Nachruf

Karl Merkatz: Der Unerschütterliche

Zum Tod des Schauspielers Karl Merkatz, 1930–2022

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Das höhere Alter nahm Karl Merkatz an, fast buddhistisch, wie einer, der wusste, dass man sich ins Unvermeidliche besser freundlich fügte, als es unnötig zu bekämpfen, und er machte etwas daraus: In Sabine Hieblers und Gerhard Ertls Liebesfilm „Anfang 80“ (2011) spielte er, an der Seite der großartigen Christine Ostermayer, einen verheirateten Mann, der sich auf seine alten Tage noch einmal unsterblich verliebt. Auf Rollen wie diese muss Merkatz gewartet haben, denn sie zeigten, sehr spät, noch einmal, was für ein fein differenzierender, letztlich unvergleichlicher Schauspieler in ihm steckte. Er ruhte in sich und spielte (im besten Sinne) schlicht, ein Naturalist, der es nicht auf darstellerische Winkelzüge anlegte und keine Tricks anwandte, sondern mit Empathie und Direktzugang zum Allzumenschlichen arbeitete. Falsche Töne brachte er überhaupt nur zuwege, wenn die Rollen an sich nicht stimmten.

Seine anhaltende Popularität aber verdankte er einer ihm selbst wesensfremden, nämlich geradezu unflätigen Figur: Als cholerischer Proletarier Edmund „Mundl“ Sackbauer, als der sprichwörtliche „echte Wiener“, der schon dank Knackwurst, Flaschenbier und mahnend-vermittelnder Ehefrau (gespielt von der kongenialen Ingrid Burkhard) nicht untergehen konnte, wurde er ab 1975 erst sehr berüchtigt, dann zu Recht berühmt, denn der radikale Realismus, mit dem da ein nicht mehr junger Schauspieler, den (noch) keiner kannte, über die Bildschirme polterte, begann die Menschen vor den Bildschirmen zu faszinieren – nach einer kurzen Schockphase angesichts der obszönen Töne, mit denen einen Merkatz und Autor Ernst Hinterberger 24 Folgen und vier Jahre lang behelligten. Ein zeitloser Klassiker des österreichischen Nachkriegsfernsehens, vergleichbar allenfalls noch mit Großtaten wie „Der Herr Karl“ oder „Kottan ermittelt“, hatte unter Merkatz’ beherztem Zutun Form angenommen.

Der gebürtige Wiener Neustädter versuchte sich früh am Theater, absolvierte nebenbei eine Tischlerlehre, entschied sich schließlich doch für den Schauspielberuf. Ab Mitte der 1950er-Jahre spielte er in Bühnenklassikern und Musicals, an der Josefstadt, der Volksoper, auch im Burgtheater und bei den Salzburger Festspielen; zum Theaterstar wurde er trotzdem nicht, dazu fehlten ihm Ellbogentechnik und Narzissmus. Die Bescheidenheit, mit denen er seinen Figuren oft spielte, war echt.

Mit Schauspielparts, für die selbst der Begriff „Nebenrolle“ wie eine leise Übertreibung wirkte, hatte Karl Merkatz inzwischen seine Fernsehkarriere begonnen: Als „Erster Musikant“ trat er 1964 in einer deutschen Produktion von „Romeo und Julia“ auf, im selben Jahr auch als „Zweiter Sekundant“ in der Tschechow-Adaption „Das Duell“. Ins Fach des Kinofilms stieg er erst in den späten 1970er-Jahren ein – und 1981 gelang ihm der nächste Coup als Hauptdarsteller der antifaschistischen Antel-Komödie „Der Bockerer“, in der er einen Wiener Fleischhauer spielte, dessen Renitenz und Bauernschlauheit schon genügte, um unbeschadet durch die Untiefen des NS-Terrors zu manövrieren.

Gern wurde Merkatz auf den Typus des echten Wiener Arbeiters festgenagelt, der seiner Umwelt zwar mächtig auf die Nerven gehen kann, der in seinem Wesenskern jedoch ein empathischer Zeitgenosse ist: grantig, stur, aber herzlich. Ein Album mit recht derben Pop-Wienerliedern, die meisten davon geschrieben von Georg Danzer  („I bin schiach und du bist schiach“), brachte er im Fahrwasser des „Mundl“-Erfolgs unter dem Titel „Eh klar“ 1977 auf den Markt. Privat gehörte Merkatz, auch wenn er sich selbst gern „rebellisch“ nannte, zu den stillen und den sympathischsten Protagonisten in der österreichischen Kulturlandschaft; er schien schwer aus der Ruhe zu bringen, wenn er über sich und sein Leben sprach; sein humanitäres Engagement betrieb er ganz selbstverständlich mit, ohne es je an die große Glocke zu hängen.

Am 4. Dezember starb Karl Merkatz, kurz nach seinem 92. Geburtstag, in dem Dorf nahe Salzburg, in dem er mit seit Frau Martha, mit der er seit 1956 verheiratet war, über Jahrzehnte gelebt hat.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.