Selbstauskunft: "Gebenedeit unter den Illustrierten"

Out of Unterzögersdorf

Die Künstlergruppe Monochrom feiert 30-jähriges Bestehen. Es wurde wirklich Zeit.

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„Mein Gott, es gibt so viele Geschichten.“ Johannes Grenzfurthner, 46, Gründer und Außenamtsleiter der Kunst- und Aktionsgruppe Monochrom, weiß kaum, wo er anfangen soll, also fängt er in Miami an, denn „das war eigentlich sehr lustig: Wir waren im November 2005 auf der Art Basel Miami Beach, die Post-9/11-Hysterie war noch immer groß, insofern ist es ein bisschen ein Wunder, dass das damals alles so durchgegangen ist.“ Konkret ging Folgendes durch: Günther Friesinger, langjähriges Monochrom-Mitglied, spazierte als vermeintlicher Kurator über die Kunstmesse, knüpfte Kontakte, führte Gespräche, hinterließ Visitenkarten. „Und am nächsten Tag bin ich (also Grenzfurthner, Anm.) im Biohazard-Schutzanzug noch einmal durch die Hallen gelaufen: Alarm, wir suchen einen Herrn Friesinger from Austria, der sich bei der Biennale von Ulan Bator mit dem gefährlichen Arad-2-Virus angesteckt hat. Besonders kontaminiert sind seine Visitenkarten, die, um eine tödliche Pandemie zu verhindern, unbedingt vernichtet werden müssen. Tatsächlich haben wir einen Großteil davon wieder zurückbekommen.“

Seit 30 Jahren stiftet Monochrom – das aus einem Kernteam von neun Menschen sowie zahlreichen Satellitinnen und Satelliten besteht – virulente Verunsicherung zwischen Ideologiekritik, Cyberpunk und Schabernack. Die Keimzelle des Projekts lag Ende der 1980er-Jahre in einem Kinderzimmer, Nähe Stockerau, von wo aus der junge Grenzfurthner mithilfe eines urzeitlichen Modems gleichgesinnte Nerds aufspürte. Aus jener Chatgruppe erwuchs 1993 das erste Monochrom-Magazin, in weiterer Folge kam es zu Happenings und Interventionen, Sex-Tech-Conventions („Arse Electronica“) und Cocktailroboter-Messen („Roboexotica“), Computerspielen („Sowjet Unterzögersdorf“), Texten, Bildern, Filmen, Verwirrungen. Grenzfurthner (der heute hauptsächlich Horrorfilme dreht und seit diesem Frühjahr auch als profil-Kolumnist tätig ist) gesteht angesichts solcher Schaffensvielfalt: „Wir haben leider keinen Markenkern.“ Graubereiche sind das natürliche Habitat der Gruppe, und „in der Kunst sind wir gelandet, weil es hier für seltsame Dinge Förderungen gibt, und weil Kunst eine Schutzhülle ist für Dinge, für die man sonst eventuell verhaftet würde.“

Kommende Woche wird die 30-jährige Kunstfreiheit der Gruppe Monochrom mit einem dreitägigen Jubiläumsereignis gefeiert, unter anderem einer Abendgala in der Volkshochschule Rudolfsheim am 29. Juni (Eintritt frei, „aber Spenden werden nicht abgewiesen“). Die Ankündigung verspricht „eine kolossale Sause mit altem und neuem Content“ – und davon ist reichlich vorhanden. Da wären längst klassische Monochrom-Skandale wie die berühmte Eigenblunzen-Aktion im MuseumsQuartier oder die Nominierung des frei erfundenen Künstlers Georg Paul Thomann zum österreichischen Teilnehmer der Kunstbiennale von São Paolo anno 2002. Auch sehr schön: Der große Seelenkauf des Jahres 1998 (bei dem Passanten vorm Stephansdom für 50 Schilling ihre – zuvor professionell ausgependelte – Seele verkaufen konnten) oder der „Streichelnazi“, den Monochrom 2008 in der Art eines Stallhasen zum Kuscheln auf die Mariahilfer Straße stellten.

Am 1. Juli findet zudem ein öffentlicher Jubiläums-Betriebsausflug ins niederösterreichische Unterzögersdorf statt, wo Monochrom gerade in einer ehemaligen Feuerwehr-Garage das erste energieautarke Kulturzentrum Österreichs errichtet (weil das Gebäude keinen Wasseranschluss hat). Grenzfurthner: „Wichtig ist vor allem die Niederschwelligkeit. Meine eigentliche Utopie wäre, die Kunst so in der Alltäglichkeit aufzulösen, dass es sie gar nicht mehr gibt.“

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.