Melody Maker: Brian Wilson, 1942–2025
Der Begriff des Musikgenies ist mit größtmöglicher Vorsicht zu benutzen; er droht durch häufigen Gebrauch wertlos zu werden. Im Fall des kalifornischen Komponisten Brian Douglas Wilson allerdings erscheint es selbstverständlich, dieses Wort zu benutzen: Als Visionär der polyharmonischen Popmusik, als Virtuose hochkomplexer Arrangements und Songstrukturen stand Wilson Zeitgenossen wie Lennon & McCartney nicht nach.
1961 hatte er, als Teenager noch, mit seinen jüngeren Brüdern Carl und Dennis eine Band, The Beach Boys, gegründet. Über das Image des sonnigen Surf-Schlager-Fabrikanten dachte Wilson stets kühn hinaus, wusste Zugänglichkeit und höchste Kunstfertigkeit in rarem Einklang zu verbinden: Superhits wie „I Get Around“ oder „Good Vibrations“ fanden sich bei Wilson stets neben diffizilen Pop-Meisterwerken wie „God Only Knows“.
Weil seine Band ihm musikalisch das Wasser naturgemäß nicht reichen konnte, zog sich Wilson ins Studio zurück, um allein an seinen Kompositionen zu feilen. Das Album „Pet Sounds“ (1966) war seiner Zeit deutlich voraus: Zunächst als Kassenflop beklagt, wurde es erst Jahre später als Meisterwerk erkannt. Wilsons Absturz in Depressionen und Drogen wurde Mitte der 1960er-Jahre unübersehbar, der psychisch angeschlagene Musiker isolierte sich, geriet in die Fänge eines geldgierigen Psychiaters. Ab den 1980er-Jahren kam er zur Ruhe, arbeitete sporadisch weiter; noch 2022 trat er auf.
Wenige Tage vor seinem 83. Geburtstag ist der große Brian Wilson am vergangenen Mittwoch gestorben, in seiner Geburts- und Heimatstadt, dem gerade in militärischem Chaos versinkenden Los Angeles. Die allerbesten vibrations auf der anderen Seite sind ihm jedenfalls zu wünschen.