?
Sauper: Nein, denn sie ist nicht wirksam. Und sie interessiert mich auch nicht.

profil: Warum? Weil Ihre Gesprächspartner abblocken würden?
Sauper: Auch das. Und man würde viel weniger tief in die Seelen dieser Menschen blicken können, wenn man sie nur dabei zeigt, wie sie sich über Umwege aus der Affäre zu ziehen versuchten. Das ist eine andere Arbeitsweise. Ich stelle den Leuten oft auch harte Fragen, um herauszufinden, was sie antreibt. Aber ich mache daraus in der Regel keine Filmszenen. Das Aufdecken oder Entblößen böser Ausbeuter ist nicht meine Aufgabe. Mich interessiert eher die Psychologie, die ein Mensch benutzt, um sein Tun zu legitimieren. Während der Invasion Spaniens in Lateinamerika wurden auf brutalste Weise ganze Völker ausgerottet; die Mörder mussten sich davon überzeugen, dass ihr Tun richtig sei. Also holten sie sich Geistliche, die ihnen bestätigten, dass der Tod derer, die ohnehin keine Seele hätten und somit keine Menschen seien, gottgewollt sei. Sonst wäre der Massenmord an Frauen und Kindern wohl nicht möglich gewesen. Inzwischen hat sich die Amplitude des Verbrechens ausgeweitet. Unser Umgang mit den Ressourcen und den Menschen wird immer schlimmer. Deshalb muss auch unsere Selbstrechtfertigung immer raffinierter werden. Daher betonen die Vereinten Nationen ihre Nähe zu den Menschen so sehr, deshalb lädt man karitativ tätige Hollywoodstars ein. Das sind alles Mechanismen, die sich selbst erfüllen.

profil: Soll Ihr idealer Zuschauer die Situation im Südsudan am Ende Ihres Films begriffen haben? Oder wollen Sie vorerst nur Interesse wecken, das man bei Bedarf vertiefen kann?
Sauper: Letzteres. Es ist unmöglich, die „ganze Geschichte“ zu erzählen. Im Gegenteil: Es geht mir eher nur darum, alte Gewissheiten zu brechen.

profil: Wie reagieren Sie auf Zuschauer, die Ihre Filme für deprimierend halten?
Sauper: Das täte mir leid. Aber da kann ich nichts machen. Ich muss mit Intelligenz und Finesse meiner Zuschauer rechnen.

profil: Sie glauben, dass Ihre Arbeiten nicht pessimistisch wirken?
Sauper: Ich selbst bin keineswegs pessimistisch. Natürlich sind meine Filme auch die Reflexion eines gewissen Kulturpessimismus, der aber notwendig ist, um die Welt zu begreifen und zu verändern.

profil: Sie haben in der Frage, wie man sich zu den Weltkrisen zu verhalten habe, keine Antworten und Anweisungen parat.
Sauper: Natürlich nicht. Es gibt ja auch keine Standardantworten. Man muss alle Entscheidungen selbst treffen, jeder für sich. Soll man Truppen nach Syrien schicken? Schwierige Frage. Ich bin prinzipiell gegen militärische Interventionen, weil die meisten unterm Strich danebengehen, die jeweilige Situation nur verschlechtern.

profil: „Darwin’s Nightmare“ brachte Ihnen 2006 nicht nur eine Oscar-Nominierung ein, sondern auch heftige Kritik, sogar offene Drohungen von Regierungsvertretern in Tansania. Rechnen Sie nun wieder mit Aggressionen?
Sauper: Ehrlich gesagt: ja. Es ist wichtig, seine Feinde zu kennen, und nach „Darwin’s Nightmare“ habe ich begriffen, wer meine Feinde waren: die mächtigen Lobbys, die ihre hochbezahlten Männer fürs Grobe losgeschickt haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein neuer Film, sollte er sich als breitenwirksam erweisen, sehr bald Gegenkräfte auf den Plan rufen wird. Und das wird nicht lustig. Ich bin dafür aber, anders als noch vor acht Jahren, gerüstet. Die sollen nur kommen.

Zur Person
Hubert Sauper, 48, betreibt in seinen Dokumentarfilmen auch politischen Aktivismus. Der gebürtige Tiroler wuchs in Kärnten auf, studierte Regie erst in Wien, dann in Paris, wo er seit 1994 lebt. Mit dem Ruanda-Dokument „Kisangani Diary“ (1998) und vor allem mit dem – für den Oscar nominierten – globalisierungs- und kapitalismuskritischen Drama „Darwin’s Nightmare“ (2004) sorgte Sauper für weltweites Aufsehen.

Infobox

Alien in Afrika
Das schlechte Schauspiel des Kolonialismus: Sauper reist in „We Come as Friends“ durch den Südsudan.

Als Hubert Sauper im Sudan zu drehen begann, konnte er noch nicht wissen, dass der christliche Süden des Landes sich im Sommer 2011 vom muslimischen Norden abspalten, zu einer eigenen Republik mutieren würde. Zehn Jahre nach seinem Welterfolg „Darwin‘s Nightmare“, für den er sogar für einen Oscar nominiert wurde, legt Sauper nun einen neuen Film vor: In „We Come as Friends“ steigt der Regisseur tatsächlich wie ein Alien vom Himmel – im selbstkonstruierten Mini-Flugzeug reist er von Schauplatz zu Schauplatz, um das oft bizarre Treiben chinesischer Arbeiter, westlicher Großinvestoren und amerikanischer Missionare zu beobachten, um die fortgesetzte Ausbeutung der Ressourcen des Landes und die Chancenlosigkeit der lokalen Bevölkerung zu dokumentieren.

Sauper bestätigt seine Neigung zu ambivalenten, seltsam träumerischen, bisweilen fast surrealen Bildern, nähert sich jedoch seinen Protagonisten mit erheblicher Naivität – und versucht dabei, immer wieder auch Science-fiction-Anklänge in seine Doku zu mischen. Dabei bleibt „We Come as Friends“ episodisch, rundet sich nicht zum Statement: Etwas konfus erscheint die Erzählung dieses Films durchaus, zu nah am argumentativen Kurzschluss. Aber es könnte sein, dass gerade die Konfusion das einzig korrekte Mittel ist, um die weiterhin instabile politische Situation im Südsudan auf den Punkt zu bringen.

Foto: Matthias Heschl für profil