Kultur

Kanzlergedichte von Gerhard Ruiss: Hollodaro!

Der Wiener Autor und Musiker klopft Österreichs Regierungschefs seit 25 Jahren mittels Lyrik und Liedern auf die Finger. Jetzt erscheinen die letzten "Kanzlergedichte".

Drucken

Schriftgröße

Begonnen hat alles mit Wolfgang Schüssel, dessen Antworten oft einsilbig waren. Gerhard Ruiss' erste "Kanzlergedichte" verdanken ihre Entstehung einem Regierungschef, der als "Schweigekanzler" Furore machte-und davor, im Jahr 1997, als Außenminister und Vizekanzler den damaligen deutschen Bundesbankpräsidenten bei einem Pressefrühstück als "richtige Sau" beschimpft haben soll, was Schüssel dementierte. Die Kanzler wechselten über die Jahre, der Wiener Schriftsteller, Musiker und Geschäftsführer der IG Autorinnen und Autoren blieb mittels Lyrik und Liedern in Lauerstellung.

In knapp 25 Jahren sind auf diese Weise einige Hundert Kanzlergedichte entstanden, publiziert in drei Büchern, deren Abschlussband soeben erschienen ist, punktgenau zur "Rede zur Zukunft der Nation" des amtierenden Kanzlers Karl Nehammer. Die "Kanzlergedichte" (2006) markieren den Beginn und das Ende der Ära Schüssel. In den "Kanzlernachfolgegedichten" (2017) heißen die handelnden Personen Alfred Gusenbauer, Werner Faymann, Christian Kern und Sebastian Kurz.

"Kanzlerreste. Das Kanzlerneueste" bilanziert nun die Kurz-Regierungen. Der Bogen schließt sich vom Schweigekanzler bis zum jüngsten Altkanzler Österreichs. Karl Nehammer bleibt eine mit dürren Zeilen, in Kleinschreibung und in freiem Versmaß bedachte Randfigur: "jetzt aber/jetzt schon?/jetzt dran/jetzt erst bemerkt/jetzt erst entdeckt/jetzt erst versteckt/ab jetzt/ab dann/neuanfang."

"Mit den Gedichten hole ich die Politik auf ein anderes Terrain", erklärt ein gut gelaunter Gerhard Ruiss, 71, in seinem Kellerbüro im Wiener Literaturhaus: "Ich eröffne eine Form des Dialogs, dem die Politiker folgen müssen. Zurückdichten können sie nicht."

Vor Jahren hat sich Ruiss bereits mit Schere und Klebstoff darangemacht, Überschriften und Halbsätze aus Zeitschriften und Zeitungen auszuschneiden, in denen das Wort "Chef" vorkam. Die Collage "Chefbuch" war eine irrwitzige Materialfundgrube zum Denkdesign der heimischen Gesellschaft, die Austro-Welt als So-willich's und Verstellung. Kein Wunder also, dass sich Ruiss mit Verve den jeweiligen Regierungsoberhäuptern widmet. Den nationalen Grundkonsens der im Zweifel sakrosankten Chefs (das "Chefbuch" erschien 2001) und Kanzler (Brigitte Bierlein, Österreichs erste Regierungschefin, war 218 Tage lang Kanzlerin einer Regierung aus Expertinnen und Experten) muss einer wie Ruiss selbstverständlich ankratzen.

Das Politgedicht, wie Ruiss es versteht: analytisch, auf den Punkt gebracht, ein Geschichte(n)speicher. "Ich bin kein Wutredner, veranstalte kein Kabarett und erstelle auch keine Chronik der laufenden Ereignisse", sagt Ruiss: "Die Gedichte sind eine Art Zeitkapsel. Sie sollen das von der Politik unleserlich Gemachte und das bis zur Unkenntlichkeit Zerredete für später sichern." Etwa im Poem "koalitionsstreit", angewandt auf die gewesenen SPÖ/ÖVP-und ÖVP/FPÖ-Bündnisse: "die regierung ist sich uneinig/geschehen soll nichts/es ist nur nicht klar/wie." Oder in "selfmadekanzler", adressiert an Schüssel wie Kurz: "vertuschen verstecken/davon hat der kanzler nichts gewusst/davon hat der kanzler nichts geahnt/denn hätte er es gewusst/und hätte er es geahnt/er hätte es nie zugelassen/er hätte nie zugestimmt/von anfang an/jetzt weißt du's." Zeitungsschlagzeilen werden bekanntlich von der Zeit hinweggespült. Im Ruiss-Song "Na, bitte, geht doch" hallen die leeren Politik-Versprechen lange nach:

"Ein jeder von uns/wird ein Millionär,/wenn er 300 Jahr arbeit,/ein bisserl weniger oder mehr./Hollodari!/Na, na, na, na!/Hollodaro!"

Nüchtern hält der Lyriker die "tagesordnung" in einem Alfred Gusenbauer gewidmeten Gedicht fest:

"14 uhr 30 sudern/14 uhr 45 weitersudern/15 uhr 45 immer weiter sudern/16 uhr 45 bis 17 uhr 15 anstrudeln/18 uhr 15 sauerei sagen sauerei/sauerei/19 uhr 30 voll anstrudeln/fortsetzung/plenum/plenum/plenum/schlusserklärung/zwei pausen/keine einigung."

Wer wie Ruiss über die Prinzipien der Politik nachdenkt, stößt unwillkürlich auf die Frage, was die Austro-Welt zusammenhält. Wie im "stammwörterbuch der landestemperamente":

"olé (spanien)/ohe (deutschland)/oje (österreich)/olala (frankreich)/o yeah (usa)."

Gerhard Ruiss: Kanzlerreste. Das Kanzlerneueste. Kanzlergedichte 2018-2023. Edition Aramo. 189 S.,EUR 18,-

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.