„Hört endlich mit dem Stumpfsinn auf!“

Monty-Python-Mitglied Terry Gilliam: „Hört endlich mit dem Stumpfsinn auf!“

Kino. Regisseur Terry Gilliam über seine Lust an der Groteske

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Interview: Stefan Grissemann

profil: Beobachtet uns eigentlich, während wir hier reden, Jesus Christus durch irgendeine Webcam?
Terry Gilliam: Die NSA tut es jedenfalls – und vielleicht ist die ja auch der neue Jesus?

profil: Das allerletzte Bild Ihrer Überwachungsgroteske „The Zero Theorem“ insinuiert den Messias als Spion: eine denkwürdige Szene.
Gilliam: Allerdings. Wir dachten, es wäre fein, all jenen, die geduldig den gesamten Nachspann durchstehen, noch ein pointiertes Bild zu schenken. Die Idee dazu hatten wir aber noch vor den NSA-Enthüllungen. Traf sich gut.

profil: „The Zero Theorem“ ist, bei allem Slapstick, ein sehr existenzialistischer, fast nihilistischer Film. Sind Sie denn Nihilist?
Gilliam: Ich wurde jedenfalls bereits mehrfach des Nihilismus bezichtigt. Aber so sehe ich mich nicht. Obwohl – vielleicht bin ich es auch. Es ist nur so: Der Begriff Nihilismus schreckt leider Produzenten ab.

profil: Und möglicherweise auch Ihr Publikum, also hätten wir das hier vermutlich lieber nicht erwähnen sollen.
Gilliam: Mein Film ist nicht so nihilistisch. Das Wort hat mir dann doch etwas zu negative Untertöne. Es geht in „The Zero Theorem“ eigentlich um Unterwerfung, und das ist eine islamische Idee. Christoph Waltz kommt am Ende der Erzählung zu einer Geste der Submission. Man könnte natürlich auch argumentieren, es sei ein Akt der Aufopferung.

profil: Islamisch? Ich würde Ihrem Film eher antireligiöse Tendenzen unterstellen.
Gilliam: Aber man unterwirft sich, indem man kollektiv zu Boden geht, sich im Herzen der Maschinerie einer übermächtigen Wirklichkeit beugt. Das tut der Islam ebenso wie meine Figuren.

profil: Wann begannen Sie an diesem Projekt zu arbeiten?
Gilliam: Das Drehbuch las ich erstmals vor sechs Jahren, führte ein paar Gespräche zu dem Projekt, aber mich beschäftigte dann doch mehr, meinen Fantasyfilm „Das Kabinett des Dr. Parnassus“ fertigzustellen, was nach dem Tod von Heath Ledger, der ja während der Dreharbeiten gestorben war, nicht leicht war. „The Zero Theorem“ blieb allerdings in meinem Kopf. Ich fand, das Buch erforschte spannendes Terrain, aber ich dachte anfangs, wir würden das Geld nicht aufbringen können. In der ersten Kalkulation wäre das doppelte Budget dessen, was wir später tatsächlich zur Verfügung hatten, nötig gewesen. Nach der „Parnassus“-Premiere arbeitete ich fast zwei Jahre lang an meinem Lieblingsprojekt, dem Film „The Man Who Killed Don Quixote“, den ich schon seit 1998 verfolge. Als ich 2011 daran erneut gescheitert war, kam ich auf „The Zero Theorem“ zurück, konnte Christoph Waltz dafür begeistern – und binnen weniger Monate hatte ich grünes Licht und begann mit den Dreharbeiten in Bukarest.

profil: „The Zero Theorem“ ist Ihr zwölfter Spielfilm.
Gilliam: Wirklich? Ich habe mir nie die Zeit genommen, meine Regiearbeiten zu zählen. Zwölf also? Wie die Apostel?

profil: Stimmt, es ist eine symbolisch befrachtete Zahl. „12 Monkeys“ nannten Sie 1995 einen Ihrer eigenen Filme. Aber Sie brauchten 40 Jahre, um dieses Kino-Dutzend herzustellen. Träumen Sie manchmal davon, Filme in schnellerer Folge zu inszenieren?
Gilliam: Ehrlich gesagt, ja. Aber die Industrie scheint mir das nicht zu erlauben. Klar, ich würde sehr gerne noch ein paar Filme mehr in der Werkliste haben, ehe ich abtrete. Wenn es nach mir geht, würde ich dauernd drehen, einen nach dem anderen ¬– das ginge sehr schnell. Aber mein Legitimationsscherz dazu ist: Wenigstens habe ich weniger schlechte Filme gemacht als all jene Kollegen, die andauernd drehen.

profil: Was hält Sie davon ab, mehr zu arbeiten?
Gilliam: Die immense Anstrengung, Projekte durchzusetzen! Mein Kampf! Mein Dschihad!
profil: Es heißt, die sehr auffällige Ausstattung in „The Zero Theorem“ sei von dem deutschen Maler Neo Rauch beeinflusst. Ist das wahr?
Gilliam: Ja, die Ideen zu meinen Filmen werden oft von Fotografen oder Malern in Gang gesetzt. Ich habe von Neo Rauch erstmals vor drei Jahren gehört. Seine Malerei faszinierte mich sofort, ich fand, das sei der großartigste unter allen aktuellen Künstlern. Rauchs Werke haben mich wohl auch deshalb so beeindruckt, weil er, wie ich selbst zu Monty Pythons Zeiten, die Dinge so kühn collagiert. Er mischt alles auf ganz außerordentliche Weise ineinander: Formen, Farben, Epochen. Ich liebe Neo Rauchs fragmentierte Kunst, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nebeneinander existieren. Also zeigte ich Nicola Pecorini, meinem Kameramann, und meinen Ausstattern gleich am ersten Tag Neo-Rauch-Arbeiten. Ich weiß nicht, ob man dem fertigen Film noch ansieht, dass dieser Künstler als Inspiration am Anfang stand.

profil: Nicht unbedingt. Der Film ist dann doch wieder sehr gilliamesk geworden. Mögen Sie Gegenwartskunst denn auch sonst?
Gilliam: Das meiste ist Dreck. Neo Rauch ist anders als alles, was ich kenne. Seine Kunst ist extrem intelligent – und sie bringt meine Fantasie zum Fließen. Ich bin sicher, dass es da noch ein paar andere faszinierende Künstler gibt, solange sie nicht Damien Hirst oder Tracey Emin heißen. Das sind zwei der erfolgreichsten Kunstschaffenden dieses Planeten: katastrophal.

profil: Damien Hirst ist eben der Starkünstler zum entfesselten Kapitalismus.
Gilliam: Grauenhaft! Er ist wohl der cleverste unter all seinen Kollegen und spielt mit dem System, so lukrativ es eben geht.

profil: Ihr Film befasst sich neuerlich mit der Frage nach dem Sinn des Lebens – und das ist bekanntlich auch der Titel einer späten Python-Arbeit, an der sie 1983 als Zeichner, Darsteller und Autor mitwirkten. Denken Sie oft an die Python-Ära zurück?
Gilliam: Ja, die erscheint mir gar nicht so fern, auch weil das eine großartige Zeit war: Wir genossen absolute kreative Freiheit und hatten genau die Budgets, die wir brauchten, um unsere Ideen umzusetzen.

profil: Sie haben nur glückliche Erinnerungen an die Zeit mit Monty Python?
Gilliam: Eigentlich schon. Python ist auch der Grund, warum ich es mir immer noch leisten kann, so wenige Filme zu drehen. Denn wir besitzen die Rechte an den Fernsehshows, an „Das Leben des Brian“ und vieles mehr. Da kommt an Tantiemen bis heute einiges herein.

profil: Und Sie haben die Rechte demokratisch untereinander aufgeteilt?
Gilliam: Ja, ganz einfach. Jeder von uns kriegt ein Sechstel aller Einnahmen. Das erleichtert das Leben – und keiner von uns muss ständig darüber lamentieren oder nachdenken, wer an welchem Sketch wie viel kreativen Input leistete. So haben wir alle über Python ein Einkommen, das nicht gigantisch ist, aber mich auch nicht dazu zwingt, jeden Tag um einen neuen Job betteln zu müssen.

profil: Die Figur, die Christoph Waltz in „The Zero Theorem“ spielt, ist desillusioniert, multiphobisch und depressiv – übrigens alles sehr wienerisch. Das ist gar nicht leicht zu spielen, wenn man als Hauptdarsteller zugleich einen Film tragen muss. Haben Sie über dieses Problem mit ihm gesprochen?
Gilliam: Es gab ja Pat Rushins Drehbuch, über das wir natürlich sprachen. Ich sagte zu ihm: „Christoph, du bist der Held dieses Films, ich folge dir, wohin auch immer es dich verschlägt.“ Aber die Bandbreite seiner Emotionen und Reaktionen ist so unglaublich, dass man mit diesem Mann mitfühlt, obwohl er extrem egozentrisch ist und sein Leben ruiniert hat. Es ist die reine Freude, mit Waltz zu arbeiten. Er hat faszinierende Fähigkeiten.

profil: Für einen Science-Fiction-Film hat „The Zero Theorem“ erstaunlich wenig gekostet.
Gilliam: Leider ja. Die Darsteller mussten weit unterhalb ihres üblichen Gehaltsniveaus arbeiten. Und viele reisten, weil sie Freunde sind, gerade mal für die Zeit eines Arztbesuchs an: Ein Tag genügte. Tilda Swinton etwa kam an, wir drehten ihre unglaublich lustigen Szenen, veranstalteten ein Abendessen, und am nächsten Tag war sie wieder weg. Diese Arbeitsweise machte den Film erst möglich.

profil: Swinton berichtete, dass sie sich über die vielen Straßenhunde gefreut hatte, die in Bukarest offenbar rudelweise über das Studiogelände flanierten.
Gilliam: Der Besitzer des Studios hatte etliche von ihnen hineingelassen, und sie spazierten in Gangs durch die Kulissen. Das war fantastisch. Dieser Ort gehörte ihnen.

profil: Ihr Film kreist um die Abgründe digitaler und virtueller Welten. Haben Sie eine besondere Affinität zu Computern?
Gilliam: Ich benutze sie. Das sind tolle Werkzeuge. Aber oft ärgern sie mich auch. Computer sind zweischneidig: Sie versorgen uns mit all dieser Information, beliefern aber auch die NSA. Am meisten hasse ich Leute, die nur noch twittern und dabei vergessen, im Augenblick zu leben. Anstatt das Dinner zu genießen, an dem sie gerade teilnehmen, müssen sie die Außenwelt mit ihren Kurznachrichten behelligen. Hört endlich alle mit dem Stumpfsinn auf – und redet miteinander! Und dann bereitet es mir Sorgen, welche Wirkung digitale Arbeit auf junge Menschen hat: Viele von ihnen werden fett und hässlich, und während sie mit Avataren leben, stellt sich die Frage, ob sie je in der Lage sein werden, reale Beziehungen zu führen.

profil: Computer-Junkies sind stark gefährdet, zu Eremiten zu werden – genau wie Ihr Filmheld!
Gilliam: Ja, denn virtuelle Beziehungen sind viel sicherer. So bleibt jeder allein. Dagegen müssen Strategien entworfen werden. Und es gibt offenbar ein Bedürfnis danach: Deshalb ist es so interessant, dass Rockkonzerte wieder so populär sind. Als ich mit meinem Sohn an einer Londoner Demonstration gegen den ersten Irakkrieg teilnahm, traf ich Leute aus Nordengland, die mir erzählten, dass sie ihre Apartments kaum noch verließen und froh seien, dass sie endlich mal mit echten Menschen zusammenträfen. Es sind oft politische Protestbewegungen wie Occupy Wall Street, die gegen die Vereinzelung wirken. Man kommuniziert wieder, kämpft für etwas.

profil: Sie gaben in einem Interview zu, dass Sie Geschmacklosigkeit besonders zu schätzen wüssten. Warum?
Gilliam: Wir alle wollen immer nur cool und geschmackvoll sein. Aber was teilen uns Coolness und guter Geschmack mit? Nichts. Also beginnt man, sich für das Uncoole und Geschmacklose zu interessieren und stellt fest, dass diese Dinge weniger leicht zu kontrollieren sind. Wenn ich einen geschmacklosen Witz reiße, hilft mir das, mich gegen die Welt des guten Tons abzugrenzen. Es ist ein Test, mich davor zu bewahren, cool zu sein.

profil: Sie versuchen, Ihre Arbeit provokant zu halten?
Gilliam: Um nichts anderes geht es. Ich lege es darauf an, zu provozieren. Dabei ist das ein Wort, das die Leute kaum noch benutzen. Man muss als Künstler provozieren – was aber schwierig ist bei Menschen, die sich sogar mit konzeptueller Kunst längst angefreundet haben. Deshalb liebe ich das Kino, denn es ist ein populäres Medium, auch wenn die Zuschauerzahlen sinken. So kann ich ein Publikum vor den Kopf stoßen, das sich vielleicht nur den neuen Film mit Christoph Waltz ansehen wollte und dabei ins Denken und Reden kommt – oder den Film komplett ablehnt. Aber irgendetwas wird passieren. Und das ist schön so.

Zur Person
Terry Gilliam, 74, wurde in Minneapolis geboren, übersiedelte als Cartoonist in den 1960er-Jahren nach Großbritannien, wo er die späteren Mitglieder der Truppe Monty Python kennenlernte. Gilliam war vor allem für die Trickfilme zwischen den Sketches der legendären TV-Show „Monty Python’s Flying Circus“ verantwortlich, trat aber vereinzelt auch vor die Kamera. In den 1970er-Jahren begann er Regie zu führen; seine bislang größten Erfolge fuhr er in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre ein: „Time Bandits“ (1981) und „Brazil“ (1985). Die bizarre Komödie, etwa „Fear and Loathing in Las Vegas“, 1998), ist sein angestammtes Terrain, was man auch erlebt, wenn man ihm als Gesprächspartner gegenüber sitzt. Wirklich ernst nimmt Gilliam wenig: Während des profil-Interviews, das in Venedig stattfand, begleitete er jedenfalls nahezu jede seiner Antworten mit einem sehr ansteckenden Lachen.