Maren Ade, 39, lebt und arbeitet in Berlin
"Ich will als Autorin verschwinden“

Maren Ade: "Ich will als Autorin verschwinden“

Virtuosin des Wunderlichen: Regisseurin Maren Ade im Interview.

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Das scheinbar Alltägliche ist an Absurditäten und Konfusionen keineswegs arm. Man muss nur genau genug hinschauen, um den schönen Irrsinn zu erkennen, der das Zusammenleben der Menschen auf diesem Planeten offenbar definiert. Die Filme der Berliner Regisseurin, Autorin und Produzentin Maren Ade, 39, zeugen davon: Schon ihr eigensinniges Debüt "Der Wald vor lauter Bäumen“ (2003), die tragikomische Charakterstudie einer sehr linkischen Lehrerin (Eva Löbau), erregte Aufsehen; mit dem Beziehungskrisenfilm "Alle anderen“ (mit Birgit Minichmayr und Lars Eidinger) etablierte sich Ade 2009 als wesentliche Kraft im deutschen Kino. In "Toni Erdmann“ nun, ihrem in Österreich koproduzierten jüngsten Film, geschehen wieder Dinge, die man aus eigener Anschauung kennt und dennoch nie ganz zu verstehen gelernt hat. Wunderliches ereignet sich, als ein einsamer Mann (Peter Simonischek) beschließt, seine in Bukarest als Unternehmensberaterin arbeitende Tochter (Sandra Hüller) heimzusuchen und sie mit seltsamen Rollenspielen, albernen Maskierungen und gänzlich unangebrachten öffentlichen Auftritten zu behelligen. Souverän hält Maren Ade dabei, in allem Detailreichtum, die Balance zwischen leiser Depression und feiner Komik, lässt ihr Vater-Tochter-Duett schließlich in zwei aberwitzigen, Hüllers Ausnahmebegabung bestätigenden Szenen kulminieren: in einem beherzten Versuch über Whitney Houstons "Greatest Love of All“ - und in einer schrullig improvisierten Nacktparty im Business-Milieu.

INTERVIEW: STEFAN GRISSEMANN

profil: "Toni Erdmann“ dreht sich um einen verhaltensauffälligen Vater und seine genervte Tochter, weist einen eher irritierenden Humor auf - und dauert fast drei Stunden. Trotzdem wurde "Toni Erdmann“ im Wettbewerbsprogramm des Festivals in Cannes von der internationalen Filmkritik praktisch unisono gefeiert und in mittlerweile 60 Länder verkauft. Können Sie sich das erklären? Maren Ade: Ich finde es selbst verwunderlich. Aber ich versuche gar nicht erst, mir diese erfreuliche Zuwendung zu erklären.

profil: Die meisten Menschen sehen in "Toni Erdmann“ offenbar eine Komödie. Sie auch? Ade: Nein, aber mir ist das recht. Ich sehe es nur ein bisschen anders: Für mich veranstaltet der Vater für seine Tochter eine Art Komödie, aber aus Traurigkeit und Verzweiflung. Die Komödie liegt gleichsam in dieser von ihm erfundenen Figur. Ich muss sie nicht von außen verordnen. Beim Drehen war es also fast wichtiger, an dem ernsten Untergrund zu arbeiten, der hinter dem Heiteren lauert.

profil: Sie zielten eher auf Existenzielles als auf Humoristisches? Ade: Ja, aber es gibt in meinem Film eben ganz unterschiedliche Arten des Humors. Im Drehbuch standen schon Szenen, die ungebrochen lustig sein sollten, aber es gab auch andere - wie die Nacktparty gegen Ende der Erzählung -, von denen wir wussten, dass sie nur dann erheiternd sein würden, wenn sie wirklich existenzielle Tiefe gewinnen würden. Ich bin es gewohnt, aus meinen Charakteren heraus zu denken, obwohl ich diesmal beim Drehen selbst unsicher war. Ich gestand meinen Produzenten irgendwann, dass "Toni Erdmann“ wohl ein "sehr, sehr trauriger Film“ werden würde. Insofern freut es mich, dass er nun nicht nur so gesehen wird.

profil: Die Dreharbeiten liegen lange zurück, die letzten Aufnahmen entstanden bereits Ende 2014. Haben Sie tatsächlich anderthalb Jahre lang an "Toni Erdmann“ geschnitten? Ade: Ja. Ich hatte am Ende 120 Stunden Material, die erst einmal verarbeitet werden mussten. Und meine beiden Kinder, von denen das jüngste erst ein halbes Jahr alt ist, hielten mich auch oft vom Schneidetisch fern.

Regieführen bedeutet für mich nicht, immer schon genau zu wissen, wie eine bestimmte Szene auszusehen und zu wirken habe.

profil: Peter Simonischek, den Sie als Vater Ihrer Protagonistin besetzten, gab unlängst zu, dass er bisweilen gar nicht wusste, was genau er da zu spielen hatte. Lassen Sie Ihre Darsteller strategisch gern im Unklaren? Ade: Wenn Peter manchmal verwirrt war, liegt das vermutlich auch daran, dass für mich selbst vieles am Set noch unklar war. Ich benutze Dreharbeiten auch als Suche. Regieführen bedeutet für mich nicht, immer schon genau zu wissen, wie eine bestimmte Szene auszusehen und zu wirken habe. Ich brauche während des Schneidens Varianten von jeder Sequenz. Die Grundhaltung, der Subtext, die Dramatik sind jedes Mal anders. Die Frage etwa, wie intensiv man sich in einem Streit anschreit, ist entscheidend. Ich drehe daher alle wichtigen Szenen auf ganz verschiedene Arten, versuche, so viel wie möglich an Widersprüchlichkeiten in die Szenen zu kriegen. Das ist für Schauspieler natürlich anstrengend.

profil: Sie suchen ganz bewusst nach Ambivalenzen? Ade: Ja, denn auch im echten Leben ist es doch so, dass in einer Unterhaltung jeder auch anderes denkt, Dinge zurückhält. Für das Kino muss man das noch etwas sichtbarer machen, ohne den Realismus zu verlieren.

profil: Tatsächlich fordern Sie von Ihrem Publikum Arbeit ein: Es muss mit Ihren Figuren klarkommen, sich aktiv eine Meinung bilden. Ade: Ja, weil ich auch finde, dass gute Filme keine einfachen Antworten geben sollten. Ich habe sie ja selbst nicht parat. Wenn Logik und Glaubhaftigkeit in der Figurenzeichnung intakt bleiben sollen, muss man genau sein. Das Verhalten der Menschen in einem Spielfilm darf nicht einfach Behauptung sein. Man muss es stufenweise nachvollziehbar machen. Erst wenn man in diesem Sinne mit einer Figur mitgeht, bei ihr ist, kann man sowohl das Lustige als auch das Traurige in einer Szene sehen.

profil: Warum war Ihnen das Geschäftsmilieu, in dem "Toni Erdmann“ spielt, so wichtig? Es geht ja im Wesentlichen um das komplizierte Verhältnis zwischen Vater und Tochter. Hätten Sie Ihre Heldin, die als Unternehmensberaterin arbeitet, nicht ebenso gut in eine ganz andere Berufswelt setzen können? Ade: Nein, ihr Job musste auch in Kontrast zu dem Schabernack und den besorgten Fragen des Vaters stehen. Ich wollte zwei Wertesysteme miteinander vergleichen und den Generationenkonflikt verschärfen. Dieser Mann hat seine Tochter ja in gewisser Weise an die globalisierte Unternehmenswelt verloren. Und ihr Beruf hat viel mit Performance und Rollenspiel zu tun. Man muss jemanden darstellen. Sie spielt diese starke Rolle und löst sie nach und nach auf, während er erst damit beginnt, sich in einer neuen Rolle auszuprobieren.

profil: Handelt "Toni Erdmann“ nicht vor allem von der Idee der Peinlichkeit? Ade: Doch, davon handelt der Film auch. Aber ich suche, wenn ich inszeniere, nicht nach besonders peinlichen Momenten, sondern eher nach dem größtmöglichen Schmerz, der in jeder Szene liegt. Ein Gefühl wie Scham kann im Kino erst entstehen, wenn man sich mit den Figuren besonders stark identifiziert. Warum sind einem beispielsweise Eltern so oft grundlos peinlich? Wohl einfach, weil sie etwas so Privates sind - und man damit etwas über sich sagt und zeigt. In meinem Thema - ein Vater in der Welt seiner Tochter - liegt an sich schon so viel Peinlichkeit, dass ich als Autorin kaum noch etwas hinzufügen muss. Damit wird die Peinlichkeit zum Problem des Zuschauers.

Ich fühle mich nach einer Arbeit wie dieser ganz leer. Ich hätte jetzt gerade kein Thema.

profil: Ihr visueller Stil erscheint realistisch, fast unauffällig, die Bilder sind stets aus der Hand gedreht. Ade: Die Kamera muss zu jeder Zeit auf die Bewegungen der Darsteller reagieren können. Ich versuche, sowohl das bloß Dokumentarische als auch das übermäßig Kunstvolle zu vermeiden.

profil: Bildschönheit stünde Ihren Erzählungen im Weg? Ade: Ach, ich finde viele der Bilder durchaus schön, die in "Toni Erdmann“ zu finden sind, die Disco- und Partyszenen etwa. Ich mag es, wenn sich aus dem Realismus plötzlich etwas zur Schönheit hin entwickelt. Aber ich will als Autorin eben so gut wie möglich verschwinden; dazu gehört auch, dass sich die Kamera zurücknimmt.

profil: Ihre Werkliste als Regisseurin umfasst erst drei Filme, Sie legen nur alle sechs, sieben Jahre ein neues Werk vor. Liegt das an Ihrem Perfektionismus? Oder daran, dass Sie als Produzentin überbeschäftigt sind? Ade: Ein schnellerer Rhythmus wäre mir schlicht zu anstrengend. Es braucht Jahre, um einen Film wie "Toni Erdmann“ herzustellen. Und durch seine Länge wirkt er im Kraftaufwand ja auch wie zwei Filme. Ich fühle mich nach einer Arbeit wie dieser ganz leer. Ich hätte jetzt gerade kein Thema.

profil: Vor dem Jahr 2022 ist also keinesfalls mit einer weiteren Regiearbeit von Maren Ade zu rechnen? Ade: Ich glaube nicht. Ich hab mir unlängst mal ausgerechnet, wie viele Filme ich in meinem Leben auf diese Weise noch schaffen werde. Ich bin auf die Zahl sieben gekommen.

"Toni Erdmann“ ist ab 15. Juli in Österreichs Kinos zu sehen.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.