Intendantin Gallistl: "Für junge Frauen ist Theater ein schwieriges Umfeld"

Mit der Volksbühne Wien will Intendantin Clara Gallistl die Arbeitsweise an den Theatern hinterfragen. Wie sie die Theaterlandschaft umkrempeln will und was sie als Intendantin der Burg sofort verändern würde, verrät sie im Interview mit profil.

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profil: Die von Ihnen geleitete Volksbühne Wien befindet sich in ihrer ersten Saison. Was waren Ihre Beweggründe, ein offenes Theaternetzwerk zu gründen? Clara Gallistl: Wir haben ursprünglich einen Verein gegründet, um die Theaterlandschaft in Wien einem größeren Publikum zu öffnen und um die Arbeitsweise am Theater zu kritisieren und diskutieren.

profil: Was stört Sie an der Arbeitsweise? Gallistl: Durch viele Gespräche hab ich herausgefunden, dass die Arbeitsweise am Theater nicht so feministisch-demokratisch-ruhig ist, wie man sich das vorstellt. Viel passiert im Stress und Sachen Konflikte werden oft nicht ausdiskutiert, das stelle ich mir anders vor. Das andere ist, dass viele Leute, die prinzipiell interessiert wären, keinen Zugang zum Theater haben, weil sie das Gefühl haben, das ist etwas für "die Leute da oben" oder es ist halt nichts für mich. Ich habe einfach das Gefühl, das ist im Wesentlichen ein Kommunikationsproblem. Deswegen gründen wir gerade auch eine Agentur zur Publikumsentwicklung, in deren Rahmen wir untersuchen, wo die Menschen sind, die sich potenziell für das Theater interessieren, aber sich nicht abgeholt fühlen. Mit denen gehen wir dann gemeinsam ins Theater und schauen, was kommt wie an? Wo sind tatsächliche Verständnisgrenzen, wo sind einfach nur Kommunikationsbarrieren? Ich glaube nicht, dass man seichte Komik machen muss, um die Massen zu erreichen, sondern dass man Theater einfach anders "spinnen" muss. Und dass das vielfach über eine einfachere Sprache funktioniert.

Gerade für junge Frauen ist das Theater ein schwieriges Umfeld, weil immer so eine latente Sexualisierung in der Luft liegt

profil: Hatten Sie als junge Dramatikerin schon negative Erfahrungen am Theater? Gallistl: Ich bin eine weiße österreichische Frau mit einem AkademikerInnen-Hintergrund, ich werde nicht so oft ausgegrenzt. Aber zum Beispiel wie man zu Beginn oder jetzt auch immer noch mit Geflüchteten am Theater umgeht, halte ich für problematisch. Es gibt auch immer noch sehr viele klassische Inszenierungen, wo junge, schlanke Frauen leicht bekleidet mehr oder weniger als Gegenstände auf der Bühne herumstehen und sich die Geschichte eigentlich um zwei Männer dreht, die auf der Bühne reden. Manchmal werden sogar von Frauen, die Regie führen, solche Stereotypen reproduziert. Gerade für junge Frauen ist das Theater ein schwieriges Umfeld, weil immer so eine latente Sexualisierung auch der ArbeitnehmerInnen untereinander in der Luft liegt und es da schwierig ist, eine eigene berufliche Position zu behaupten.

profil: Sie haben von der Arbeit mit Geflüchteten gesprochen. Im Projekt "Enabling Voices" haben Sie gemeinsam mit jungen geflüchteten Frauen einen Hip-Hop-Song aufgenommen. Wie sehr war hier Ausgrenzung ein Thema? Gallistl: Wir haben gar nicht so auf Ausgrenzung fokussiert, weil ich auch in meinen Projekten, niemandem zuschreiben will, dass er sich ausgegrenzt fühlen muss. Wir haben eher auf das Positive fokussiert. Yasmo, die Workshopleiterin, und ich haben dann gemeinsam mit den Mädels das Thema gefunden: Ich bin ein kleines Mädchen in einer großen Welt. Ich bin in einer neuen Stadt, wo die Dinge jetzt anders sind. Am Schluss haben mir die Mädchen alle erzählt, dass sie zu Anfang des Projekts das Gefühl hatten, sie müssten alles alleine schaffen. In der Gruppe zu arbeiten wäre nichts für sie. Durch das Projekt haben sie gelernt, dass es doch schön ist, zusammenzuarbeiten und dass man Freundinnen haben kann, denen man vertraut. Ich habe das Gefühl, das Projekt war für alle ein kleiner, aber wichtiger emanzipatorischer Schritt.

profil: Welche Rolle spielt Feminismus in Ihrer Arbeit und in Ihren Projekten? Gallistl: Ich glaube, ich bin einfach grundsätzlich ein feministischer Mensch und die besten meiner Freunde und Freundinnen sind FeministInnen und das informiert natürlich das tägliche Handeln. Für mich ist Feminismus einfach ein wichtiges Thema und es heißt, dass man darauf achtet, dass die Gesellschaft divers ist, dass es Hierarchien und Hegemonien gibt und dass wir in unserer Kultur in einem hegemonialen System leben, das heterosexuelle, weiße Männlichkeit gegenüber anderen Lebensformen bevorzugt. Darum ist mir auch in meiner Theaterarbeit, die ich in der Volksbühne Wien mache, wichtig, dass wir diverse Teams zusammenstellen. Daraus alleine ergibt sich dann schon eine Diskussion. Zum Beispiel wenn wir ein Stück von Schiller bearbeiten, dann wird das anders thematisiert und inszeniert, als wenn da nur Leute, die einer hegemonial bevorzugten Schicht angehören, gemeinsam arbeiten.

profil: Diverse Teams bringen also von vornherein einen anderen Zugang? Gallistl: Genau. Also in der Volksbühne Wien ist der Grundgedanke, dass die Teams so divers wie möglich sein sollen. Nicht nur im Sinne ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Wurzeln, ihrer persönlichen Interessensgebiete und Fähigkeiten, sondern das heißt auch, dass Laien und Profis gemeinsam arbeiten. Ich habe das Gefühl, dass das den Theaterprozess sehr erleichtert, weil mehr in den Vordergrund rückt, dass man voneinander lernt und gemeinsam ein Thema bearbeitet. Wir arbeiten zu Thomas Glavinic und ich suche dann Leute, die sich damit beschäftigen wollen. Ich suche dann auch nicht nur in meiner Facebook-Blase oder in den drei Facebook-Gruppen, wo sich SchauspielerInnen irgendwie austauschen, sondern schreibe gezielt Leute an, die ich kenne, die sich in bestimmten sozialen Gruppen in Wien engagieren, und frage dann dort nach. Und auch immer mit dem ausdrücklichen Aufruf, dass sich Laien melden können.

SchauspielerInnen, sind keine Gefäße, in die RegisseurInnen ihre Ideen einfließen lassen und die setzen das dann auf der Bühne um

profil: Wie verändert sich ein Stück, wenn es von einem diversen Team inszeniert wird? Gallistl: TheaterarbeiterInnen, also SchauspielerInnen, sind keine Gefäße, in die RegisseurInnen ihre Ideen einfließen lassen und die setzen das dann auf der Bühne um. Ich glaube, dass man im künstlerischen Bereich mit Menschen zusammenarbeitet, die viel nachdenken und die viel über ihre eigenen Erfahrungen reflektieren. Wenn Leute, die aus verschiedenen Erfahrungsbereichen kommen, gemeinsam an einem Stück arbeiten, dann hat man eine Multiperspektive, wenn man sie zulässt. Ich glaube, dass sie im Theater aber oft nicht zugelassen wird, weil der Prozess ein eher statischer, hierarchischer ist, der dann auch schnell funktionieren muss. Bei den großen Bühnen steckt dann auch viel Geld dahinter, da kann man nicht experimentieren. Das können wir in der Volksbühne Wien natürlich schon, denn wir müssen kein Geld einspielen. Wenn die Produktion nichts wird, dann wird sie nichts.

profil: Wo haben diese statischen Strukturen ihren Ursprung? Wie könnte man sie verändern? Gallistl: Ich glaube, Veränderung kommt durch einzelne Personen. Jedes Mal, wenn eine Frau einen Platz für sich beansprucht, der ihr von der Gruppe, in der sie sich befindet, nicht gegeben wäre, dann ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Ich glaube, dass patriarchale Strukturen in jedem Bereich der Gesellschaft drin sind, das ist im Theater nichts anderes.

Beim Theater geht es immer darum, dass es in der Gesellschaft, in der es stattfindet, wirkt.

profil: Am Theater spielt man oft Stoffe, die aus einer Zeit kommen, in der das Geschlechterverhältnis noch viel ungleicher war und das macht es wahrscheinlich auch noch einmal schwieriger. Gallistl: Ich glaube, dass das oft als Ausrede verwendet wird, um sich nicht mit Themen wie Antisexismus und Antirassismus oder Klassismus zu beschäftigen. Doch beim Theater geht es immer darum, dass es in der Gesellschaft, in der es stattfindet, wirkt. Und wenn das jetzt 2017 in Wien gespielt wird, dann kann ich mir überlegen, wer sieht das? Wen möchte man vielleicht noch im Theater haben? Wie kann man die Gesellschaft mehr durchmischen, wie kann man diese kulturelle Hegemonie aufbrechen, dass nur weiße "Mehrheitsgesellschafts-ÖsterreicherInnen" ins Theater gehen? Es gibt auch fast keine nicht-weißen SchauspielerInnen auf den Wiener Theaterbühnen.

profil: Woran liegt das? Gallistl: Eine These ist, dass die Schauspielschulen zu wenig nicht-weißen Nachwuchs, ich sag jetzt mal "produzieren". Aber das ist die alte Frage. Warum gibt es so wenig nicht-weiße Personen in Managementpositionen? Warum gibt es so wenige Frauen in Managementpositionen? Da kann man sagen, es gibt halt einfach zu wenig Frauen, die das interessiert, oder es gibt Strukturen, die Frauen aktiv davon abhalten. Ich kann mir vorstellen, dass das in den Theaterschulen nichts anderes ist.

profil: Was müsste passieren, dass einmal eine Frau den "Jedermann" spielt? Gallistl: Man müsste nur eine Frau besetzen und man könnte das sofort ausprobieren. Ich sehe da keinen Grund, warum das noch nicht ausprobiert worden ist. Ich glaube allgemein, dass man mit Besetzungen viel liberaler umgehen sollte. Es wird auch immer wieder diskutiert: Kann man eine nicht-weiße Schauspielerin für eine Rolle besetzen? Was bedeutet ihre Hautfarbe dann? Am Theater an der Gumpendorferstraße spielt eine schwarze Schauspielerin in "Käthchen von Heilbronn". Ihre Hautfarbe wird nicht thematisiert. Es ist wurscht. Und genau so soll es sein. Denn als ZuschauerIn sehe ich sowieso eine fiktive Figur auf der Bühne, und wenn ich mich zu sehr auf die Hautfarbe konzentriere in meiner Rezeption, dann hat die Inszenierung ohnehin etwas falsch gemacht.

Ich glaube, man könnte sich mehr an öffentlichen Diskussionen beteiligen

profil: Ihr Berufsziel ist die Intendanz des Burgtheaters. Was wären Ihre Ideen, wie man dort die Diversität erhöhen könnte? Gallistl: In jedem größeren Haus würde ich zuerst darauf schauen, dass sich die Trennung zwischen künstlerischem und anderem Personal mehr auflöst und dass man für mehr Mitsprache der MitarbeiterInnen sorgt. Dann würde mich eine ehrliche Publikumsveränderung interessieren, die nicht nur sagt: Wir sind eine offene Burg - überspitzt formuliert - ihr könnt auf unserer Bühne jonglieren, wenn ihr wollt. Sondern die wirklich rausgeht zu den Leuten, die sich prinzipiell für Theater interessieren, aber sich nicht dem Burgtheater zugehörig fühlen, und schaut, wie kann man mit denen reden? Ich glaube, da geht es ganz viel darum, dass man von dieser Kunstsprache, die im Theater sehr wichtig ist, um eine Position zu behaupten, absieht und dass man in Alltagssprache mit den Leuten redet. Ich würde mich auch mehr trauen, was den Spielplan betrifft. Ich glaube, man könnte sich da mehr an öffentlichen Diskussionen beteiligen und mehr an die Öffentlichkeit gehen, im Sinne von politischer Diskussion. Es gibt die Carte-Blanche-Reihe, aber die kostet 15 Euro Eintritt. Man könnte so etwas öffnen, live übertragen. Man könnte Social Media offener und breitenwirksamer nutzen. Man könnte diese soziale Burgmauer "niederreißen" und für einen flüssigeren Durchgang sorgen. Ich glaube, all das wäre möglich, ohne diesen auratischen Kern, der das Burgtheater ausmacht, zu zerstören.

profil: Wie sehr verlieren Theater ihr Potenzial, etwas in der Gesellschaft zu verändern, wenn sie sich nur einem gewissen Publikum öffnen? Gallistl: Das Burgtheater hatte ein Publikumswachstum von acht Prozent letztes Jahr, also die haben nicht wirklich einen Grund, etwas zu verändern. Außerdem gibt es, denke ich, auch eine große Angst etwas zu verändern, weil die Kultur ohnehin keine starke Position hat und immer mehr Kürzungen gefordert werden. Ich bin mir auch nicht sicher, wie viel man wirklich verändern könnte in der Gesellschaft. Nur weil etwas auf der Bühne thematisiert wird, heißt es nicht, dass es in den Mehrheitsdiskurs übergeht, oder es sogar eine Gesetzesänderung bewirkt. Aber man könnte natürlich sein Schäuferl dazu beitragen.

Clara Gallistl, 28, ist Dramatikerin und Intendantin der Volksbühne Wien. Nominiert für den Newcomer Award 2017 ist die Volksbühne Wien mit dem Stückentwurf "Gold Schlamm Entertainment" – einer feministischen Neuinterpretation von Shakespeares "Sturm" – der momentan im Theater Drachengasse aufgeführt wird.