Nachruf

In memoriam Jane Birkin, 1946–2023

Die britisch-französische Schauspielerin, Sängerin und Sixties-Ikone Jane Birkin starb am Sonntag 76-jährig in ihrem Pariser Haus.

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Wenn es darum ginge, ein Gesicht zu finden, das sowohl die Swinging Sixties in London als auch die Pariser Gegenkultur der frühen 1970er-Jahre versinnbildlichen könnte, müsste es jenes von Jane Mallory Birkin in die Endauswahl schaffen. Mit 19 trat sie, bereits verheiratet mit dem James-Bond-Komponisten John Barry, als Nebendarstellerin in Michelangelo Antonionis Film „Blow Up“ auf, wenig später lernte sie den Poeten und Musiker Serge Gainsbourg kennen – und ließ sich auf eine Liebesbeziehung ein, die ein gutes Jahrzehnt halten und Popgeschichte schreiben sollte. Gainsbourg und Birkin drehten gemeinsam Filme („Slogan“, 1969), sangen umstrittene Lieder („Je t’aime ... moi non plus“, 1969), engagierten, küssten und schlugen sich; Gainsbourgs Alkoholismus führte schließlich zur Trennung.

Ex-Fan der 1960er-Jahre

In den 1980er-Jahren lebte Birkin mit dem Filmemacher Jacques Doillon zusammen ­– und stieg mit Kinoauftritten in Arbeiten von Jacques Rivette („L’amour par terre“, 1984) und Agnès Varda („Kung-Fu Master“, 1987) zur geachteten Filmschauspielerin auf. Auch als Sängerin konnte sich Jane Birkin langfristig etablieren: Seit 1973 veröffentlichte sie regelmäßig Soloalben; die frühen trugen sarkastische Titel wie „Lolita Go Home“ oder „Ex Fan des Sixties“, das letzte erschien im Dezember 2020. Zwei ihrer drei Töchter – Charlotte Gainsbourg und Lou Doillon – sind längst selbst veritable Filmgrößen, den Todessturz ihrer ältesten Tochter Kate musste Birkin 2013 noch hinnehmen. Ihren einzige Kino-Regiearbeit stellte die gebürtige Londonerin 2008 her: „Boxes“ geriet zu einer charakteristisch intimen Bearbeitung der eigenen Kindheit.   

„Alle hatten mich vor Serge gewarnt“

In einem profil-Interview, das im Herbst 2009 im Rahmen der Viennale im Wiener Hotel Hilton stattfand, berichtete sie auch über ihr wildes Leben an der Seite Serge Gainsbourgs. Als Glamour-Paar waren sie von der Öffentlichkeit regelrecht verfolgt worden, was sie jedoch in schöner Erinnerung behalten hatte. „Es machte Spaß. Und Serge liebte es, mit den Medien zu spielen, im Mittelpunkt zu stehen. Wenn er morgens aufstand – was heißt morgens, wir kamen kaum je vor 14 Uhr aus dem Bett –, führte ihn sein erster Gang zur Trafik, um dort die Tageszeitungen auf Meldungen abzusuchen, die von uns berichteten. Er bewahrte alle Magazine auf, deren Cover er oder ich je geziert hatten. Das war seine fixe Idee: Man musste vorkommen. Und geliebt werden. Egal wie.“

Sie beide hätten anfangs einfach überhaupt nichts ernst genommen. „Als ,Je t’aime ... moi non plus’ vom Papst persönlich verboten wurde, kicherten wir nur. Als der Song dann die Spitze der Charts erreichte, lachten wir noch mehr. Alle hatten mich vor Serge gewarnt, er sei gefährlich, amoralisch und verrückt. Aber ich lernte ihn als sehr weich kennen, als extrem liebenswert. Ich machte begeistert überall mit, auch bei Nackt-Fotosessions: Ich ließ mich beispielsweise für ein heute legendäres Foto von Serge unbekleidet an Heizrohre fesseln. Ich fand’s wunderbar – im Gegensatz zu meiner Mutter, die ganz gut ohne dieses Heizungsbild ausgekommen wäre.“
Ihre eigene Filmkarriere betrachtete sie mit Skepsis: „Seien wir ehrlich: Ich habe nicht sehr viele interessante Filme gemacht. Die paar wunderbaren Werke, die ich mit Jacques Doillon gedreht habe, liegen lange zurück, genau wie die beiden ersten Arbeiten mit Rivette. Was sollte da noch kommen? In meinem Alter?“ Mit Anfang 60 hielt sich Jane Birkin tatsächlich bereits für zu alt fürs Kino. „Ich sagte mir: Überlass das den Jungen und Schönen. Ich wollte lieber inszenieren, ein paar Dinge schreiben, auch mit dem Singen weitermachen, was mir schöne Reisen in ferne Länder verschafft. Mit all dem werde ich genauso glücklich, das wusste ich.“

Die Geister der Erinnerung

Sie hege, sagte sie noch, eine „beinah perverse Sehnsucht nach der Kindheit“. Viele der Songs ihres 2008 veröffentlichten Albums „Enfants d’hiver“ („Winterkinder“) handeln von den unbeschwerten Urlauben, die sie und ihre Geschwister Andrew und Linda einst auf der Isle of Wight verlebten – „wie wir damals am Strand umhertobten, wie uns Haare auf den Beinen wuchsen, wie unsere Lippen violett waren und welche Versprechen wir uns damals gaben, von denen wir wussten, dass wir sie niemals brechen würden. Und unsere Eltern beobachteten uns aus der Entfernung wie sublime Geister. Diese Insel meiner Erinnerung, auf die ich so gerne zurückkehren würde, ist so unerreichbar wie die Toten. So ist die Kindheit. Ich habe diese starke Sehnsucht nach dem Vergangenen, fühle mich außerstande, den jeweils gegenwärtigen Augenblick zu schätzen. Ich realisiere leider immer zu spät, wie glücklich ich am Tag davor tatsächlich war.“ 

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.