Gestern Blumfeld, heute Britney Spears. Jochen Distelmeyer covert seine Lieblingslieder

Jochen Distelmeyer: „Früher oder später ist alles wie Lindenstraße“

Jochen Distelmeyer: „Früher oder später ist alles wie Lindenstraße“

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profil: Mit einem Teil Ihrer nun vorliegenden Coverversionen-Sammlung haben Sie letztes Jahr bereits die Lesungen zu Ihrem RomanOtis“ bestritten. Wie kam es dazu? Jochen Distelmeyer: Mein Zugang zum Roman war ein sängerischer. Ich habe die ersten 100 bis 120 Seiten sprechend verfasst und erst nachträglich verschriftlicht. Die Odyssee, auf der „Otis“ ja aufbaut, habe ich so wahrgenommen; ich sah Bezüge zu Blues-Musikern wie John Lee Hooker, einem Analphabeten, der an die 1000 Songs geschrieben hat. Auf den Lesungen wollte ich dann auch andere Musiker zu Wort kommen lassen, Autoren, die mir beim Schreiben des Buches wichtig waren; Musik, die ich in jener Zeit gehört habe oder die etwas mit dem Buch zu tun hat.

profil: „Toxic“ von Britney Spears trifft auf Ihrem Album unter anderem auf „I Read a Lot“ von Nick Lowe und „Pyramide Song“ von Radiohead. Was hat Sie denn an Spears so fasziniert? Distelmeyer: Ich konnte den Song einfach nicht schlecht finden. Beim Romanschreiben fiel mir auf, dass der Song wie der Gesang einer Sirene auf mich wirkt, wie die Anrufung einer toxischen, gefährlichen Frau. In meiner Version antworte ich darauf wie der an den Mast des Schiffes gebundene Odysseus. Das ist ein großartiger Song, sehr tanzbar, es macht Spaß ihn zu hören. Ich freu mich für Britney Spears, dass ihr und den Autoren dies so gelungen ist.

profil: Das Stück befindet sich auf Spears’ erstem echtem Flop-Album. Distelmeyer: Richtig. Ich hatte ja keinen Bezug zu Spears, war kein Fan. Als sie sich die Haare abgeschnitten hat, die Probleme mit dem Sorgerecht hatte, die Entmündigung, hat sie plötzlich ein Album veröffentlicht, auf dem ein paar richtig gute Stücke waren.

profil: Ist das schöne Scheitern in der Kunst ein wichtiger Moment? Distelmeyer: Nein, kann ich nicht sagen. Ich freu mich, wenn die Sachen gelingen. Ich habe nicht das Gefühl, mit meinen eigenen Sachen gescheitert zu sein. Ich veröffentliche Stücke ja auch, weil ich weiß, wie viel sie mir bedeuten. Mir ist viel wichtiger, dass ich in meiner Kunst erkannt werde. Das reicht mir eigentlich. Man muss nicht am Boden sein, um Songs darüber schreiben zu können. Es genügt, sich daran zu erinnern.

profil: Dennoch erzählen die Songs auf „From the Bottom Vol. 1“ von einem Zyklus, vom Abstieg und Wiederaufstieg. Distelmeyer: Das Album war nicht so angelegt. Ich wollte einfach Lieblingslieder von mir zusammenfassen. Dass das Album auch eine Geschichte erzählt, ist mir erst im Nachhinein aufgefallen. Aber ist schön, dieser Wiederaufstieg, nachdem im „Pyramid Song“ jemand in ozeanische Tiefen gedrowned ist, und plötzlich taucht er auf, und die Vögel zwitschern.

profil: In „Let’s Stay Together“ lassen Sie dann wirklich Vögel zwitschern und arbeiten mit field recordings. Distelmeyer: Auch das war nicht beabsichtigt. Ich habe Zufälligkeiten zugelassen, daraus ergibt sich die Kohärenz der Geschichte. Es war auch Zufall, dass es Popmusik aus vier oder fünf Jahrzehnten auf der Platte zu hören gibt. Das ist so passiert, und ich finde es schön.

Musik lügt nicht. Der Impuls, der da aus einem kommt, ist sehr intuitiv und hat etwas Unschuldiges.

profil: Sie spielen die Songs ohne Ironie. Erwischen Sie Ihr Publikum da auch absichtlich auf dem falschen Fuß? Distelmeyer: Nein, ich denke, dass mein Publikum sehr aufmerksam ist und genau weiß, wann ich etwas witzig meine oder mich wie im Blumfeld-Song „Der Apfelmann“ auch dazu bekenne. Man kann Songs einfach unironisch würdigen, wertschätzen und ernst nehmen. Ich mache Musik nicht mit einem Augenzwinkern.

profil: Sie haben letztes Jahr als Schriftsteller debütiert. Was kann die Musik, das Worte alleine nicht können? Distelmeyer: Mein Buch ist aus einer musikalischen Haltung zur Sprache, zur Welt entstanden. Man kann „Otis“ auch als einen sehr langen Gesang sehen. Musik lügt nicht. Der Impuls, der da aus einem kommt, ist sehr intuitiv und hat etwas Unschuldiges. Ein Song bleibt näher an der Wahrhaftigkeit des Ausdrucks. Das Problem mancher Romane oder TV-Serien ist, dass sie eben nicht auf den Anfangsimpuls hören, weil sie entweder 300 bis 500 Seiten zu füllen haben oder weil es sechs Staffeln geben muss.

profil: Man verliert die grundlegende Idee zu schnell aus den Augen? Distelmeyer: Es wird verkompliziert, muss spannend gehalten werden, und meistens ist es irgendwann einfach boring. Früher oder später ist alles wie „Lindenstraße“. Und alle erzählen einem, wie toll es nicht sei, weil die Geschichte so komplex ist. Dazu muss ich nicht fernsehen, da kann ich einfach rausgehen und leben. Da finde ich eine geilere Art von Komplexität. Dass ein Autor einen Initialimpuls bis zum Ende durchziehen kann, ist sehr selten.

profil: Reduzieren Sie die Interpretationen daher bewusst auf Gitarre, Klavier und Stimme? Wollten Sie sich von jeglichen Einflüssen befreien? Distelmeyer: Nein, es geht darum darzustellen, wie Einflüsse einen gestalten, formen, damit eine Stimme dann so klingt. Dass ich Songs so singen kann, wie sie jetzt auf der Platte zu hören sind, wäre ohne Leute wie Joni Mitchell nicht gegangen. Man kann sich von Einflüssen nicht freimachen. Anders gesagt: Es braucht nicht viel, um ein Gefühl zu transportieren. Mich interessiert Klarheit, Einfachheit und Prägnanz – am Songwriting generell, egal ob orchestral oder als krachige Punk-Nummer arrangiert.

In den letzten Jahren boomt dieser Effizienz-Gedanke wieder. Um nur ja nichts falsch zu machen, werden möglichst viele Leute daran beteiligt.

profil: Es scheint Ihnen hörbar Freude zu machen, sich die richtige Tonalität der Fremdsprache anzueignen. War das ein Erweckungserlebnis? Distelmeyer: Ich fand es witzig, einmal auf Englisch zu singen. Gerade jetzt, wo es so eine große Vielfalt unterschiedlicher deutschsprachiger Musik gibt. Von einem Erweckungserlebnis kann ich da aber nicht sprechen.

profil: Einige der Songs, die Sie covern, sind im Original am Reißbrett entstanden, mussten erst ein paar Gremien durchlaufen, ehe sie veröffentlicht wurden. Können diese Songs dennoch from the bottom, tief aus dem Herzen kommen? Distelmeyer: Gremium finde ich gut. Ich spreche normalerweise von der Controller-Mentalität. Das hat es im Songwriting früher auch schon gegeben, in Nashville und anderen Hit-Fabriken wie Motown. In den letzten Jahren boomt dieser Effizienz-Gedanke wieder. Um nur ja nichts falsch zu machen, werden möglichst viele Leute daran beteiligt. Interessant wird es dann, wenn ein Song dennoch funktioniert und sich selbst frei spielt. Ich komme dann wie ein letzter Autor ins Spiel.

profil: Gibt es Songs, an denen Sie gescheitert sind? Distelmeyer: Das ist für mich kein Wettbewerb. Ich versuche nicht mit anderen Versionen zu konkurrieren. Ich sitze ja nicht vor „Just Like This Train“ und suche nach den Akkorden. Ich habe die Stücke über viele Jahre gehört, ich kenn mich bei Joni Mitchell aus, ich bin Fan. Und irgendwann geht das von alleine. Dieses Vertrauen habe ich in alle Stücke, die mir gefallen.

profil: Zuerst der Roman, jetzt das Cover-Album. Brennt es Ihnen als Songschreiber nicht unter den Fingern, wenn sie längere Zeit keine eigenen Lieder schreiben? Distelmeyer: Total. Natürlich geht mir das Songschreiben ab, auch die Auftritte fehlen mir. Das war einer der Gründe, warum wir mit Blumfeld 2014 die „20 Jahre ,L’Etat Et Moi’“-Tour gemacht haben. Das Lautsein und das Interagieren mit anderen auf der Bühne haben mir echt gefehlt.

Jochen Distelmeyer, 48

16 Jahre lange zeichnete sich Distelmeyer als Kopf der Hamburger Band Blumfeld für Texte und Musik der Band verantwortlich. Mit Alben wie "Ich-Maschine" (1992), "L'état Et Moi" (1994) und "Testament der Angst" (2001) bestimmte er den Zustand deutscher Popmusik entscheidend mit. 2007 löste sich die Band auf, 2009 erschien sein erstes Soloalbum („Heavy”). 2015 debütierte Distelmeyer mit seinem RomanOtis” als Schriftsteller.

Interview: Philip Dulle

Jochen Distelmeyer auf Tour in Österreich: 19.5.2016 St. Pölten, Cinema Paradiso 20.5.2016 Ebensee, Kino 21.5.2016 Wörgl, Astnersaal 22.5.2016 Feldkirch, Theater am Saumarkt 24.5.2016 Wien, Szene 25.5.2016 Salzburg, Rockhouse

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.