Hollywood

Kraft der Maus: Wie der Disney-Konzern sein 100. Jahr verbringt

Streaming-Verluste, Börsenflaute und Krieg mit Amerikas Ultrarechten. Der berühmteste Medien- und Entertainment-Konzern der Welt, exakt 100 Jahre alt, befindet sich im Krisenmodus. Porträt eines strauchelnden Hollywood-Marktführers.

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Alles ist rund im Disney-Kosmos, kreisförmig wie die schwarzen Ohren des inzwischen 95 Jahre alten Superstars Mickey Mouse, die aus jeder Perspektive ebenso formvollendet kurvig erscheinen wie die großen Augen der quirligen Maus und die Signatur ihres Schöpfers: Walt Disneys Firmenschriftzug leuchtet in Musterschüler-Schreibschrift und bauchigen Kringeln lustig von allen Produkten seines Unternehmens.
Alles ist also rund im Hause Disney, in sich geschlossen, im besten Sinne simpel, in perfekter geometrischer Harmonie. Und doch: nicht alles. Zu behaupten etwa, alles liefe in den Büros und den Bilanzen des Konzerns auch nur annähernd rund, hieße, den Ernst der Lage zu verkennen. 7000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden unlängst entlassen, der Wert der Disney-Aktie sinkt seit ihrem All-Time-High im März 2021 stetig, Einsparungen in Milliardenhöhe sind angekündigt.

Am 16. Oktober 1923, als von solchen spätkapitalistischen Maßnahmen keine Rede war, legte das Brüderpaar Walt und Roy Disney den Grundstein für sein Unternehmen, das anfangs bloß Filme produzierte, aber seither in großem Stil ausgebaut hat und bald auch Vergnügungsparks, Hotels, Fernsehstationen und Streaming-Dienste betrieb, Musik, Comics und Videogames produzierte. 2022 lukrierte die Disney Company knapp 83 Milliarden Dollar an Umsätzen, fast doppelt so viel wie noch zehn Jahre davor. 146 Milliarden Dollar ist der Konzern aktuell wert.

Neues Wachstum?

Diese Zahl aber war zwischen 2019 und 2021 bereits bedeutend höher. Schwere Verluste in Disneys Geschäften mit linearem Fernsehen und Einbrüche im Streaming-Business machen dem Konzern inzwischen zu schaffen. Probleme zeichnen sich an allen Fronten ab: Neben den zuletzt äußerst schwachen Einspielergebnissen von vermeintlich sicheren Kino-Banken wie „Elemental“ und „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ sorgt vor allem das TV-Business für rote Zahlen, auch der renommierte US-Sportkanal ESPN, den Disney mehrheitlich besitzt, verliert laufend an Boden. Auf 45 Milliarden Dollar Schulden blicke man bei Disney derzeit, rechnete die „New York Times“ Mitte Juli vor.

Der Manager Bob Iger, 72, einer der Hauptaktionäre und also Miteigentümer der Firma, ist nun – nach zwei Jahren der Pandemie-Turbulenzen, nach Negativschlagzeilen und Börsenverlusten unter der allzu defensiven Führung des früheren Disney-Park-&-Resorts-Chef Bob Chapek – wieder als CEO aktiv. Iger leitete das Studio bereits zwischen 2005 und 2020 und kehrte, inständig gebeten vom Direktorenausschuss der Company, Ende des vergangenen Jahres aus seinem Ruhestand in die Chefposition zurück, um das Haus zu sanieren.

Seit März 2021 haben Disney-Wertpapiere dramatisch verloren. Nun gehe es um „renewed growth“, wie man das unter Insidern leicht euphemistisch nennt, um „erneuertes Wachstum“. Aber die Neuaufstellung hat ihren Preis. Igers kolportiertes Jahresgehalt: 27 Millionen Dollar.

Parks, Schiffe, Hotels

Die Themenparks des Unternehmens gehören zu den tragenden Säulen seines Geschäfts: 157 Millionen Menschen besuchten sie 2018. Disneyland im kalifornischen Anaheim eröffnete bereits 1955, die Disney World in Florida folgte 1971. Dependancen finden sich in Tokio seit 1983, in Paris seit 1992, in Hongkong seit 2005 und in Shanghai seit 2016. Darüber hinaus betreibt Disney eine Kreuzschifffahrtsflotte und diverse Hotelresorts.

Mit Investitionen in die Cashcow, die Disney-Parks, und mit spürbaren Preiserhöhungen bei dem hauseigenen Video-on-Demand-Anbieter Disney+, der hinter Netflix und Prime gegenwärtig der drittlukrativste Streamer ist, versucht Bob Iger den Verlusten entgegenzuwirken – ein gefährliches Manöver in einer Zeit des schwächelnden Filmheimkonsums. Die „Financial Times“ stellte dem Disney-CEO unlängst die Rute ins Fenster: „Iger muss sich bessere Ideen einfallen lassen, als bloß mehr Geld in die Themenparks zu pumpen.“

Die Marke Disney indes ist angeschlagen, aber intakt, von finanziellen Querelen nicht zu beschädigen. Mit der globalen Popularität dieser Firma können allenfalls Konzerne wie Apple, Coca-Cola und Volkswagen mithalten. In Hollywood besetzt Disney die Position des Kino-Marktführers als das größte der fünf major studios, der die Branche beherrschenden Filmproduktionsgesellschaften. Bei einem Marktanteil von gut 26 Prozent blickt man mit einem Abstand von mehr als fünf Prozentpunkten auf Universal, das aktuell zweitprofitabelste Studio, aber dieser Vorsprung ist seit 2019, als man noch auf stolze 33 Prozent kam, stark geschwunden.

Zu den „Big Five“, zu denen neben Disney und Universal noch Paramount, Sony und Warner Bros. gehören, schloss das „Mouse House“, wie man die Firma im Branchenjargon liebevoll nennt, erst in den mittleren 1980er-Jahren auf – eigentlich waren es damals sechs große Studios, aber das Traditionsunternehmen 20th Century Fox hat sich Disney 2019 einverleibt und dafür die schwindelerregende Summe von 71,3 Milliarden Dollar hingeblättert.

Menschenparodien

Der Disney-Konzern, dessen Hauptquartier sich seit 1940 in der Kleinstadt Burbank im San Fernando Valley befindet, beschäftigt heute rund 180.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit. Die Gewinne aus seinem ersten abendfüllenden Film, „Schneewittchen und die sieben ,Zwerge“ (1937) steckte Walt Disney in die Errichtung jenes Studios, um das Stadtgebiet von Los Angeles, wo das Unternehmen während der ersten 17 Jahre seiner Existenz ansässig war, hinter sich lassen zu können.

Menschliche Charaktere, gefangen in den Körpern von Tieren, treiben in den frühen Disney-Filmen ihr Unwesen. Der legendäre Zeichner Carl Barks hat Donald Duck als „die Parodie eines Menschen“ beschrieben. Aber auch die animalische Anatomie studierte man im Hause Disney genau, begann Naturfilme mit echten Tieren zu drehen, „Die Wüste lebt“ (1953) etwa. An ein kindliches Publikum wandte er sich keineswegs, da war Disney ganz offen. Die Erwachsenen haben das Geld, erklärte er 1959 unumwunden in einem BBC-Interview.

Seine Mickey Mouse debütierte in einem am New Yorker Broadway gelegenen Prachtkino am 18. November 1928 in dem Sound-Cartoon „Steamboat Willie“, einem von Disney gemeinsam mit seinem Chef-Animator Ub Iwerks inszenierten Musikfilm, in dem Alltagsgeräusche und Orchesterklänge sich anmutig mischten. Disney musste sein Auto verkaufen, um den live einzuspielenden Soundtrack professionell aufzunehmen. Mickey wurde während der ersten Jahre seiner Leinwandexistenz in Falsetttönen von Walt Disney höchstpersönlich synchronisiert.

Bereits 1929 begann man auch Merchandising-Produkte herzustellen: Mickey-Metallspielzeug, Spiele, Tassen, Uhren, Wimpel, Trommeln und Schulschreibtafeln. Die Marketing-Maschine lief früh an, und sie rattert heute noch. Schon damals verkaufte man Lizenzen an andere Unternehmen, die freudig zugriffen: Sogar die noble deutsche Porzellanmanufaktur Rosenthal stellte ab 1930 Mickey- und Minnie-Figuren her.

Erst sechs Jahre nach seinem Kollegen Mickey hatte übrigens Donald Duck, der berühmte Wut-Erpel, seinen ersten Filmauftritt. Die charakterdefinierende Frage, ob man nun den biederen Mickey oder den Leistungsverweigerer Donald als Figur bevorzugt, ist der Problemstellung „Beatles oder Rolling Stones“ eng verwandt. Das eine schließt das andere nicht aus, aber die Präferenz spricht Bände.

Patriotisch, rassistisch

Mickey Mouse ist, wie sein Schöpfer, eine höchst amerikanische Figur: geprägt von grenzenlosem Optimismus, beweglich, spielerisch und zielgerichtet. Auch sonst operierte Disney stets regierungsnah und patriotisch. In den frühen 1940er-Jahren kam er der Forderung nach, Anti-Nazi-Propagandafilme zu produzieren und mit Werken wie „Three Caballeros“ (1943) pochte er in politischem Auftrag auf gute Nachbarschaft mit Argentinien, Brasilien und Chile, wo die Nationalsozialisten leider bereits beste Beziehungen unterhielten.

Als Unternehmer war Disney genial, in ideologischen Belangen ein Erzkonservativer: Die offen rassistischen Inhalte, die sich in vielen Disney-Werken bis in die 1950er-Jahre finden, sind kaum noch erforscht: die antijapanischen Ressentiments etwa, mit denen Donald Duck während des Zweiten Weltkriegs im Kino in die Schlacht zog, oder das beleidigende Bild der stumpf vor sich hintrommelnden native Americans in „Peter Pan“ (1953); die Technicolor-Plantagenidylle, die 1946 in dem sonnigen Musical „Song of the South“ von einer rundum harmonischen Welt der schwarzen Diener und weißen Herrschaften im Süden der USA im 19. Jahrhundert fantasierte, ist bis heute nicht auf Bildträgern erhältlich. Und auch auf den antikommunistischen Zeitgeistzug sprang Walt Disney gerne auf. Vor den Schergen des Senators McCarthy gab der Firmenchef bereitwillig Auskunft über linke Umtriebe in seinem Geschäft.

Stagnation Building

Heute umfasst The Walt Disney Company, der größte Medien- und Unterhaltungskonzern der Welt, ein Imperium, das über Mickey, Donald und Goofy, über „Bambi“, „Dschungelbuch“ „The Lion King“ und „Die Eiskönigin“ weit hinausgeht: 2006 erwarb man das Computeranimations-Studio Pixar, 2009 das Superhelden-Bollwerk Marvel Entertainment, 2012 noch die Produktionsgesellschaft Lucasfilm, unter deren Ägide immerhin die „Star Wars“-Serie und das „Indiana Jones“-Franchise entstanden.

Aber die Zeiten sind härter geworden, die Expansionsträume ausgeträumt. In Zeiten heftiger Arbeitskämpfe – auch wenn der monatelange Streik der Autorinnen und Autoren vergangene Woche beigelegt werden konnte, stagniert Hollywood wegen der Arbeitsniederlegung der Schauspielkräfte doch weiterhin –, und der finanzielle Druck auf Studios und Streamingdienste wächst. Zu den Knackpunkten in den erhitzt geführten Debatten gehört die Frage, welche Rolle künstliche Intelligenz (KI) im Kino der Zukunft spielen könnte. Ein wenig ironisch (und sogar provokant) mutet es angesichts dieses Streiks an, wenn dieser Tage ein breit produzierter Science-Fiction-Thriller namens „The Creator“ die Kinos der Welt erreicht, in dem die Dystopie weniger von KI-Kreaturen ausgeht als von der uneinsichtig gegen sie Krieg führenden Menschheit.

In der wirklichen Welt haben sich andere Konfrontationslinien aufgetan: Den Republikaner Ron DeSantis, Gouverneur Floridas und potenzieller Gegner Donald Trumps bei der Präsidentschaftswahl 2024, verklagten die Konzernchefs vor wenigen Monaten wegen dessen „gezielter Vergeltungskampagne“. Denn DeSantis hatte ein Gesetz auf den Weg gebracht, das seit dem vergangenen Frühjahr dafür sorgt, dass in Floridas Schulen kein Unterricht zu sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität bis zur 12. Klasse stattfinden darf. Die Disney-Bosse hatten dieses auch gegen die LGBTQ-Community gerichtete Gesetz, das inoffiziell „Don’t Say Gay“ genannt wird, auf massiven Druck der Belegschaft des Unternehmens öffentlich kritisiert und alle parteipolitischen Spenden ausgesetzt. Seit Jahren feilt der Konzern an einem liberalen Image, das um Diversität und Minderheitenschutz bemüht ist.

DeSantis rächte sich, indem er den Selbstverwaltungsstatus des Freizeitparks Disney World massiv einschränkte. Der Konzern „sexualisiert unsere Kinder“ und „beraube sie ihrer Unschuld“, wetterte DeSantis – und wird seither nicht müde, Disney zu geißeln. So ist ein familienkonservatives Unternehmen plötzlich zu einem als woke gebrandmarkten Aktivistenkonzern geworden. Allerdings sind dies keine guten Nachrichten für eine Institution, die für ein florierendes Business alle braucht, jung und alt, Republikaner und Demokraten, die roten und die blauen Bundesstaaten. Die politischen Kreise rechts außen zu verprellen, stellt ein erhebliches Risiko für Disney dar. Die Gratwanderung zwischen einer zeitgemäßen Ethik und der Sicherung traditioneller Werte droht das Unternehmen zu zerreißen.

Trump & Disney

Der Autor Peter Stephan Jungk, der 2001 einen Roman aus der Biografie Walt Disneys destillierte, nennt sein Studienobjekt im profil-Interview „eine der prägenden Figuren des 20. Jahrhunderts“, zugleich aber eine charakterlich verkommene Gestalt, „einen schrecklichen Diktator und grundüblen Burschen“. Als „vollkommene Ironie“ erscheint ihm zudem, „dass Disney als Konzern inzwischen geradezu fortschrittlich agiert und sich deutlich gegen die konservative US-Politik positioniert. Disney ist für LGBTQ?“, fragt Jungk entgeistert: Die „wahren Sinnverwandten“ Disneys seien doch Leute wie Reagan, DeSantis und Trump. „Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, Walt Disney und Donald Trump wären best buddies, wäre Ersterer noch am Leben.“

Auch die lange herrschende Misogynie des Konzerns prangert Jungk an; unter Walt Disneys Ägide seien Frauen in keinerlei kreative Arbeitsprozesse eingebunden gewesen: „Das war unter ihm verboten! Keine Frau durfte einen künstlerischen Beitrag leisten. Die Frauen wurden in Nebengebäude gepfercht. Dort durften sie die Bilder für die jeweiligen Filmsequenzen einfärben.“

Genau dies tat ab den frühen 1960er-Jahren auch die Pop Art: Die Stars jener Kunstrichtung, Roy Lichtenstein und Andy Warhol, wählten die ikonische Figur Mickey Mouse als Modell für ihre Bilder, vervielfältigten und kolorierten sie, der Graffiti-Virtuose Keith Haring ließ sie in einer seiner Arbeiten sogar von einem Ufo aus beschießen. Ihre Macht und Allgegenwart hat sich die Maus mit den kreisrunden Ohren bis heute erhalten. Wenn nicht einmal die Aliens sie zur Strecke bringen können, wird man von ihrer Unsterblichkeit ausgehen müssen.

Mitarbeit: Wolfgang Paterno

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.