Rave New World: Österreichs Clubkultur unter Druck
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Exakt 1080 Zeichen widmet die neu geschmiedete „Aufschwungskoalition“ aus SPÖ und NEOS in ihrem Regierungsprogramm dem „pulsierenden Wiener Nachtleben“. Verglichen mit der vorangegangenen „Fortschrittskoalition“ ist dabei tatsächlich ein, nun ja, Fortschritt auszumachen: Denn erstmals wurde dem Thema dort ein eigenes Kapitel gewidmet, überschrieben mit dem ehrgeizigen Titel „Starke Nachtwirtschaft“.
Ob sich das Mehr an Text auch in einem Mehr an Aktivitäten manifestieren wird, muss sich erst noch zeigen. Zu den konkreten Maßnahmen wie der bereits umgesetzten Novelle des Veranstaltungsgesetzes, dem angekündigten Schallschutzfonds und der angedachten „Nacht der Clubkultur“ gesellen sich im besagten Programmpunkt nämlich auch allerlei wohlmeinende und -klingende Floskeln. Mehrfach ist da von „Weiterentwicklung“ die Rede, einmal kommt gar die Formulierung „Ausbau des Angebots“ zum Einsatz. Angesichts der aktuellen Stimmung in der Szene wirken Ankündigungen dieser Art indes durchaus couragiert. Denn bevor es überhaupt ans Erweitern und Optimieren gehen könnte, ist die Club-Branche selbst derzeit vor allem mit dem Elementarsten beschäftigt: dem Überleben.
Der Druck wächst
Damit liegt auch schon das böse Wort der Stunde nahe – das im deutschen Sprachraum vielfach behandelte Phänomen des Clubsterbens. Ein Blick nach Berlin, jahrzehntelang die inoffizielle Feierhauptstadt Europas, zeigt exemplarisch, dass der Druck auf die Nachtwirtschaft sich erheblich erhöht hat: Alteingesessene Ausgehhochburgen wie das legendäre Kreuzberger Watergate haben dort bereits dichtgemacht, andere – etwa die Wilde Renate – stehen unmittelbar davor. Berliner Branchen-Insider rechnen damit, dass mittelfristig jeder zweite Club seine streng bewachten Türen endgültig schließen könnte.
Zwar gab es aus Wien zuletzt glücklicherweise noch keine Hiobsbotschaften dieser Tragweite, dennoch nennt Martin Wagner, Gründer der Club-Institution Flucc (ehemals Fluc) am Praterstern, die Lage „herausfordernd“: „Wir stehen immer mehr unter Kostendruck, spüren Energiepreise und Inflation, müssen unsere Löhne dementsprechend anpassen. Gleichzeitig wird es immer schwieriger, genug Publikum zu mobilisieren. Bei uns sind das hauptsächlich junge Menschen, die nicht mit dem Mercedes, sondern mit dem Fahrrad vorfahren. An die können wir die gestiegenen Kosten nicht einfach eins zu eins weitergeben.“
Auch auf Veranstalterseite sieht die Gemengelage nicht grundsätzlich günstiger aus, wie Gerald van der Hint – DJ und Ausrichter populärer Event-Formate wie „Fish Market“ in der Grellen Forelle, einem Gravitationszentrum für Nachtschwärmer an der Wiener Spittelauer Lände – berichtet: „Für mich als Veranstalter sind die Gesamtkosten in den letzten vier Jahren um circa 30 bis 40 Prozent gestiegen, während ich die Eintrittspreise lediglich um zehn Prozent erhöht habe.“
Dennoch löhnt man an der Abendkasse vieler Clubs schnell 20 Euro oder mehr – und das nicht nur bei gagenintensiveren Auftritten internationaler Szenestars. Die „Nights Out“ sind also ein kostspieliges Vergnügen geworden, das sich viele nicht mehr leisten können – oder wollen. In Zeiten schmaler Geldbeutel wird das eigene Ausgehverhalten unweigerlich umgestellt oder zumindest hinterfragt. Nicht mehr jedes Wochenende im Club auftauchen? Kann auch ganz okay sein, vielleicht sogar gesünder. Übung im Couch-Potato-Dasein hat man in den Seuchenjahren schon zur Genüge bekommen.
Kulturwandel
Magdalena Augustin, die im Flucc für das Booking verantwortlich ist, konstatiert neben ökonomischen auch kulturelle Ursachen für die gegenwärtigen Umwälzungen: „Es gibt diesen Hang zur neoliberalen Gesundheitsoptimierung – man muss immer funktionieren. Und das passt halt nicht zu Fortgehen und „Verschwende deine Jugend“. Wer dennoch ein Nachtlokal besucht, konsumiert laut Wagner anders als früher: „Der Bier- und Alkoholkonsum ist um 20 bis 30 Prozent zurückgegangen. Aber die Leute trinken deshalb jetzt nicht im gleichen Ausmaß Limonade, wie sie früher Bier getrunken haben.“
Eine umfassende Feier-Fatigue lässt sich aber auch nicht ausmachen. Dem Dancing-Drang wird nunmehr eben auf andere Art Ausdruck verliehen, wie Magdalena Augustin beobachtet hat: „Rausgehen und Cornern (gemeinsam in den Straßen abhängen, Anm.), dabei tanzen und TikTok-Videos drehen, das ist für viele derzeit schon irgendwie interessanter.“ Auch hier schlägt mit Verzögerung ein pandemiebedingter Langzeiteffekt durch: Schließlich wurden durch die ausgedehnten Veranstaltungspausen ganze Kohorten nicht mehr mit klassischer Clubkultur sozialisiert – infolgedessen hat sich auch die Beziehung zu deren Codes und Konventionen geändert.
Der Trend „Soft Clubbing“ greift ebendiesen Wandel auf: Menschen kommen ungezwungen in nichttraditionellen Ausgehorten wie Cafés zusammen, um gemeinsam Musik zu hören, zu tanzen und sich auszutauschen – am frühen Abend oder sogar tagsüber, mit wenig oder keinem Eintritt. Auch die zahlreich, nicht immer legal aus dem freiflächigen Boden sprießenden Open-Air-Raves zeigen: Man muss sich sommerwarme Nächte nicht automatisch in etablierten Event-Einrichtungen um die Ohren schlagen, um ausgelassen zu feiern.
„Solche Events funktionieren als niederschwellige Angebote und sind ideal zum Ausprobieren. Im besten Fall wandert die entsprechende Community später auch in den Club“, erkennt Martina Brunner, Geschäftsführerin der Vienna Club Commission (VCC), die als Schnittstelle zwischen Szene, Publikum und Politik agiert, in dieser Entwicklung zukunftsträchtiges Potenzial. Ohnehin funktioniere der Clubbesuch heute immer seltener über „den“ Ort, sondern eher über Veranstaltungsreihen und Kollektive, die ein spezifisches Publikum ansprechen: „Man sucht gezielt nach Events, deren Community man sich zugehörig fühlt.“
Safe Spaces
Insbesondere für marginalisierte Gruppen ist dies von zentraler Bedeutung – mit entsprechend erhöhten Anforderungen an Schauplätze und Veranstaltende. Denn zum Club als Open Space, in dem man unabhängig von Status, Herkunft, Ethnie oder Geschlecht under a groove zusammenkommen kann, tritt zunehmend – wenngleich nicht automatisch überlappend – der ergänzende Anspruch, dass der Club auch ein klar definierter Safe Space ist. Awareness-Teams sollen unerwünschten Grenzüberschreitungen vorbeugen – ein Konzept dafür ist im Wiener Veranstaltungsgesetz ab 300 Besuchern als verpflichtend vorgeschrieben. Eine zweifellos sinnvolle und lohnenswerte Maßnahme, die dennoch eine weitere Kostenstelle darstellt, wie der Promoter Gerald van der Hint ausführt: „Awareness muss eben auch bezahlt werden, denn nur das schafft auch Verbindlichkeit. Zehn bis 20 Euro Förderung pro geleisteter Awareness-Stunde wären meiner Meinung nach fair.“
Bezieht man dann noch Faktoren wie Anrainerbeschwerden, die ewige Sperrstundenthematik sowie gern übersehene Grantgaranten wie die teils drastisch erhöhten Abgaben an die heimische Musikrechte-Verwertungsgesellschaft AKM in die Gleichung mit ein, sind die Sorgenfalten vieler Szene-Stakeholder absolut nachvollziehbar. „Ich nehme eine gewisse Müdigkeit wahr. Viele von uns sind nur noch mit troubleshooting befasst. Ein Betreiber-Kollege meinte neulich: ,Ich bin gespannt, wann das große Zusperren losgeht‘“, sagt Flucc-Bookerin Magdalena Augustin, beschwört dabei aber auch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit: „Eine Feindseligkeit zwischen den Clubs gibt es im Grunde nicht, es ist eher ein paralleles Arbeiten. Weil wir alle in unserem Tunnel sind, ist die VCC wirklich super, weil sie dabei hilft, dann doch punktuell mit anderen ins Gespräch zu kommen.“
Kommerz und Experiment
Wo ließen sich also Lösungen für die vielfältigen Problemfelder der Clubs finden? Martina Brunner von der Vienna Club Commission weist auf Kipppunkte hin, die es kritisch zu betrachten gilt: „Manche Häuser veranstalten längst bewusst kommerzielle Formate, um sich experimentellere Events leisten zu können.“ Wenn sich ein Club aber dadurch zu sehr in eine gewisse Richtung verschiebe, könne das zur Verwischung seiner Identität führen – und à la longue zu seiner Schließung.
Eine alternative Strategie besteht darin, das Portefeuille eines Veranstaltungsorts auszuweiten – hin zu einem popkulturellen Rundumversorgerangebot, das über spätnächtliche Raves und die vorgelagerten Abendkonzerte noch hinausgeht. So bietet das Flucc als Kultur-Ankerzentrum längst auch Räumlichkeiten und Gelegenheiten für Ausstellungen, Lesungen und Kabarett. Betreiber Martin Wagner sieht die Möglichkeiten zur Hybridisierung mittlerweile aber auch an ihre natürlichen Grenzen gelangt: „In den letzten Jahren wurden schon enorme Anstrengungen unternommen, um den Betrieb zu optimieren. Wir bieten ein Nachtprogramm und ein Tagesprogramm, versuchen alle möglichen Szenen zu bedienen, es gibt Workshops und Nachbarschaftsaktivitäten. Es ist aber schwierig, zu sagen: Wir erfinden uns jetzt ein zehntes Mal neu und führen einen achten Wochentag ein. Der letzte Salto wäre vielleicht noch eine Tagesgastronomie. Wenn das dann aber nicht funktioniert, hast du wirklich dein letztes Pulver verschossen.“
Laut Magdalena Augustin gäbe es auch auf politischer Ebene konkrete Hebel für ein Gegensteuern – indem man etwa die Mietverhältnisse genauer unter die Lupe nähme: „Nicht zuletzt über ihre Tochterunternehmen hat die Stadt als Eigentümerin wohl oft Einfluss. Hier könnte man langfristige strukturelle Erleichterungen schaffen, wenn nicht immer dieser große monatliche Posten gestemmt werden müsste.“
Martina Brunner von der VCC schlägt vor, Spielstätten und Szenen durch eine brancheninterne solidarische Querfinanzierung zu stärken: „Wir beschäftigen uns gerade damit, wie ein Solidaritätsfonds aussehen könnte, bei dem die Großen die Kleinen unterstützen. Denn bei den Kleinen beginnt alles.“ Wie dies konkret ausgestaltet sein könnte, führte in Hamburg der „Club-Euro“ unlängst beispielhaft vor: Ein kleiner Teil der eingenommenen Ticketpreise von Großveranstaltungen fließt dabei direkt in die lokale kulturelle Infrastruktur.
Mehr als symbolische Anerkennung
Unabhängig davon bräuchte es mehr als symbolische Anerkennung oder punktuell gesetzte Maßnahmen. „Es muss ein Bekenntnis dafür geben, dass diese Kultur wirklich gewollt wird. Dafür muss man auch Geld in die Hand nehmen. Damit steht und fällt es. Und das kommt natürlich auch wieder rein, denn es gibt Wertschöpfung. Die Clubs zahlen Steuern und schaffen Beschäftigung“, führt Veranstalter Gerald van der Hint die Synergieeffekte solcher Oasen der Nacht ins Treffen.
Martin Wagner verweist auf den kulturpolitischen Mehrwert: „Wir sind eine Sprungbrett-Location, verstehen uns als Ermöglichungsraum, als Ort des Ausprobierens und Experimentierens. Im Fußball wären wir ein Ausbildungsverein. Solche Räume braucht es, um eine Kulturlandschaft nachhaltig am Leben zu erhalten.“
In lediglich 52 Zeichen könnte man es auch so formulieren: Die Nacht ist das Labor, in dem der Morgen entsteht.
Durch die Nacht mit viel Bewegungsdrang: die Club-Hotspots des Landes
Wien
- Grelle Forelle
Wiens aktuelle Techno-Bastion von Europaformat, minimalistisch-cooler Industrial-Chic, Fotoverbot. Spittelauer Lände, 1090 Wien
- Flucc
Fixstern am Praterstern: DIY-Appeal zwischen Clubnächten, Live-Konzerten, Kabarett, Kunst.
Praterstern 5, 1020 Wien
- Flex
Ewig junges Subkulturmekka am Donaukanal: unangefochtener Pionier heimischer Clubarbeit. Augartenbrücke 1, 1010 Wien
- Pratersauna
In den Nullerjahren Hipster-Hotspot, unter neuer Führung ambitioniert auf der Suche nach altem Glanz. Waldsteingartenstraße 135, 1020 Wien
- The Loft
Multi-Floor-Club am Gürtel mit speziellem Schwerpunkt auf Retro-Partys. Lerchenfelder Gürtel, 1160 Wien
- Praterstrasse
Lokal-Hopping war gestern: Die Hybrid-Location vereint Club, Bar und Pizzeria unter einem Dach. Praterstraße 18, 1020 Wien
- Volksgarten
Evergreen im Hauptstadtherzen, teilt mit dem benachbarten Bundespräsidenten die Skepsis gegenüber Experimenten. Volksgarten, 1010 Wien
- U4
Szenetreff der 80er: Falco has left the building, dazu kamen seither aber erstaunlich viele junge Gäste. Schönbrunner Str. 222/702, 1120 Wien
- O – Der Klub
Slicker High-End-Club mit kalkulierter Eventmischung aus Mottopartys und Big-Name-DJ-Bookings. Opernring/Operngasse, 1010 Wien
- Sass
Wenn es nach der Party am Morgen direkt weitergehen soll: die Afterhour-Anlaufstelle Nr. 1. Karlsplatz 1, 1010 Wien
Oberösterreich
- Solarise
Progressiv programmierter Hybrid-Club im Linzer OK Center, Fokus auf elektronische Musik und Kunst. OK-Platz 1, 4020 Linz
- Cafe Strom / Stadtwerkstatt
Bunte Bandbreite auch hier: Café, Club, Kulturzentrum mit gerne auch experimentellem Sound. Kirchengasse 4, 4040 Linz
Steiermark
- PPC
Seit Jahrzehnten ein Dauerbrenner steirischer Subkultur: zwei Floors für Gigs und Partynächte. Neubaugasse 6, 8020 Graz
- Bunker
Wo einst das legendäre Arcadium residierte, findet sich heute der Techno-Go-to-Place in Graz. Griesgasse 25, 8020 Graz
Salzburg
- Soda Club
Die erste Adresse für elektronische Musik in Salzburg – am Fuß des Mönchsbergs angesiedelt. Gstättengasse 21, 5020 Salzburg
Tirol
- p.m.k.
Innsbrucker Institution: Zusammenschluss von zig Kulturvereinen, die das Haus divers bespielen. Viaduktbogen 19–20, 6020 Innsbruck
- Tante Emma Club
Berlin-Flair versprühender Underground-Club in der Bogenmeile Innsbrucks mit cozy vibes.
Viaduktbogen 16–17, 6020 Innsbruck
Vorarlberg
- Conrad Sohm
Ländle-Legende: kultureller Dreh- und Angelpunkt im Westen Österreichs in einer ehemaligen Fabrik. Boden 1, 6850 Dornbirn