Brunhilde Pomsel
Kino: Ein umstrittener neuer Film porträtiert Goebbels´ Sekretärin

Kino: Ein umstrittener neuer Film porträtiert Goebbels' Sekretärin

Brunhilde Pomsel war die Sekretärin des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels. Im Alter von 103 Jahren sprach sie vor der Kamera erstmals ausführlich über ihre Erinnerungen und ihre Schuld. Jetzt kommt die bedrückende Dokumentation ins Kino.

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Der Besuch der alten Dame bietet wenig Grund zur Freude. Der kalte Hauch der Vernichtungsgeschichte des 20. Jahrhunderts weht einen an, wenn man in ihr Gesicht, in ihre dunklen Augen blickt, wenn sie ihre Stimme erhebt und ungerührt von den Dingen erzählt, die sie in den letzten Kriegsjahren im Inneren des NS-Machtzirkels erlebte. Brunhilde Pomsel wurde 1911 geboren, im selben Jahr wie Bruno Kreisky, Louise Bourgeois, Ronald Reagan oder Josef Mengele. Der Film "Ein deutsches Leben" ist (ähnlich wie André Hellers und Othmar Schmiderers Interviewfilm "Im toten Winkel", der 2002 Hitlers Sekretärin Traudl Junge porträtierte) ein Stück oral history, das Selbstzeugnis einer Frau, die im nationalsozialistischen Berlin durch Anpassung und Realitätsverweigerung zu den Mächtigen des Terrorregimes aufstieg, zwischen 1942 und 1945 sogar als Sekretärin für Propagandaminister Joseph Goebbels arbeitete. 102 Jahre war Brunhilde Pomsel alt, als sie 2013 in einem Münchner Filmstudio erstmals vor den Kameras eines österreichischen Filmteams Platz nahm (der zweite Drehblock fand im Frühling 2014 statt, nach ihrem 103. Geburtstag), um Auskunft zu geben über die Ereignisse im untergehenden "Dritten Reich", aber auch, um sich von einem Generalverdacht reinzuwaschen: Keiner habe sich damals Gedanken über die KZs gemacht; man habe sie für "Umerziehungslager" für Kriminelle gehalten. "Nichts haben wir gewusst." Das sei alles schön verschwiegen worden und habe gerade dadurch so gut funktioniert. Man sei sozusagen eingesperrt gewesen, "wie unter einer Glocke", das ganze Land ein tödliches Gefängnis: "Wir waren ja selber alle ein riesiges Konzentrationslager." Nach der Premiere im Rahmen der Grazer Diagonale läuft "Ein deutsches Leben" Ende dieser Woche regulär in österreichischen und deutschen Kinos an.

Als dokumentarische Arbeit ist das Werk minimalistisch gebaut aus den nur von Archivfilmsplittern und Goebbels-Zitaten unterbrochenen Berichten der Protagonistin. Keine weiteren Zeitzeugen, keine Erinnerungsfotos etwa der jungen Brunhilde Pomsel, nicht einmal ein klar definierter Interviewraum - das schwarz-weiße Bild des Gesichts der Erzählerin, modern gekleidet und frisiert, strahlt aus einem abgedunkelten Studio, einem schwarzen Loch, das jenseits von Zeit und Raum zu existieren scheint. Der zudringliche Blick der Kamera dringt mit elektronischen Zooms in jede Pore und Falte, will der Frau, die von sich erzählt, ganz nah sein, ihr gleichsam unter die Haut gehen, als gäbe es dort noch Ungeheuerliches zu entdecken. Pomsels Augen rucken hinter dicken Brillengläsern müde und nervös zugleich hin und her, anfangs sind da noch keine Worte. Sie denkt lange nach, ehe sie zu sprechen beginnt, aber schon der sorgfältig formulierte erste Satz, der aus innerer Zerrissenheit dennoch ein Fragment bleibt, bringt das Denken dieser Frau auf den Punkt: Ob es denn schlecht sei, ob es denn Egoismus sei, "wenn die Menschen versuchen, an dem Platz, an den sie gestellt wurden, etwas zu tun, was ihnen - was für sie gut ist, und sie wissen, damit schade ich einem anderen ... Aber wer tut denn das? So weit denkt man doch überhaupt nicht!" Und sie verbirgt ihr Gesicht, um diesen Worten dramatischen Nachdruck zu verleihen, kurz hinter ihrer linken Hand.

"Gleichgültigkeit und Kurzsichtigkeit"

Das Bemühen, selbstkritisch zu verfahren, ist Pomsel, die in hohem Maße reflektiert und rhetorisch versiert agiert, durchaus anzumerken. Sie attestiert sich "Gleichgültigkeit und Kurzsichtigkeit", und vieles von damals sei schon in ihr geblieben, das Preußische und das Pflichtbewusstsein etwa, auch so etwas wie der Wille zur Unterordnung - nein, das sei dann doch zu viel gesagt. Aber sie habe "vielleicht mit mehr Kriminellen gearbeitet", als ihr überhaupt bewusst sei. Letztlich sei nicht nur ihr völliges politisches Desinteresse daran schuld, dass sie all die Fehler gemacht habe, die ihr unterlaufen seien, sondern auch eine grundlegende Mutlosigkeit, die sie zur Mitläuferin geradezu prädestinierte. "Ich könnte keinen Widerstand leisten. Ich gehöre zu den Feiglingen."

Und sie breitet ihre für den Geist jener Zeit auch typisch ambivalente Biografie aus. Vor 1933 hatte sie bei einem jüdischen Rechtsanwalt gearbeitet, nach ihrem (berufliches Weiterkommen versprechenden) Beitritt zur NSDAP als Sekretärin in der Reichs-Rundfunkgesellschaft, ab 1942 schließlich im Büro des NS-Chefideologen Joseph Goebbels. Das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, dem er vorstand, befand sich in der Berliner Wilhelmstraße. Sie habe allerdings nicht "mit ihm" gearbeitet, sondern lediglich "bei ihm", darauf legt sie wert. Und ihre jüdische Freundin Eva Löwenthal wurde 1943, von ihr natürlich unbemerkt, nach Auschwitz-Birkenau deportiert und ebendort 1945 ermordet.

Umwälzende neue Erkenntnisse aus dem Zentrum der nationalsozialistischen Elite darf man sich von Pomsels Bekenntnissen nicht erwarten. Ihre Berichte bleiben, bei aller Klarheit des Denkens, anekdotisch. Sie drehen sich um Joseph Goebbels' angsterfüllten Hund ebenso wie um die letzten Stunden im Luftschutzkeller, in denen Brunhilde Pomsel sich nach den Meldungen von den Suiziden Hitlers und Goebbels' noch daran beteiligte, eine weiße Fahne zu nähen. "Mein einziges Leben" sei das gewesen, sagt sie resignierend noch, "mein Schicksal, meins. Und letzten Endes hat man doch nur an sich gedacht." Und sei "immer wieder gut weggekommen bei allem". 1945 wurde sie von den russischen Befreiern mitgenommen und fünf Jahre lang interniert. Darüber habe sie nicht reden wollen, sagen die Regisseure Christian Krönes, Florian Weigensamer und Roland Schrotthofer, die gemeinsam mit Olaf S. Müller für "Ein deutsches Leben" verantwortlich zeichnen.

"Großartige, kraftvoller Erzählerin"

Olaf Müller stieß 2012 im Zuge von Recherchen zu Goebbels' Privatleben eher zufällig auf die damals 101-jährige Brunhilde Pomsel; man empfand sofort die "Verantwortung und Verpflichtung", mit ihr noch "etwas Nachhaltiges zu machen und dieses Vermächtnis aufzuzeichnen", sagt Krönes im profil-Gespräch. (Ein Buch mit den vollständigen Transkriptionen der Pomsel'schen Selbsterklärungen und mit Analysen des Politwissenschafters und Thrillerautors Thore D. Hansen haben die vier Regisseure im Europa Verlag herausgegeben.) Weigensamer ergänzt: "Auch wenn uns anfangs noch nicht klar war, wie aktuell diese Geschichte werden würde, stand doch fest, dass es wichtig war, diese intelligente, charmante und glaubwürdige Frau zu befragen. Sie zeigte, anders als so viele, keine späte falsche Reue, und sie war eine großartige, kraftvolle Erzählerin."

Die Frage, warum es für einen Film dieser Art vier Regisseure braucht, beantworten sie so: "Wir glauben an demokratisches Filmemachen, produzieren im Kollektiv." Weigensamer und Krönes arbeiten seit über 20 Jahren als Autoren zusammen, gestalteten Fernsehprojekte für ORF und arte im Magazin-und Reportagebereich, machten in den 1990er-Jahren auch politisch-investigativen Fernsehjournalismus etwa für "SpiegelTV", 2002 dann eine "Universum"-Doku über Schönbrunn. 2006 gründete man ein eigenes Produktionsunternehmen, Black Box, "mit Fokus auf anspruchsvollen Dokumentarfilm".

"Ein deutsches Leben" hatte eine schwierige Genese : Zwei Jahre lang hagelte es Absagen von österreichischen Filmförderungsstellen, über Kleinsubventionen und ein wenig Selbstausbeutung realisierte man den Film trotzdem, Schritt für Schritt. Pomsel hatte Jahre vorher der "Bild"-Zeitung ein Interview gegeben, das so verkürzt wiedergegeben wurde, dass sie beschlossen hatte, nie wieder mit Medien zu sprechen.

"Es brauchte einige Vertrauensarbeit, sie zu diesem Film zu bewegen", erzählt Krönes. "Wir machten ihr klar, dass wir sie nicht einfach als Schuldige oder Ewiggestrige vorführen wollten, dass sie die Gelegenheit haben würde, ihre Geschichte zu erzählen - die uns alle heute wieder betrifft. Unser Verhältnis zu ihr war recht ambivalent: Wir hatten da eine hochintelligente, sehr sympathische, wunderbar erzählende alte Dame vor uns, deren einstiges Tun und deren Verdrängung wir aber auch verachteten." Und Schrotthofer fügt hinzu: "Es war nicht leicht, sie zu überzeugen, aber das Argument, das sie schließlich dazu brachte mitzumachen, war dies: Ihre Lebensgeschichte würde jetzigen und künftigen Generationen gezeigt, als Warnung vor den Dingen, die passieren können, wenn man angesichts einer mörderischen Diktatur nicht aktiv wird, zu gerne wegschaut. Und sobald sie zugesagt hatte, setzte ihre Disziplin ein -und brachte sie dazu, mit uns zwei Wochen lang jeweils Acht-Stunden-Tage zu absolvieren."

"Immer ein bisschen Grau drin"

Goebbels beschreibt sie im Film als widersprüchliche Figur: als ausgezeichneten Schauspieler, wohlerzogen und seriös, gepflegt, von "edler Vornehmheit", aber dann verwandelte er sich eben auch in einen "wüsten Krakeeler", einen "tobenden Zwerg". Die berüchtigte Goebbels-Rede im Berliner Sportpalast habe sie am 18. Februar 1943 aus nächster Nähe verfolgt. Wie konnte das passieren, fragt sie sich heute noch, dass da Abertausende von einer einzigen Person "behext" worden seien? Aber so sei das eben: Mit Strenge und Strafen funktioniere alles besser, es sei mehr Ordnung da - ob das erstrebenswert sei, will sie dahingestellt lassen. "Auch das Schöne hat Flecken, und auch das Schreckliche hat Sonnenstellen. Es ist nicht schwarz-weiß, es ist immer ein bisschen Grau drin."

Der giftige Atem des "Dritten Reichs" weht durch "Ein deutsches Leben", auch in den zwischengeschalteten Amateurfilmen und NS-Dokumenten, in Wochenschauen und US-Aufklärungsfilmen. Gegen Ende hin wird das Kinoerlebnis merklich härter: Minutenlange Szenen einer Leichenentsorgung im Warschauer Ghetto und Bilder der lebenden Skelette, die im KZ Ebensee apathisch ihre Befreiung erleben, kollidieren heftig mit Pomsels verharmlosenden Worten. "Ich wusste doch nur wenig", sagt sie fast flehentlich: "Ich würde mich nicht als schuldig betrachten, es sei denn, man wirft dem ganzen deutschen Volk vor, dass es dazu beigetragen hat, dass diese Regierung ans Ruder kam." Allein von "diesen Judengeschichten" habe sie erst 1950 erfahren. "Gerechtigkeit gibt es nicht."

Das Dilemma, einen kritischen, zugleich aber auch empathischen Film über eine Gestalt wie Brunhilde Pomsel zu drehen, blieb bis zuletzt bestehen. "Man muss sie mögen, wenn man einen Film über sie dreht, sonst funktioniert das nicht", sagt Weigensamer. "Aber man muss auch rechtzeitig erschrecken." Und Schrotthofer meint: "Wir mussten wirklich aufpassen, um nicht auf ihren Oma-Schmäh hereinzufallen. Sie fühlte sich genuin unschuldig, hätte für Stalin ebenso getippt wie für Goebbels." Allerdings hätte sie wissen können und sollen, was sich auch im Auftrag ihres Chefs ereignet hat", meint Weigensamer -"und in Wahrheit hat sie es ja auch gewusst, wie zwischen den Zeilen dessen, was sie erzählt hat, anklingt. Aber den großen Zusammenhang hat sie stets ausgeblendet. Das macht sie schuldig genug." Manche Antworten behielt sie für sich, sprach beispielsweise nicht darüber, was genau sie als Sekretärin bearbeitete. Schrotthofer: "Da spielte sie dann gern die Alterskarte und wurde plötzlich sehr müde."

Nach ihrer Gefangenschaft in den von den Sowjets betriebenen Lagern arbeitete sie als ARD-Chefsekretärin, ging 1971 in Pension. Am 27. Jänner 2017 starb Brunhilde Pomsel, gute zwei Wochen nach ihrem 106. Geburtstag - ausgerechnet in der Nacht auf den International Holocaust Remembrance Day.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.