Salzkammergut 2024

Kulturhauptstadt Bad Ischl: Salzfass ohne Loden

Erstmals wurde eine ganze Region zur Europäischen Kulturhauptstadt gekürt: Bad Ischl und 22 weitere Gemeinden im Salzkammergut. Mit reduziertem Budget und fern vom Sisi-Kitsch entstand ein interessantes Programm.

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Mit einer aufwändigen und berührenden Show wurde am vergangenen Wochenende das Jahr als Europäische Kulturhauptstadt für Bad Ischl und 22 Gemeinden im Salzkammergut im Kurpark der kaiserlichen Sommerfrische gestartet. Manches wie der Jodler für 1000 Menschen unter der Leitung von Hubert von Goisern war erwartbar, aber dennoch an den Ort angepasst. Conchita Wurst alias Tom Neuwirth, der mit seiner Queerness als Teenager im heimatlichen Bad Mitterndorf oft angefeindet wurde, sang in einem prachtvollen Sisi-Kleid und sprach die rund 15.000 Eröffnungsgäste im Salzkammergut-Dialekt an. Es sei schon etwas Besonderes, auf das alle auch ein wenig stolz sein sollten. Und er rief zur Teilnahme an den kommenden Wahlen auf, auch „in Sorge um die Menschlichkeit“.

Dass die Dance-Performance der international gefeierten Choreographin Doris Uhlich die meisten kritischen Kommentare auslösen würde, war absehbar. Ihr „Pudertanz“ mit zehn ebenfalls zehn nackten TänzerInnen, die sich beständig einpuderten und entstaubten, eckte an, war aber auch ein Statement für die Kraft der Kultur, auch ausgegrenzte Menschen wie zwei Rohlstuhlfahrern zu integrieren.

EU-Botschafter Martin Selmayr erinnerte daran, dass neben der Kooperation in Politik und Wirtschaft die Kultur eine wichtige Rolle in Europa spielen müsse. Es war die griechische Europaministerin Melina Mercouri, die vor 40 Jahren die Initiative zu den „Kulturhauptstädten“ startete. 

Der für Kultur zuständige Vizekanzler Werner Kogler erinnerte an den Beginn des Ersten Weltkriegs mit der Kriegserklärung „An meine Völker“ durch Kaiser Franz Joseph, die er im Juli 1914 in Bad Ischl in seinem eher spartanisch eingerichteten Arbeitszimmer der Kaiservilla unterzeichnete. Die „Europäische Union“ sei ein Friedensprojekt, das gerade vor dem Hintergrund von autoritären Politikern an Bedeutung gewinne.

Der ehemalige Bürgermeister von Bad Ischl Hannes Heide, der nunmehr für die SPÖ als Abgeordneter des Europaparlaments fungiert, war einer der treibenden Kräfte für die erfolgreiche Bewerbung des Salzkammerguts als Kulturhauptregion.  „Gemmas o! Lassen wir uns darauf ein und versuchen wir, die Grenzen unseres eigenen Denkens zu überwinden“, mahnte er. Das Kulturjahr sei auch eine Würdigung der Bedeutung ländlicher Regionen in Europa.

„Kunst und Kultur sind gesellschaftsbildend“, wiederholt auch die künstlerische Intendantin Elisabeth Schweeger, die mit Kritik von lokalen Politikern und Kunstschaffenden umzugehen lernte. Die Kulturhauptstadt-Events seine eben keine „Nabelschau“, sondern müssten immer im Dialog mit globalen Kunstströmungen erfolgen. Sie verantwortet ein 30 Millionen Euro-Budget, deutlich weniger als die Vorgänger in Graz und Linz zur Verfügung hatten. 

Im 345 Seiten dicken Programmbuch „Kultur salzt Europa“ finden sich viele Events: Die bis Ende April geöffnete Ausstellung „Kunst mit Salz und Wasser“ im alten Sudhaus in Bad Ischl mit Werken internationaler Künstler wie dem Japaner Motoi Yamamoto, der mit Salzkristallen eine weiße Küstenlandschaft schuf, oder der Deutschen Christine Biehler, die mit ihrer Soleinstallation „persalem“ auffällt, ist eine sehr sehenswerte Schau. Zudem werden „lost places“ belebt, etwa die oft heruntergekommenen Bahnhöfe der Region durch Künstler, die dort für Projekte einziehen. Im Bahnhof Bad Ischl sperrte ein „Wirtshaus-Labor“ auf, wo junge Einheimische gastronomische Erfahrungen machen sollen. Im heruntergekommenen „Lehar-Theater“, ein Schandfleck  im Zentrum von Bad Ischl, das erst ab 2025 saniert werden soll, gibt es kurze Operetten und Performances mit Werken von Stefan Zweig. Auch die dunklen Seiten der Region – wie das KZ Ebensee und die „Alpenfestung“ von hierher bei Kriegsende geflüchteten Nazi-Bonzen- werden vielfach behandelt, dazu gehört auch die wundersame Rettung der im Altausseer Salzstollen versteckten Kunstwerke, denen Ausstellungen in Altaussee und ab 19. März im Linzer Lentos-Museum gewidmet sind. Es gibt Theater- und Musik-Festivals, darunter ein „Open Air“-Auftritt der Rapper „Attwenger“ auf der Gjaid-Alm im August.

Es bleibt abzuwarten, wie sehr die Menschen im Salzkammergut die Chancen der europäischen Auszeichnung nützen werden.  Schon nach der Eröffnung stellt sich die Frage, ob das durchaus engagiert erstellte Programm alle 23 Gemeinden ein Jahr lang zu kulturellen Höhenflügen bringen kann. Am vergangenen Sonntagabend, kurz nach der Eröffnung, fiel Bad Ischl wieder in die gewohnte Kleinstadt-Lethargie. Um 20 Uhr am Sonntag hatten kaum mehr Lokale geöffnet- sogar die traditionelle Café-Konditorei Zauner sperrte wie gewohnt früh zu, trotz der Anwesenheit von Besuchern aus dem In- und Ausland.

Auch die Abwesenheit der meisten Bürgermeister aus den 22 Partnergemeinden beim Eröffnungsfest verheißt nichts Gutes. Die Veranstalter fanden es nicht der Mühe wert, die Namen der Gemeinden zu nennen – ein Insert mit den Namen aller 23 Gemeinden auf den Vidiwalls wäre eine wichtige Geste für den Zusammenhalt, den Lokalmatador Hubert von Goisern beständig ermahnte, gewesen.

So verstärkt sich der Eindruck, dass viele Gemeinden, darunter die Traunseestadt Gmunden, die ewige Konkurrentin der Kaiserstadt Bad Ischl, zu wenig zugkräftige Veranstaltungen im Jahres-Programm geplant haben und nur ihren Anteil am Gesamtbudget von 30 Millionen Euro brav abliefern.

So hat sich die Wolfgangsee-Gemeinde St. Wolfgang aus dem Kulturjahr gleich ganz ausgeklinkt, obwohl hier eine Sehenswürdigkeit neben der Klause des Heiligen Wolfgang, das Singspiel-umworbene Hotel „Weißes Rössl“, Touristen anzieht. Das liegt auch an dem ersten Bewerbungs-Pitch, bei dem sogar zum Kampf gegen den Tourismus aufgerufen wurde. In St. Wolfgang leben die meisten Bewohner direkt oder indirekt vom Fremdenverkehr. Und der Ort leidet noch nicht so schlimm unter dem Massenandrang von Besuchern wie das nahe Hallstatt.

Wie schon bei der Kulturhauptstadt Linz im Jahr 2009 gab es neuerlich Fehler im Umgang mit lokalen Künstlergruppen. So wurde die manchmal zu arrogant und belehrend auftretende Intendantin, die Wienerin Elisabeth Schweeger, – genau wie damals ihr inzwischen verstorbener Schweizer Kollege bei Linz09, Martin Heller, für viele Künstler und auch Bewohner im Salzkammergut zur Buhfrau. Aber sie kommt bisher mit dem Gegenwind ganz gut zurecht. „Erwartungen enttäuschen und auf ungeahnte Weise doch erfüllen. Das scheint ihr Programm zu sein“, folgerte „Die Presse“.

Alle Infos: salzkammergut-2024.at

Das Buch zur Kulturhauptstadt

„Salz-Seen-Land“ ist das Lese- und Bildbuch zur Kulturhauptstadt Europas 2024. Das Werk ist vorige Woche Prestel Verlag erschienen und führt in 60 Beiträgen von Anarchie bis Ziehharmonika durch Bad Ischl und Umgebung. Ein Kapitel zum Thema Migration (darunter die ab 1732 nach Siebenbürgen deportierten protestantischen „Landler“) wurde von profil-Autor Otmar Lahodynsky verfasst. Herausgeben von der Intendantin Elisabeth Schweeger und Julia Kospach, die einst im Kulturressort des profil arbeitete.