Zola Jesus
Pop

US-Musikerin Zola Jesus: Fliege an der Wand

Mit Gothic-Pop und fein dosiertem Nihilismus wurde die US-Musikerin Zola Jesus zur Schmerzensfrau ihrer Generation. Jetzt geht es ihr um Hoffnung in einer kaputten Welt.

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Kein Zoom-Gespräch wie jedes andere. Nika Roza Danilova, besser bekannt unter ihrem literarisch-biblisch inspirierten Bühnennamen Zola Jesus, ist eine international gefeierte Singer-Songwriterin, Produzentin und Opernsängerin. Sie bittet darum, die Computer-Kamera lieber ausgeschaltet zu lassen. Auf dem schwarzen Bildschirm steht lediglich "Nicole", ihr eigentlicher Geburtsname. Es ist Mitte November in diesem Jahr der großen Krisen, und Zola Jesus, die über eine angenehm-ruhige Stimme verfügt, sitzt in ihrer Wohn-und Studio-Enklave in der Nähe des verschlafenen Städtchens Merrill im US-Bundesstaat Wisconsin; sie blickt, sagt sie, auf eine verschneite Landschaft. Es sehe hier, in den Wäldern Nordamerikas, schon sehr nach Winter aus - richtig cozy -, und das heißt für sie: wenig Antrieb, das Haus zu verlassen. Ohnehin sei hier nicht viel los. Das Haus teilt sie sich mit ihrem Hund und einer Katze, der nächste Supermarkt ist mindestens 15 Autominuten entfernt, das nächste Restaurant 30-und wenn sie ein Konzert besuchen möchte, muss sie zwei bis vier Stunden in eine der größeren Metropolen, nach Madison, Minneapolis oder Chicago, fahren.

Je weiter sich Zola Jesus von der Zivilisation entfernt hat (sie hat davor in Los Angeles und Seattle gelebt),desto mehr fühlt sie sich der Welt verbunden-insbesondere der Ukraine. "Dieser Krieg hat mir das Herz gebrochen", sagt sie; die Familie ihres Vaters stammt ursprünglich aus der Ukraine. Es macht sie wütend, dass es 2022 noch zu solch imperialistischen Barbareien kommen könne.

Aber nicht nur die Ukraine beschäftigt Danilova, die ihre Musik seit 2009 unter dem Namen Zola Jesus veröffentlicht; seit der Pandemie seien die Welt und ihr eigener Gefühlshaushalt aus dem Gleichgewicht geraten. Die Querelen rund um Donald Trump, der gewaltvolle Tod des Afroamerikaners George Floyds durch Polizeigewalt und die darauf folgenden Black-Lives-Matter-Demos, die grassierende Korruption und milliardenschwere Tech-Giganten, die ganze Regierungen kontrollieren: All das setzt ihr zu. "Wir Menschen haben uns korrumpieren lassen und uns zu weit von einer harmonischen Welt entfernt."

Ihr persönliches Krisenalbum hat die 33-Jährige bereits vor ein paar Monaten veröffentlicht. Mystischer Titel: "Arkhon", was im Altgriechischen so viel wie "Herrscher" oder "Macht" bedeutet. Für die zehn Gothic-Pop-Miniaturen hat sie sich erstmals Hilfe ins Studio geholt, insbesondere den Produzenten Randall Dunn, den man von seiner Arbeit für die Noise-und-Drone-Spezialisten Sunn O))) kennt. Zwischen Pandemie und Selbstfindung fand Zola Jesus keinen Zugang zu eigenen Ideen; persönlich machte sie eine Scheidung durch, trennte sich von ihrer langjährigen Managerin, und auch andere Menschen verschwanden über Nacht: "Plötzlich stand ich dieser Welt allein gegenüber."

Was blieb, war die Musik-und die Suche nach einem safe space. Das Loslassen-Können, einen Producer an ihrem kreativen Prozess teilhaben zu lassen, wurde zu einer wichtigen Erfahrung. Während ihr gefeiertes Album "Okovi" (2017) noch um die Probleme anderer Menschen kreiste (etwa die Suizidversuche einer guten Freundin),wendete sie diesmal den Blick auf ihr eigenes Leid-und die Erkenntnis, dass man nicht nur Opfer ist: "Ich suche die Verletzlichkeit. Das tut weh, ist aber auch besonders kathartisch."

In diesem Herbst, erzählt sie, wollte sie auf große Konzertreise gehen, aber die schwierige Live-Situation (finanzielle Unsicherheiten, schwierige Logistik, explodierende Energiekosten) machte es unmöglich, mit Band zu reisen. Die Zeit überbrückt sie mit der Live-EP "Alive in Cappadocia", auf der sie ihre unverkennbare Stimme ins Zentrum rückt. Aufgenommen hat sie die Songs in einem ehemaligen Kloster im türkischen Kappadokien. Mit reduziertem Klavier-Setting wird sie, begleitet von einem Streichquartett, Anfang Dezember für zwei exklusive Shows nach Europa reisen; am kommenden Samstag wird sie im Wiener Volkstheater auftreten, zwei Tage später in Berlin.

Fühlt sich die introvertierte Künstlerin vor Publikum eigentlich wohl? Nicht performen zu können, sei für sie ein großes Problem gewesen, erzählt sie. Immerhin verdiene sie mit den Shows nicht nur ihren Lebensunterhalt, auf der Bühne fühle sie sich auch aufgehoben, eins mit ihren Emotionen. Zola Jesus, die in ihrer Musik nach Isolation sucht, braucht für ihre Kunst diese beiden Pole, erzählt sie: Sie möchte auf Tour sein, von Stadt zu Stadt reisen und sich überall zu Hause fühlen ("wie eine Fliege an der Wand"), brauche aber auch die Einsamkeit in den Wäldern ihrer Heimat.

Zola Jesus

Die Oper war ihre erste große Liebe. Sie fand es bereits als kleines Kind extrem toll, erzählt sie, wie Opernsängerinnen mit der Kraft ihrer Stimme "ganze Häuser wegblasen können".Ihre Eltern vermittelten Gesangsstunden und Klavierunterricht, bis ihr das Opernsingen zu technisch wurde, sie als Jugendliche experimentelle Musik entdeckte und Riot-Grrrl-Bands wie Bikini Kill toll fand.

Die Opernsehnsucht habe sie indes nie losgelassen. Bis zu sechs Stunden übe sie immer noch jeden Tag, wie eine Marathonläuferin, diesen süchtig-machenden körperlichen Kraftakt brauche sie zum Leben. Erst kürzlich musste sie die Übungseinheiten auf eine Stunde reduzieren, um ihre Stimme nicht zu überlasten. Sie sei eben ein besonders emotionaler und melancholischer Mensch, sagt sie noch-und Musik sei ihr Weg, aus Schmerz etwas Kreatives, auch Nützliches zu machen. In ihren Songs versucht sie, diesen feinen Grat zu beschreiten: eingängige Popmusik zu kreieren und dabei möglichst weird, also seltsam zu klingen.

Hat sie, die Schmerzensfrau, die Nietzsche und Schopenhauer liebt und sich in ihrer Kunst gerne hinter Nihilismus und Zynismus versteckt, noch Hoffnung für diese kaputte Welt? Es wäre einfacher, meint sie, sich machtlos zu fühlen und abzukapseln. Sie versuche weiter an eine Welt zu glauben, in der es nicht nur darum geht, reich und berühmt zu werden oder als Musikerin einen viralen Hit auf TikTok zu generieren. Wer Kunst mache, trage die Verantwortung, Wege aus der Krise aufzuzeigen, eine Art Anker zu sein in einer Welt, die aus den Fugen scheint. Eine Art Katharsis zu bieten, das sei das Einzige, was sie aktuell machen könne: "Musik kann die spirituelle Leere, die um und in uns ist, füllen."

"Desertshore"-Festival im Volkstheater

"Desertshore" heißt nicht nur ein viel zu wenig bekanntes Album, das die Velvet-Underground-Legende Nico 1970 veröffentlicht hat, sondern auch die erste Ausgabe eines zweitägigen Musikund Performance-Festivals am Wiener Volkstheater (am 3. und 4. Dezember, jeweils ab 19 Uhr). Neben Zola Jesus, die am ersten Festivaltag die Bühne mit Streichquartett bespielen wird, gibt es an beiden Tagen Konzerte von jungen Künstlerinnen (die Trip-Hop-Poetin Anika) und alten Helden (Swans-Chef Michael Gira und Neubauten-Ikone Blixa Bargeld), dazu Diskussionen, DJ-Sets und die ewige Frage, warum vermeintliche Popkultur-Klassiker oft nur im Verborgenen schimmern.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.